Ein Luxemburger in Kiew / Daniel M. Porcedda über das Leben in der Ukraine und die Wahrscheinlichkeit eines Krieges
In der Hauptstadt sei von den Unruhen im Osten der Ukraine bisher kaum etwas zu spüren, sagt Daniel M. Porcedda. Seit fast 24 Jahren lebt der Luxemburger in Kiew. Nach Hause zurückzukehren, sei aus vielen Gründen nicht so einfach. Eine Invasion der Russen, einen Krieg, hofft der 63-Jährige nicht erleben zu müssen.
Daniel M. Porcedda (63), gebürtiger Escher, Sohn eines Sardiniers, lebt seit 1998 in Kiew. Er ist als Unternehmensberater tätig, mal in der Ukraine, mal in Deutschland. Zurzeit herrsche etwas Flaute, sagt er. Seit neun Jahren ist er mit einer Ukrainerin verheiratet, die mittlerweile die luxemburgische Staatsangehörigkeit besitzt. Kiew beschreibt er als eine Stadt, die – wie ihre Bevölkerung – sich schnell immer westlicher orientiert habe. Er mag die Kulturszene, die Jazzclubs, er hat viele Kontakte zu Künstlern, Bürgern, Diplomaten und Unternehmern. Daniel M. Porcedda hat sich eingelebt, fühlt sich scheinbar wohl. Ein Paradies nennt er die Stadt nicht. Mit der Anerkennung Russlands der selbst ernannten Volksrepubliken Donetsk und Luhansk in der Ostukraine diese Woche, stünden die Zeichen nun eher auf Zuspitzung denn auf Entspannung, sagt er am Mittwoch im Tageblatt-Telefon-Gespräch.
Daniel M. Porcedda: Ich habe hier zwei Revolutionen miterlebt, doch was nun in der Ukraine droht, könnte, sollte es zum Äußersten kommen, alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen. Nichts drängt mich, dies erleben zu wollen und ich hoffe, es bleibt uns hier erspart.
Tageblatt: Was sagen Ihre ukrainischen Freunde?
In meinem direkten ukrainischen Umfeld glaubt niemand an einen Angriff auf Kiew. Man geht davon aus, dass in der Ostukraine die Kämpfe intensiver werden. Man beobachtet hier aber bisher keinen Anflug von Panik, es gibt keine Hamstereinkäufe, die Menschen gehen in die Lokale, sie leben weiter wie bisher. Durch die drohende Kriegsgefahr scheint der Konsum etwas zurückgegangen zu sein. Ein neues Paar Schuhe oder einen neuen Mantel schaffen sich einige jetzt nicht an, da sie notfalls eine kleine Reserve für lebenswichtige Güter behalten wollen.
Und Ihre ausländischen Freunde, die in Kiew leben?
Bei denen ist die Kriegsgefahr vorherrschendes Thema. Einige haben das Land bereits verlassen, andere sind noch hier. Die Unruhe und Unsicherheit sind bei Expats recht groß. Dies ist selbstverständlich bedingt durch die Medienmeldungen aus ihren jeweiligen Ländern, vor allem Deutschland, sowie durch die Aufrufe ihrer Botschaften, sie sollten das Land verlassen.
Sind Sie besorgt?
Ja, da man nunmehr auf alles gefasst sein muss. Die letzten Entwicklungen führen zu einer Eskalation statt Deeskalation. Die Anerkennung Russlands der sogenannten Volksrepubliken Donetsk und Luhansk in diesen Tagen lassen eine gewisse Irrationalität Putins vermuten. Er stellt seine Gesprächspartner vor vollendete Tatsachen. Es ist die immer wiederkehrende Methode, die man auch bereits bei der Krim und den Anfängen der Auseinandersetzungen in der Ostukraine beobachten konnte. Eine begründete Angst besteht jedoch vor weiteren Cyberangriffen auf die Ukraine. Dabei könnten die Energieversorgung, die Wasserversorgung, das Internet, die Mobiltelefonie und anderes ausfallen. Damit wäre auch die Lebensmittelversorgung nicht mehr gesichert, sowie Krankenhausdienste. Das könnte katastrophale Folgen nach sich ziehen.
Warum kommen Sie nicht nach Luxemburg zurück?
Das ist einfacher gesagt, als getan. Das hat mehrere Gründe: Meine Ehefrau ist als Leiterin der Übersetzungsabteilung einer großen Anwaltskanzlei tätig. Sie kann diesen Job nicht einfach aufgeben. Da meine geschäftlichen Tätigkeiten zurzeit nur sporadisch stattfinden, wären wir in Luxemburg ohne regelmäßiges Einkommen. Für Bürger, die wie wir keinen Zweitstandort in Luxemburg haben, ist Auswandern ein sehr schwieriges Unterfangen. Hinzu kommt ebenfalls das persönliche Umfeld, das wir aufgeben müssten. Nach 23 Jahren in der Ukraine käme eine Auswanderung einer Entwurzelung nahe.
