Strassen / Das Ehrenamt – die unsichtbare Stütze unserer Gesellschaft
In einer Welt, die immer hektischer wird, bleibt Zeit eine der wertvollsten und knappsten Ressourcen. Umso beeindruckender ist es, dass so viele Menschen in Luxemburg bereit sind, diese wertvolle Zeit für andere zu investieren – freiwillig, ohne Bezahlung und oft im Stillen. Es braucht mehr Freiwillige, die sich langfristig engagieren, und vor allem einen rechtlichen Rahmen, der das Ehrenamt absichert. Dabei spielen Organisationen wie die „Agence du bénévolat“ eine Schlüsselrolle.
Anne Hoffmann, Direktorin der „Agence du bénévolat“, fasst den Kern der Freiwilligenarbeit prägnant zusammen: „Ehrenamt bedeutet, sich für die Gesellschaft zu engagieren. Es ist das Geben von sich selbst, von seinen Talenten und seiner Zeit, um die Gemeinschaft am Laufen zu halten.“ Dabei bringt es nicht nur der Gesellschaft, sondern auch den Freiwilligen selbst großen Mehrwert.
Die „Agence du bénévolat“, die seit mittlerweile über 20 Jahren besteht, hat sich unter der Leitung der neuen Präsidentin Dr. Martine Mergen zur Aufgabe gemacht, das Ehrenamt in Luxemburg zu fördern, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren, den Zugang zu erleichtern und Fortbildungen anzubieten. „Freiwillige sind der Motor des Vereinslebens. Dank der Plattform benevolat.lu fördern wir die Verbindung zwischen Freiwilligen und Vereinen, indem wir die Möglichkeiten für Freiwilligenarbeit zentralisieren und Vereinsinitiativen aufwerten“, erklärt Dr. Martine Mergen.
Das Gefühl, etwas zurückzugeben und Teil eines größeren Ganzen zu sein, ist eine Art von Genugtuung, die man nicht mit Geld aufwiegen kannDirektorin der „Agence du bénévolat“
Digitaler Treffpunkt
Seit der Einführung der Vermittlungsplattform „benevolat.lu“ im Jahr 2022 hat sich vieles getan. „Die Plattform ist ein Weg, um Vereine und potenzielle Freiwillige zu vernetzen“, erklärt Anne Hoffmann. „Oft weiß man gar nicht, wo man anfangen soll, wenn man sich freiwillig engagieren möchte. Hier kommt die Plattform ins Spiel, die diese Hürde beseitigt“, betont Hoffmann.
Die Funktionsweise der Plattform ist simpel: Vereine und Organisationen können auf der Plattform ihre Bedarfe veröffentlichen – sei es für einmalige Events, regelmäßige Aufgaben oder langfristige Projekte. Die Vereine geben an, welche Art von Freiwilligen sie suchen, wie viele Personen benötigt werden und welche Fähigkeiten gefragt sind. Dies könnte alles umfassen, von der Mithilfe bei Sportveranstaltungen bis zur Betreuung älterer Menschen oder der Unterstützung im Kulturbereich.
Freiwillige wiederum können sich auf benevolat.lu registrieren und anhand verschiedener Filter die passenden Engagements finden. Sie können nach Interessenbereichen, Verfügbarkeiten oder örtlichen Präferenzen suchen. So ist es zum Beispiel möglich, gezielt nach kurzfristigen Einsätzen in einer bestimmten Region zu suchen oder nach Projekten, die regelmäßig Unterstützung benötigen. Sobald die passende Aufgabe gefunden ist, können sich die Freiwilligen direkt über die Plattform bei der jeweiligen Organisation melden.
Anne Hoffmann erklärt: „Die Plattform erleichtert es nicht nur, Engagements zu finden, sondern auch, sich gut zu informieren und gezielt zu entscheiden, wo man seine Zeit investieren möchte.“ Besonders in einer Zeit, in der viele Menschen beruflich und privat stark eingespannt sind, bietet die Plattform die Flexibilität, sich auf die eigene Lebenssituation abgestimmt einzubringen.
