Luxemburg / Das Ende der Wegwerfgesellschaft – Stabilitäts- und Wachstumsprogramm im Parlament
Der erste Teil der Parlamentssitzung vom Mittwoch war dem Stabilitäts- und Wachstumsprogramm, das im Rahmen des Europäischen Semesters von allen Mitgliedstaaten vorgelegt werden muss, vorbehalten. Anschließend ging es um Abfall: Fünf neue Gesetze sollen das Land von der Wegwerfgesellschaft in die Kreislaufwirtschaft führen. Ziel ist „Zero Waste“, also das Vermeiden jeglichen Mülls.
Die beiden CSV-Abgeordneten Claude Wiseler und Viviane Reding reichten eingangs der Sitzung zwei Motionen im Rahmen des Kriegs in der Ukraine ein. Die erste orientiert sich an einer entsprechenden Motion des Europaparlamentes und verlangt u.a. weitere Sanktionen gegen Russland, inklusive Gas- und Ölboykott (sollten die anderen EU-Staaten diesen Weg gehen) sowie Gerichtsprozesse gegen die Schuldigen des Kriegs. Die Luxemburger Post und weitere Telekommunikationsgesellschaften sollen laut Motion 2 den geflüchteten Ukrainern kostenlose Anrufe in ihre Heimat ermöglichen, so wie viele andere Unternehmen dies bereits anbieten.
Finanzministerin Yuriko Backes (DP) beschäftigte sich im Rahmen ihrer Ausführungen zum Stabilitäts- und Wachstumsprogramm ebenfalls mit dem Krieg in der Ukraine, der nach wirtschaftlich überstandener Pandemie den Finanzpolitikern die Hoffnung auf finanztechnisch bessere Zeiten nahm. Das Virus und seine Auswirkungen habe Luxemburg besser überstanden als viele andere Staaten, so Backes, die den Wiederaufschwung Ende 2020 feststellte und auf ein weitaus geringeres Defizit als erwartet für 2021 verwies (650 Millionen). Das Staatsdefizit betrug beim Zentralstaat 2020 3,1 Milliarden, 2021 waren es nur mehr 326 Millionen. Auch die Zahlen des ersten Trimesters 2022 waren noch gut, so die Finanzministerin; dann kam allerdings der Krieg, der durch hohe Energiepreise und Lieferschwierigkeiten die Wirtschaft einbremste.
Nur mehr 1,4 Prozent Wachstum
1,3 Milliarden haben die Maßnahmen für Unternehmen und Bürger gekostet; die weiteren Auswirkungen des Konflikts auf die Wirtschaft seien nur schwer abzuschätzen. Statt 3,5 Prozent Wachstum für 2022 prognostiziert das statistische Amt Statec nur mehr 1,4 Prozent. Die Inflation sieht die Behörde für 2022 bei 5,2 Prozent, im darauffolgenden Jahr bei 1,6 Prozent. Immerhin schaffe Luxemburg 2,4 Prozent mehr Arbeitsplätze im laufenden Jahr, eine Tendenz, die mittelfristig so bleibe und deshalb für niedrigere Arbeitslosenzahlen sorge.
Die Investitionen würden, so Yuriko Backes, weiter hoch bleiben (3,149 Milliarden in diesem Jahr) und bis 2026 3,8 Milliarden erreichen. Noch in diesem Jahr, so eine weitere Ankündigung, werde der Staat einen weiteren Kredit aufnehmen; die Verschuldung bleibe bis 2026 bei etwa 26 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.
Wirtschaftsminister Franz Fayot (LSAP) ging seinerseits auf das nationale Reformprogramm ein. Laut EU-Kommission orientiert sich dieses Programm an vier großen Prinzipien: Umwelt, Produktivität, Gleichheit und makroökonomische Stabilität. Der Minister lieferte denn auch zahlreiche Beispiele Luxemburger Politik, die diesen Vorgaben entsprechen. Am Donnerstag wird das Parlament über die Berichte debattieren.
François Benoy („déi gréng“) sieht im neuen Abfallgesetz einen Paradigmenwechsel hin zu einem Null-Abfall-Ziel. Insgesamt fünf Gesetzestexte präsentierte der Präsident der Umweltkommission, die in der Tat zahlreiche Neuerungen bedeuten. Unter anderem wird mittelfristig Einweggeschirr in der Gastronomie und bei Festen verboten, die Recycling-Zentren werden zu Ressourcen-Zentren und können künftig alle unabhängig vom Wohnort genutzt werde. Es werden bei Supermärkten, die größer als 1.500 Quadratmeter sind, insgesamt 45 neue solche Zentren entstehen, bei denen die Kunden ihre Verpackungen abgeben können, Bauschutt darf nur mehr bis 2030 anfallen, ab dann muss das Material getrennt und genutzt werden. Littering, also das Wegschmeißen von Müll in die Natur, wird härter bestraft, kostenlose Plastiktüten für Kunden wird es demnächst nicht mehr geben. Obst und Gemüse unter einem Gewicht von 1,5 Kilo müssen von den Geschäften verpackungsfrei angeboten werden und die Supermärkte müssen einen Plan gegen Lebensmittelvergeudung aufstellen und sich daran halten.