Wie real schätzen Sie die Kriegsgefahr denn ein?
Nun, Krieg herrscht bereits seit acht Jahren in der Ukraine. Bloß wird dies in „unseren“ Ländern kaum wahrgenommen, was an der verniedlichenden Wortwahl „Konflikt“ liegt. Es ist übrigens auch nicht korrekt, von einem Bürgerkrieg zu reden. Initiiert wurde dieser Krieg durch russische Bürger. Es gab vor diesen von Russland aus gesteuerten Aktionen nie eine Mehrheit in der Ostukraine für eine Zuwendung zur Russischen Föderation. Jetzt verfügen Luhansk und Donetsk jedoch über modernste Waffen aus russischer Produktion, Waffen, die es außerhalb Russlands nicht gibt. Hierzu kann man gar auf Wikipedia einen Eintrag finden unter „Waffensysteme der russischen Streitkräfte in der Ukraine“. Das ist für die Beantwortung der Frage, wie real die Gefahr für einen Krieg ist, relevant. In der Ostukraine soll nämlich ein Casus Belli geschaffen werden, als Grund für die Ausweitung des Krieges in der Ukraine. Russland hat in diesen besetzten Gebieten bereits über 700.000 russische Pässe an die Bürger „verteilt“. So wurde die „Vorbedingung“ geschaffen für die Ausrede, man müsse sein eigenes Volk beschützen. Dabei handelt es sich bei den meisten Bürgern in der Region um Ukrainer.
Das verspricht nichts Gutes.
Es ist erschreckend, dass auch im Westen viele Menschen diesen unhaltbaren Behauptungen Russlands Glauben schenken. Mit der Anerkennung der beiden Pseudo-Volksrepubliken hat Putin das Abkommen von Minsk obsolet gemacht. Wobei Minsk von Anbeginn eine Totgeburt war, ein Armutszeugnis westlicher Diplomatie. Die Kriegsgefahr hat sich seitdem erheblich vergrößert. Die alles entscheidende Frage ist, ob Russland wirklich einen Angriff auf Kiew wagen wird. Das hängt vor allem davon ab, wie der Westen auf die Eskalation in der Ostukraine reagieren wird.
Aber was treibt Putin Ihrer Meinung nach an?
Ein Grund ist, dass Putin die Souveränität der Ukraine nicht anerkennt. Sein Aufsatz vom letzten Jahr über Russland und die Ukraine ist eigentlich eine unverhohlene Kriegserklärung. Ein prosperierendes Land, das sich zur EU hin orientiert hat, ist eine innenpolitische Gefahr für Putin. Wie sollte er auch seinem Volk erklären, dass ein Nachbarland, das sich der westlichen Demokratie zugewendet hat, wirtschaftlich besser dasteht als sein eigenes. Hinzu kommt, dass Russland sich durch die Nato-Osterweiterung bedroht fühlt, die Nato würde zu nahe an Russland heranrücken. Nun ist Putin im Begriff, die Ukraine zu besetzen, einen Teil hat er ja bereits besetzt, und macht genau das, wovor er angeblich Angst hat: Er rückt selber näher an die Nato heran. Putins Argumente brechen in sich zusammen und entbehren jeglicher Logik.
Putin alleine Schuld? Ist es so einfach?
Selbstverständlich hat der Westen auch Fehler gemacht. Aber diese „Fehler“ sind unerheblich in der heutigen Debatte der Kriegsbedrohung seitens Russlands. Russland begeht Völkerrechtsbruch. Russland respektiert die Souveränität von Staaten nicht. Russland fährt eine militärische Expansionspolitik. Den Fehler, den der Westen seit spätestens 2014 begeht, ist, mit Appeasement und Diplomatie weiterhin zu versuchen, Russland zum Einlenken seiner aggressiven Hegemonialpolitik zu bewegen. Nichts wurde damit erreicht. Die Krim ist nicht wieder der Ukraine zurückgegeben worden. In der Ostukraine hat Russland die Lage zementiert. Mittlerweile bedroht Russland die gesamte Ukraine und damit auch die EU.
Also könnte es zu einem großen Krieg kommen?
Ja, dies ist heute leider wahrscheinlicher, als noch vor wenigen Tagen. Dennoch ist dies hypothetisch. Durch die unrealistischen Forderungen an den Westen, dazu seine Stimmungsmache im eigenen Lande, scheint Putin sich in eine ausweglose Situation manövriert zu haben. Das ist das Gefährliche.
Was nun?
Hierzu eine halbwegs vernünftige Antwort zu versuchen, käme Kaffeesatzleserei gleich. Eigentlich hängt alles von einer einzigen Person ab: Putin.
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