Luxemburg-Stadt / „Das Betteln ist alles, was mir bleibt“: Seit Freitag gilt die neue Regelung in der Hauptstadt
Zu bestimmten Uhrzeiten und an bestimmten Orten ist das Betteln seit Freitag in Luxemburg-Stadt verboten. Ein Besuch in der Oberstadt zeigt: Am ersten Tag der neuen Regelung nehmen die Dinge ihren gewohnten Lauf. Das wohl auch, weil einige Fragen zu den Sanktionen noch offen sind.
„Entschuldigung, haben Sie vielleicht etwas Kleingeld für mich?“, fragt Mike schon fast schüchtern und erklärt, dass er auf der Straße lebt. Kurz nach 12.30 Uhr steht er am Freitag vor einem Supermarkt an der avenue de la Porte-Neuve und bewegt sich in der Zone, in der seit diesem Tag zwischen 7.00 und 22.00 Uhr ein sogenanntes Bettelverbot gilt. Schon im März wollte die Gemeinde dieses durch eine Anpassung der Polizeiverordnung durchsetzen. Die damalige Innenministerin Taina Bofferding (LSAP) legte aber ihr Veto ein. Anfang der Woche nun kippte ihr Nachfolger Léon Gloden (CSV) diese Entscheidung.
Und so ist es seit Freitag in bestimmten Bereichen in der Oberstadt und im Bahnhofsviertel sowie an vielen öffentlichen Plätzen und Parks untersagt, Vorbeigehende um Geld zu bitten. Mike ist das bewusst. „Andere Leute von der Straße haben mir davon erzählt. Ab heute ist alles anders“, stellt der 28-Jährige fest. Informationsflyer zur neuen Regelung, wie sie von der Gemeinde angekündigt wurde, hat er bisher keine gesehen. Diese teilte auf Nachfrage mit, dass die Sensibilisierungsaktion kommende Woche startet und bis Januar dauern soll. Auch auf der Webseite der Kommune wird darüber informiert.
So anders ist die Situation für Mike an diesem Tag eigentlich nicht. Trotz Verbot bittet er um Geld. „Das Betteln ist alles, was mir bleibt. Ich will nicht klauen und keine Drogen verkaufen“, erklärt er. Familiäre Unterstützung hat der Luxemburger nicht. Immer wieder gab es in seiner Jugend Streit in der Familie, er landete, wie er sagt, wegen Cannabis im Gefängnis und flog dann von zu Hause raus. Er hatte einige Jobs, ist nun aber zum dritten Mal auf der Straße. Seit zwei Jahren.
Ein Teufelskreis
„Ohne Adresse bekommt man keine Arbeit und ohne Arbeit keine Wohnung“, erklärt Mike, während er etwas nervös von der einen zur anderen Seite wippt. Geduldig und freundlich antwortet er aber auf die Fragen. Und erzählt, dass die meisten Bettler alleine unterwegs sind. „Banden gibt es nicht. Ich weiß von einer rumänischen Familie, die lebt bereits seit 20 oder 30 Jahren in Luxemburg und geht betteln, um sich ernähren zu können“, sagt Mike. Nach kurzem Überlegen fügt er dann hinzu, dass auf den Weihnachtsmärkten organisierte Gruppen unterwegs seien. Das nachzuweisen ist allerdings schwer. In Luxemburg gibt es dazu weder Studien noch Zahlenmaterial.
Ohne Adresse bekommt man keine Arbeit und ohne Arbeit keine Wohnung28-Jähriger ohne feste Unterkunft
Nur wenige Meter entfernt läuft ein Mann in der „Groussgaass“ auf und ab. Er trägt einiges an Gepäck auf dem Rücken und bittet Passanten auf Deutsch um Münzen. Etwas gestresst erklärt er, dass er Geld sammeln muss und keine Zeit für ein Gespräch mit der Presse hat. Auch ein aus Ungarn stammender Mann erklärt auf dem Boden kniend und mit einem Pappbecher in der Hand, dass er sich nicht äußern will. Er entschuldigt sich und wünscht auf Englisch einen schönen Tag.
Auch andere bettelnde Menschen sind an diesem Tag zur Mittagszeit in der Oberstadt unterwegs oder sitzen auf dem Boden. Polizeipatrouillen sind aber keine zu sehen. Nach einem Treffen zwischen Innenminister Léon Gloden, der Polizei und den Gemeindeverantwortlichen am Mittwoch hatte Bürgermeisterin Lydie Polfer (DP) angekündigt, dass Patrouillen unter anderem vermehrt auf den Weihnachtsmärkten unterwegs sein sollen. Zur weiteren Vorgehensweise hatte die Pressestelle der Polizei erklärt, dass es in einer ersten Phase um die Sensibilisierung der Betroffenen geht und diese auf die neue Regelung aufmerksam gemacht werden sollen.
Unklare Konsequenzen
Wenn nach Ende der Sensibilisierungskampagne dann trotz Verbot weiter gebettelt wird, wird eine Strafanzeige ausgestellt und an die Staatsanwaltschaft weitergereicht. „Die analysiert zuerst, ob eine Straftat vorliegt und entscheidet dann, ob eine Angelegenheit weiter verfolgt oder die Akte geschlossen wird“, heißt es von der Pressestelle der Justiz. Im ersten Fall kann eine Verwarnung ausgesprochen oder die strafrechtliche Verfolgung aufgenommen werden. Aber, so die Justiz: „Inwieweit die Staatsanwaltschaft mit Akten wegen Bettelns befasst wird, bleibt abzuwarten.“
Noch nicht eindeutig geklärt scheint, welche konkreten Folgen ein Verstoß für Betroffene mit sich bringt. Sanktioniert wird im Regelfall nach den in der Polizeiverordnung festgehaltenen Prozeduren. Der Blick in das Dokument der Gemeinde Luxemburg zeigt allerdings, dass im umstrittenen Artikel 42 – der alle Formen des Bettelns ins Visier nimmt – keine Strafen festgehalten sind. In Bezug auf andere Vergehen ist zu lesen, dass diese mit Geldbußen zwischen 25 und 250 Euro geahndet werden können. Eine ähnliche Information in Bezug auf das Bettelverbot gibt es allerdings nicht.