Ein Pfand für Luxemburg
Problematischer wird wohl die Absicht umzusetzen sein, ein Pfandsystem für Luxemburg einzuführen. Getränkebehälter sollen für 10 Cent bis 1 Euro zurückgegeben werden können.
Daneben soll Werbung nicht mehr an Fahrzeuge geheftet werden können, und nur wer sich ausdrücklich dafür ausspricht, wird künftig Werbeprospekte im Briefkasten finden. Die Gemeinden werden weiter für die Haushaltsabfälle zuständig sein, können aber auch verschiedene andere Abfallsorten entsorgen.
Schließlich sollen elektrische und elektronische Geräte vom Verkäufer zurückgenommen werden und einer Weiterverwertung zugeführt werden. Bis 2023 sollen daneben 70 Prozent aller Batterien und Akkus eingesammelt werden.
Grundsätzlich begrüßte Jean-Paul Schaaf (CSV) die Zielsetzung der Gesetze, verwies aber auf die geringe Größe des Landes: Man hätte sich mit den Nachbarländern absprechen müssen … Er warf die Frage auf, ob die neuen Recycling-Zentren in großen Supermärkten effizienter seien als das bisherige Valorlux-System (das weiter bestehen bleibt). Auch das angestrebte Pfandsystem kommentierte er kritisch. Die CSV stimme für drei der vorliegenden Gesetze und gegen zwei andere.
Dass Reparaturen oft teurer seien als ein Neukauf, mache ebenso wenig Sinn wie die Tatsache, dass vieles produziert werde, um kurz nach dem Kauf weggeschmissen zu werden, so Max Hahn (DP). Es müsse etwas geschehen, so der Abgeordnete, der darauf verwies, dass 60 Prozent des Abfalls in den grauen Tonnen eigentlich einer Wiederverwertung zugeführt werden könnten, statt verbrannt zu werden.
Cécile Hemmen (LSAP) riet dazu, die Umsetzung der Texte ganz genau zu beobachten; die vielen neuen Regeln dürften die Bürger nicht verwirren. Die Einführung des Pfandsystems für Luxemburg qualifizierte sie als „quasi unmöglich“ und auch das vorgesehene Verbot von Einwegverpackungen sei schwierig umzusetzen, besonders für Lieferdienste.
„Betriebe müssen umdenken“
Den Fragen und Zweifeln mancher Vorredner begegnete Stéphanie Empain („déi gréng“) mit der Bemerkung, die Betriebe müssten umdenken. Bei Kontakten mit der Wirtschaft im Vorfeld der Abstimmung habe sie nirgendwo komplette Ablehnung erlebt. Die Notwendigkeit zum Handeln sei allgemein anerkannt.
Kritisch sah auch Fred Keup (ADR) die Gesetzesvorlagen. Besonders die 45 neuen Recycling-Zentren in Supermärkten seien überflüssig. Er sehe den Mehrwert gegenüber dem Valorlux-System nicht.
Fundamental stellten die Neuerungen nichts infrage, so Myriam Cecchetti („déi Lénk“). Es handele sich demnach keinesfalls um eine Revolution. Es würden lediglich neue Firmen entstehen, deren Gewinne die Bürger bezahlen müssten. Dem Konsumwahn sei so nicht beizukommen. Cecchetti nannte das Beispiel von Mobiltelefonen: Würden diese statt drei Jahre zehn genutzt werden, so könnten allein mit dieser Maßnahme 50 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden.
Die Drive-in-Zentren in den Supermärkten würden 16-mal mehr kosten als die Entsorgung über das klassische Valorlux-System, so Marc Goergen (Piraten). Das Pfandsystem hätte seiner Meinung nach mit den Nachbarn abgesprochen werden müssen. Die Ziele der Vorlage begrüßte er, die Umsetzung allerdings nicht.
Abschließend fand Übergangsumweltminister Claude Turmes („déi gréng“), wie viele seiner Vorredner, lobende Worte für die demissionäre Carole Dieschbourg, deren Handschrift die Gesetze tragen. Es müsse etwas unternommen werden, so Turmes und führte das Beispiel von Mikroplastik an, mit dem die Menschen sich selbst vergifteten. Luxemburg produziere pro Kopf jährlich 750 Kilo Abfall, der EU-Durchschnitt liegt bei 505 Kilo. Dies erkläre auch die Notwendigkeit einer ambitionierten Umsetzung der EU-Direktiven, die als Basis für die Gesetze dienten.
Die fünf Texte wurden mit unterschiedlichen Mehrheiten verabschiedet. Die neuen Regeln werden nach verschiedenen Übergangsfristen gelten.
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