Editorial / Das Ende vom Lied – Kulturjournalismus in Zeiten von Corona
Im Editorial der letzten Ausgabe der Musikzeitschrift Q erinnert sich Chefredakteur Ted Kessler an den Fragebogen, den man ihn bat, auszufüllen, als er für den Posten kandidierte. Eine Frage ging so: „Was bereitet ihnen Angst, in Hinsicht auf den Job?“ „Ich war mir bewusst, dass meine Antwort furchtlose Begeisterung ausstrahlen sollte. Aber es gab eine Sache, die mir tatsächlich Angst machte. Ich wollte nicht der letzte Chefredakteur der Q sein. Während des Debriefings lachte mein Chef. Das wird nicht passieren, meinte er.“
Das Ende der Q ist keine Randerscheinung. 2018 musste die kulturelle Wochenzeitung les inrocks mehrere Redakteure entlassen, um zu überleben, im selben Jahr stellte das NME nach 66 Jahren seine Printausgabe ein und existiert heute nur noch als Online-Magazin. Der deutschen Spex blühte ein ähnliches Schicksal – nachdem die Papierversion 2018 eingestellt wurde und die Spex nur noch als Online-Abo zu lesen war, läutete die Corona-Krise nun auch das Ende der digitalen Zeitung ein. Am 4. August kündigte der Verlag an, dass man einen „drastischen Schritt gehe“ und den Betrieb der Spex einstelle, „bevor sie die Existenz des gesamten Verlages gefährdet hätte“. Mit dem Ende der Q und der Spex bestätigt sich eine Tendenz: Kulturmagazinen im Allgemeinen und Musikzeitschriften insbesondere ging es vor der Pandemie mies, doch weil während der Krise noch weniger Werbungen geschaltet wurden als sonst, geht es vielen jetzt so richtig beschissen.
Musikzeitschriften haben mich zu dem Menschen gemacht, der ich bin. In meiner Jugend wurde mein Musikgeschmack durch die gründlichen Recherchen und die spannenden Rezensionen, auf die ich beim regelmäßigen Lesen der Spex, des Musikexpress oder der Visions stieß, so sehr geprägt, dass ich heute noch viele meiner Auslandsreisen mit Konzertbesuchen kombiniere und jährlich Tausende von Kilometern zurücklege, um in feuchten Zelten mehr schlecht als recht zu übernachten – tagsüber aber tolle Bands auf Festivals sehe. Diese bildende Rolle übernehmen heute Spotify-Algorithmen, YouTube-Kanäle, soziale Netzwerke. Was hier allerdings fehlt, ist der Kontext, den tiefgründige Reportagen über ein Genre oder über die Musikindustrie liefern, es fehlen die analytischen Fähigkeiten, das enzyklopädische Wissen, die Bezugspunkte des professionellen Musikjournalisten.
Auch wenn die Spotify-Playlists dank „Deep Learning“ die Musikhörgewohnheiten meist präzise erfassen: Was fehlt, ist der Ansporn, etwas anderes zu hören. Algorithmen sollen den eigenen Geschmackshorizont ergänzen, nicht jedoch umwälzen. Sie funktionieren wie Didi-Hubermans Gespenstschrecken: Sie machen auf etwas aufmerksam, was man eigentlich längst in seinem Blickfeld hatte – man hat es nur noch nicht wahrgenommen. So wie man in sozialen Netzwerken nur den Anschein der Meinungsvielfalt erhält, in Wahrheit dort aber bloß seine Weltsicht bestätigt bekommt, so sind die meisten Empfehlungen an die Bands angelehnt, die man eh schon hört. In meiner Jugend hörte ich fast nur Indie-Rock. Begeisterte Besprechungen diverser Magazine, deren Meinung ich schätzte, verleiteten mich dazu, Metal, Post-Rock, Elektro, Hip-Hop, Jazz, Hardcore und Punk zu hören. Die Idiosynkrasien verschiedener Genres musste ich mir erst mal schönhören – heute sind diese alle fester Bestandteil meiner musikalischen DNA.
Im Laufe ihrer „Assises théâtre“ will die „Theater Federatioun“ ein ganzes Diskussionspanel der Rolle des Kulturjournalismus in Luxemburg widmen. Das ist eine lobenswerte Initiative – an den wirtschaftlichen Gegebenheiten, die erklären, wieso es auch hierzulande immer weniger Kulturjournalisten gibt, werden solche „Assises“ jedoch kaum etwas ändern.
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