Freiwilligenarbeit im Ausland
Luxemburg könnte von den Erfahrungen anderer Länder profitieren, wenn es um die Förderung des Ehrenamts geht. In Ländern wie Dänemark gehört Freiwilligenarbeit schon in der Schule zum festen Bestandteil der Bildung. Schüler lernen früh, wie wichtig es ist, sich für die Gemeinschaft zu engagieren.
Qualitätssiegel und Auszeichnungen für Freiwilligenarbeit
Um die Freiwilligenarbeit in Luxemburg zu stärken und zu professionalisieren, hat die „Agence du bénévolat“ das „Label de qualité bénévolat“ eingeführt. Dieses Qualitätssiegel wird an Organisationen verliehen, die hohe Standards in der Verwaltung und Betreuung ihrer Freiwilligen gewährleisten. Anne Hoffmann erklärt: „Das Ziel des Labels ist es, sicherzustellen, dass Freiwillige ihre Zeit sinnvoll investieren und in einer Umgebung arbeiten, in der sie geschätzt und gut betreut werden. Es schafft Vertrauen, sowohl für die Freiwilligen als auch für die Organisationen.“
Neben dem Qualitätssiegel wird auch der „Prix du mérite du bénévolat“ verliehen. Diese Auszeichnung ehrt Freiwillige, die sich durch herausragendes Engagement und ihren positiven Einfluss auf die Gemeinschaft besonders hervorgetan haben.
Ein besonders innovativer Ansatz kommt aus der Schweiz, wo es Zeitsparkonten gibt: Freiwillige sammeln Zeitguthaben, indem sie Menschen, oft ältere oder hilfsbedürftige Personen, unterstützen. Diese Unterstützung kann vielfältig sein – sie reicht von sozialem Austausch und Zuhören über gemeinsame Spaziergänge bis hin zur Unterstützung bei alltäglichen Aktivitäten wie Einkäufen oder Arztbesuchen.
Die geleisteten Stunden werden genau erfasst und dem persönlichen Zeitkonto der Freiwilligen gutgeschrieben. Jede Stunde, die eine Person in einem sozialen Projekt oder in der Unterstützung von bedürftigen Menschen verbringt, wird auf diesem Konto dokumentiert.
Wenn die freiwillige Person selbst in eine Situation kommt, in der sie Unterstützung benötigt, kann sie ihre gesammelten Stunden einlösen. Diese Zeit kann dann genutzt werden, um die Hilfe von anderen Freiwilligen zu erhalten, die beispielsweise im Alter bei alltäglichen Aufgaben oder pflegerischen Tätigkeiten unterstützen.
In einer immer älter werdenden Gesellschaft kann freiwilliges Engagement helfen, die Lebensqualität auch im Alter zu sichern
Herausforderungen und Chancen
Trotz der unermüdlichen Arbeit vieler Freiwilliger steht das Ehrenamt in Luxemburg vor großen Herausforderungen. Anne Hoffmann nennt dabei vor allem die Suche nach Menschen, die bereit sind, sich langfristig in Vereinsvorständen zu engagieren. „Für punktuelle Aktionen findet man oft Freiwillige, aber die regelmäßige und verantwortungsvolle Arbeit in den Vereinsvorständen ist schwieriger zu besetzen“, sagt sie. Ohne diese kontinuierliche Unterstützung drohen viele Vereine zu stagnieren oder gar zu verschwinden.
Ein weiterer Aspekt, den Anne Hoffmann anspricht, ist die Integration von mehr Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund in die Freiwilligenarbeit. „Viele Frauen scheuen sich, sich in Vereinsvorständen zu engagieren, weil diese oft noch nach alten Strukturen funktionieren.“ Mehr Flexibilität bei der Festlegung der Sitzungen oder die Teilnahme durch virtuelle Meetings, die es Menschen ermöglichen, sich auch von zu Hause aus einzubringen, sind z.B. Möglichkeiten dem entgegenzuwirken. Viele Zuwanderer lassen sich derweil von der Sprachbarriere abschrecken, und trauen sich nicht, ohne ausgeprägte Luxemburgisch-Kenntnisse an Vereine heranzutreten.
Auch die Bürokratie stellt für viele Vereine eine Hürde dar. „Gerade Vereine mit älteren Mitgliedern haben Schwierigkeiten, sich in der digitalisierten Welt zurechtzufinden“, erklärt Hoffmann. Die Verwaltung und Eintragung in digitale Register erfordert nicht nur digitales Wissen, sondern auch viel Zeit und Geduld.