Es bleiben Fragen offen und wie sich die Situation entwickeln wird, müssen auch Sonja und Bruno abwarten. Sonja sitzt am Freitag am Hamilius auf dem Boden, neben ihr ein Pappbecher. Mit Blick darauf erklärt die Portugiesin auf Französisch: „Ich spreche die Leute nicht an, denn ich will nicht, dass sie sich verpflichtet fühlen. Aber sie können etwas hineinwerfen.“ Seit zwei Monaten lebt sie auf der Straße und ist über die neue Regelung informiert. Sie würde sich im Grunde genommen auch gerne daran halten, sagt aber: „Ich bettele, um essen zu können.“ Mit der Polizei hatte sie an dem Tag noch nichts zu tun. Allerdings am Tag davor.
Räumungsaktion
Denn am Donnerstagmorgen wurde ihr Quartier in einer überdachten Passage in der Louvigny-Straße von der Polizei geräumt. Gemeinsam mit anderen Obdachlosen übernachtete sie dort seit längerem. Eine Bande ist die Gruppe allerdings nicht und Sonja erklärt, dass sie auch keine solche kennt. Sie und ihr Partner scheinen keinen Ärger über die Räumungsaktion zu empfinden. „Es ist ja nicht unser Haus“, stellt Bruno fest. Was bleibt, ist Ratlosigkeit. „Ich will arbeiten, bekomme ohne Adresse aber keine Stelle“, erklärt auch Sonja den Teufelskreis, von dem viele Betroffene berichten. Denn ohne Geld gibt es keine Wohnung. Die Übernachtungseinrichtungen möchten beide nicht nutzen, da sie nicht getrennt voneinander schlafen wollen.
Über die Räumungsaktion in der Louvigny-Straße hatte übrigens ein Mann das Tageblatt bereits tags zuvor informiert. „15 bis 20 wohnungslose Menschen lebten schon seit längerem da, haben allerdings nie etwas getan. Gestern wurden sie dann von der Polizei geweckt und gebeten, zu gehen. Es ging alles ganz schnell und sie haben nicht viele Sachen mitgenommen. Das meiste davon blieb liegen und wurde weggeworfen“, erzählt Noé Steffenmünsberg. Schon öfter sei der Ort geräumt worden, allerdings sei der Zugang anschließend nie mit Gittern abgesperrt worden. Viele hätten sich von dem Quartier gestört gefühlt. Unter anderem wegen des Geruchs. „Sie haben halt keine Duschen“, bemerkt er.
Laut Pressestelle der Polizei fand die Aktion auf Anfrage der Gemeinde statt, weil diese öfters Beschwerden erhalten haben soll. Diese meint allerdings, dass der Platz Privatgelände sei und die Stadt Luxemburg in dem Fall nichts damit zu tun hatte. Wieder einmal bleiben Fragen offen. Sicher ist, dass das Bettelverbot Justiz, Politik und Polizei wohl noch länger beschäftigen wird. Und vor allem die davon Betroffenen.
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Das Klagelied derer, wenn man sie fragt, warum sie auf der Straße sind: Drogen und/oder Alkohol, Rauswurf von zuhause. Die Familie ist also schuld, wenn der Sprössling keine Einsicht zeigt. Hatte schon Jobs – soso… Warum wurde er nicht behalten? Drogen? Mike will kein Leben mit Eigenverantwortung!
Am Ende des Tages erhält Sonja wahrscheinlich mehr Geld dank ihrer Unaufdringlichkeit, als jene, die die Leute ansprechen oder flehentlich anschauen – sie ist intelligent, macht das richtig, denn so regt sich der Wunsch beim Passanten, von sich aus zu helfen und er fühlt sich dabei gut. Die Art, wie sie ihren Schnitt macht, hat wenig mit Betteln zu tun und es ist ok. Niemand kann behaupten, sich belästigt zu fühlen. Ich bin ziemlich sicher, hätten es alle ihr gleich gemacht , wäre diese Diskussion samt Folgen gar nicht erst entstanden.
@Leila,
Ich hatte das leidige Beispiel aus unserer Gegend erwähnt, wo stämmige 20-Jährige mit ihrem Smig um 10.00 morgens auf der Café-Terrasse sitzen und einem jungen Lehrling zuwinken der mit seinem Mofa zur Arbeit fährt. Hohn. Schmarotzer gibt es zuhauf. Wer Arbeit will der bekommt sie auch. Also wenn ihre Sonja so intelligent ist dann wird sie nicht mehr betteln müssen.Früher oder später. Aber solange man ohne Arbeit über die Runden kommt…..
JJ, Sie scheinen noch nicht mitbekommen zu haben, dass es ohne feste Adresse keine Arbeit gibt!
Sind Sie der Meinung, dass Obdachlose durch die Bank geistig unterbelichtet sind?
Lesen Sie den heutigen Artikel von Alex, vielleicht geht Ihnen dann ein Licht auf…