Ein Jahr nach der Flucht aus der Ukraine / Daniel und Veronika, beide Luxemburger, fassen langsam wieder Fuß
Es ist kurz nach 6 Uhr morgens, als Daniel Porcedda und seine Frau Veronika in Luxemburg ankommen. Das war vor einem Jahr, am 7. März 2022. Die ukrainische Hauptstadt Kyjiw und den russischen Angriff haben sie wenige Tage nach Kriegsbeginn am 3. März zurückgelassen. Ihre Flucht war insgesamt 4.000 Kilometer lang. Mit einem Auto der UNO ging es zunächst nach Kischinau, Hauptstadt der Republik Moldawien. Dort hat Daniels Sohn Thierry sie abgeholt. Die Rückreise führte über Rumänien, Slowakei, Polen und Deutschland nach Belval ins Appartement des Sohnes. Seitdem ist einiges passiert. Veronika hat eine Arbeitsstelle und auch eine Wohnung gefunden. Das Leben von Daniel, der als Luxemburger 24 Jahre in der Ukraine gelebt hat, und von seiner Frau verläuft zusehends „normaler“. Eine definitive Rückkehr nach Kyjiw scheint in weite Ferne gerückt zu sein.
Tageblatt: Wie waren die letzten zwölf Monate?
Daniel Porcedda: Durchwachsen!
Warum?
Unter anderem, weil wir während der ersten acht Monate keine eigene Wohnung hatten, also nur an verschiedenen Orten provisorisch untergebracht waren, bei meinem Sohn zum Beispiel oder bei Freunden. Dafür sind wir sehr dankbar, aber es war anstrengend. Wir wollten niemandem Umstände machen. Deshalb hat es auch lange gedauert, überhaupt mal halbwegs in Luxemburg Fuß fassen zu können.
Jetzt haben Sie endlich eine eigene Wohnung gefunden. Lichtdurchflutet und mit schöner Aussicht. Wie ist Ihr Alltag?
Wie Alltag so sein kann auf Belval. Eigentlich ganz unaufgeregt. Man kann spazieren gehen. Geschäfte befinden sich in der Nähe, gleich um die Ecke ist eine Apotheke und ein nettes Café, das „Coyote“, und wir haben, was für uns bei der Wohnungssuche entscheidend war, eine wirkliche gute Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel nach Esch und nach Luxemburg-Stadt.
Freunde, Kontakte?
Ja, einige. Neue und ältere. Und dann nicht zu vergessen, dass hier in Belval ja nur auf wenige Hundert Meter Entfernung mein Sohn Thierry und seine Freundin wohnen, die wir öfters treffen.
Als Sie vor einem Jahr angekommen sind, gab es einiges an Durcheinander. Sie sind ja beide Luxemburger, Ihre Frau Veronika wurde es durch Heirat mit Ihnen. Einerseits waren Sie Kriegsflüchtlinge, andererseits aber auch Heimkehrer. Das war – wir erinnern uns an Gespräche – nicht so einfach. Ist die Situation heute geklärt?
Heute ist alles so weit klar. Das hätte es aber eigentlich auch bereits von Anfang an sein können. Aber seit unserer Ankunft waren wir behördlich zum Nichtstun verdonnert, es gab widersprüchliche Informationen. Wir sollten nichts unternehmen und die Antwort der zuständigen Behörde bezüglich unseres Flüchtlingsstatus abwarten. Wir hingen in der Luft. Das hat etwas gedauert. Auch, bis unsere Gesundheitsversorgung geklärt war. Heute leben wir als Luxemburger in Luxemburg, ganz normal – oder fast. (schmunzelt)
Wie gestaltet sich die Arbeitssuche?
Veronika ist zufrieden. Sie hat einen guten Job gefunden. Das liegt auch daran, dass sie promovierte Philologin ist und ihre Diplome offiziell hier in Luxemburg anerkannt wurden. Sie spricht Deutsch, Englisch, Ukrainisch und Russisch. Veronika ist mittlerweile zusätzlich in Luxemburg als beeidigte Übersetzerin an hiesigen Gerichten zugelassen.
Und Sie?
Ich war viele Jahre als Unternehmensberater in der Ukraine tätig, verfüge demzufolge über entsprechende und vielfältige Erfahrungen, die ich zurzeit auch noch in einem gemeinsamen Projekt mit einem Freund aus Hamburg einbringe. Das könnte ich auch hier, ob projektbezogen oder mit fester Verpflichtung. Da meine Tätigkeiten auch Projektentwicklungen und teils deren Umsetzung umfassten, will ich dies nun als „Think and Act Tank“ in Luxemburg angehen, wobei hier sowohl Unternehmen als auch staatliche Institutionen Ansprechpartner sein werden.
Einen abermaligen Neuanfang in der Ukraine schließe ich aus. Man ist ja keine 20 mehr. Jedoch würde ich gerne meine Erfahrungen einbringen und an Wiederaufbauprojekten die Ukraine betreffend teilnehmen.Geflüchteter aus der Ukraine
Gibt es Hilfestellung der ADEM?