Der (fehlende) Status der Freiwilligenarbeit
Familienminister Max Hahn: „Freiwilligenarbeit ist unverzichtbar“
Auch Familienminister Max Hahn betont die immense Bedeutung der Freiwilligenarbeit für das gesellschaftliche Zusammenleben. „Freiwilligenarbeit ist etwas, das in unserer Gesellschaft unverzichtbar ist. Es bringt Menschen zusammen und hilft dabei, Vorurteile abzubauen, indem man aufeinander zugeht und sich kennenlernt.“ Besonders in einer Gesellschaft, die zunehmend durch Migration und Diversität geprägt ist, spiele das Ehrenamt eine wichtige Rolle.
„Freiwilligenarbeit fördert nicht nur das Miteinander, sondern trägt auch dazu bei, Ängste abzubauen – zum Beispiel gegenüber Menschen, die aus anderen Ländern kommen, eine andere Religion oder sexuelle Orientierung haben“, erklärt Hahn weiter.
In Luxemburg fehlt bislang ein klar definierter Status, der Freiwillige in ihrer wertvollen Arbeit unterstützt und diese offiziell anerkennt. Dabei geht es nicht nur um den Versicherungsschutz, sondern um ein ganzheitliches Konzept, das Freiwilligen mehr Anerkennung und bessere Rahmenbedingungen bietet.
Familienminister Max Hahn betont die Wichtigkeit dieses Themas und erläutert die Pläne der Regierung: „Einerseits wollen wir im Koalitionsvertrag dafür sorgen, dass wir prüfen, ob wir die Freiwilligen absichern können, das heißt, sie abzudecken. Andererseits wollen wir das Ehrenamt auch nach außen hin fördern.“
Dieser Vorschlag wird von der „Agence du bénévolat“ sehr begrüßt, da ein solches „Package“ nicht nur die Absicherung umfasst, sondern auch Maßnahmen zur Wertschätzung beinhaltet. Dies würde die Freiwilligenarbeit attraktiver machen und mehr Menschen dazu ermutigen, sich ehrenamtlich zu engagieren.
Das (noch) unentdeckte Potenzial des Corporate Volunteering
Ein Bereich, der noch viel ungenutztes Potenzial birgt, ist das Corporate Volunteering. Immer mehr Unternehmen, insbesondere etwas größere Firmen, bieten ihren Mitarbeitern die Möglichkeit, sich während der Arbeitszeit ehrenamtlich zu engagieren. Anne Hoffmann sieht hier eine riesige Chance: „Viele Unternehmen sind bereit, ihre Mitarbeiter freizustellen, damit sie sich freiwillig engagieren können. Das stärkt nicht nur den sozialen Zusammenhalt, sondern fördert auch die Arbeitsmotivation.“
In diesem Zusammenhang ist die „Agence du bénévolat“ stetig auf der Suche nach Vereinen und Organisationen, die mehr oder weniger große Gruppen an Freiwilligen benötigen, sei es für punktuelle Projekte oder für regelmäßige Aufgaben, um das Potenzial dieser Corporate-Volunteering-Initiativen optimal zu nutzen und die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Vereinen zu fördern.
Eine Stütze, die wir nicht missen dürfen
Die Freiwilligenarbeit ist und bleibt eine der wichtigsten Säulen unserer Gesellschaft. Sie fördert den Zusammenhalt, baut Vorurteile ab und ermöglicht es, dass Vereine, die für das soziale, kulturelle und sportliche Leben in Luxemburg so wichtig sind, weiterbestehen. Doch um diese Arbeit fortzusetzen und zu erweitern, braucht es mehr Unterstützung, mehr Anerkennung und vor allem: mehr Freiwillige.
Agence du Bénévolat a.s.b.l.
Gegründet im Jahr 2002, hat die „Agence du bénévolat“ zum Ziel, die verschiedenen Akteure der Gesellschaft für das ehrenamtliche Engagement zu sensibilisieren.
Präsidentin: Dr. Martine Mergen
Direktorin: Anne Hoffmann
www.benevolat.lu
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