Na ja. Um dem eigenen Slogan „Facilitons l’emploi“ gerecht zu werden, müssten meiner Einschätzung nach einige Änderungen innerhalb dieser Institution vorgenommen werden. Die Funktionsweise der ADEM scheint mir oft unklar. Beschäftigung wurde in unserem konkreten Fall keineswegs erleichtert, im Gegenteil, durch nicht nachvollziehbare Sanktionen seitens der ADEM, sogar eher erschwert. Vielleicht ist es berufliche Deformation des Unternehmerberaters, aber ich habe einige Aspekte festgestellt, die – vorsichtig formuliert – suboptimal sind, einige gar kontraproduktiv. Dies sowohl administrative Vorgänge als auch Mitarbeiter betreffend. Wobei man die Mitarbeiter nicht für offensichtliche systemische Fehler verantwortlich machen kann.
Sie könnten das beheben?
Aber klar, ich würde mit Sicherheit einige Stellschrauben adjustieren können. (lacht)
Gut, dann warten wir ab. Eine Frage noch zu Veronikas Tochter, die mit Ihnen vor einem Jahr aus der Ukraine geflüchtet ist. Was macht sie?
Auf unserer Flucht, auf dem Weg nach Luxemburg, sind wir ja ebenfalls durch Polen gefahren. Dort konnte sie bleiben und ein Zimmer im College of Europe in Warschau beziehen. Sie hat dann ein Praktikum in der luxemburgischen Botschaft absolviert. Anschließend ging sie nach Brüssel und macht seitdem ein Praktikum in einer Abteilung der Europäischen Kommission. Ihr Wunsch ist es, in einer staatlichen Behörde zu arbeiten. Insofern läuft es bei ihr bislang nach Plan, der durch den Krieg halt kurzzeitig unterbrochen wurde.
Denken Sie und Ihre Frau, dass eine Rückkehr in die Ukraine, nach Kyjiw, immer noch realistisch ist?
Einen abermaligen Neuanfang in der Ukraine schließe ich aus. Man ist ja keine 20 mehr. Jedoch würde ich gerne meine Erfahrungen einbringen und an Wiederaufbauprojekten die Ukraine betreffend teilnehmen. Hierzu hatte ich bereits Mitte April ein Projekt zum Wiederaufbau in der Ukraine skizziert, mit den Schwerpunkten Architektur, Energie, Infrastruktur. Das setzt natürlich voraus, dass der Krieg vorüber ist und die Russen sich komplett zurückgezogen haben. Wenn das der Fall ist, freuen Veronika und ich uns natürlich darauf, Verwandte, den Vater meiner Frau und Freunde zu besuchen. Obendrein haben wir in unserer Wohnung in Kyjiw vor einem Jahr bei der Flucht viele Kleider, persönliche Gegenstände und lieb gewonnene Souvenirs zurücklassen müssen. Die würden wir schon gerne abholen, meine CD-Sammlung zum Beispiel. Die ist aber so umfänglich, dass ich gar nicht wüsste, wo ich die hier unterbringen könnte. (schaut skeptisch in die kleine Wohnung)
Beobachten Sie die Geschehnisse in der Ukraine immer noch so aufmerksam wie vor einem Jahr?
Ja. Mein Tag beginnt meist mit Nachrichten aus und über die Ukraine. Wobei ich hierzu nicht bloß die übliche Berichterstattung konsumiere, sondern auch etliche andere Quellen, die teilweise höchst informativ sind. Da ich zudem in Kontakt mit etlichen Freunden und Bekannten aus der Ukraine bin, sowohl Ukrainer als auch Ausländer, bekomme ich häufig auch Momentaufnahmen aus der Ukraine, vor allem aus Kyjiw. Zudem kommuniziere ich des Öfteren mit geflüchteten Ukrainern, die in anderen EU-Ländern untergekommen sind. Erfreulich ist, dass ich aus Luxemburg heraus mithilfe eines deutschen Freundes vor Ort, der eine deutsche Sprachschule in der Ukraine hat, den langjährigen deutschsprachigen Stammtisch in Kyjiw wieder organisieren kann, den ich seit 2017 jeden Mittwoch durchführte, bis Corona und dann der Krieg uns zu einer Zwangspause nötigten. Am 7. Dezember 2022, nach 143 Wochen, wurden zur Freude vieler die Stammtischtreffen wiederaufgenommen. Ein Fetzen Normalität in Zeiten, in denen in der Ukraine kaum etwas „normal“ ist. Und da möchte ich auch wieder ab und an physisch dabei sein können, nicht nur virtuell.
Ihre Einschätzung der Kriegsentwicklung in der Ukraine?
Ich hoffe, dass jene Leute recht behalten, die sagen, dass der Krieg dieses Jahr zu Ende sein wird. Wer weiß? Russland muss jedenfalls so geschwächt werden, dass es nie wieder ein anderes Land überfallen kann.
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