Militär / Das fliegende Tankparadies: Unterwegs mit dem „Multi-Role Tanker Transport“
Neben dem Betrieb des eigenen A400M-Transporters, der in einer Flotte mit sieben belgischen Maschinen formiert ist, engagiert sich das Großherzogtum auch in einem Verbund von Transport- und Tankflugzeugen vom Typ A330. Die in den Niederlanden stationierte Einheit hat im März offiziell „Anfangsbereitschaft“ erlangt. Um einen Einblick zu geben, was (nicht nur) mit diesem Flugzeugtyp möglich ist, hat das Verteidigungsministerium zur Pressereise geladen. Dabei wurde gezeigt, wie das Auftanken in der Luft funktioniert – und wie NATO-Mitglieder gemeinsam den Luftraum über der Ostsee überwachen.
In der Versorgung mit Kraftstoff besitzt Luxemburg eine besondere Expertise, vor allem für viele Grenzgänger. Dass sich das Land in den vergangenen Jahren im Aufbau einer Flugtankerflotte eingebracht hat, begründet sich aber natürlich nicht in der Befähigung des Großherzogtums, besonders günstigen Zugang bieten zu können – sondern darin, dass es in Europa in Sachen Luftbetankung eine eklatante Versorgungslücke gibt. So „wurden diese Mängel bei den alliierten Luftoperationen im Kosovo, in Libyen und Mali festgestellt, wobei einige EU-Mitgliedstaaten […] auf US-Flugzeugbetankung zurückgreifen und sich darauf verlassen mussten“, resümierte man beispielsweise 2021 beim „Joint Air Power Competence Centre“.
Die Erkenntnis hatte bereits 2012 zu einer multinationalen Absichtserklärung über den Aufbau einer entsprechenden Kapazität geführt. Dem hatte sich auch Luxemburg angeschlossen, das hier langfristig eine Möglichkeit sah, sich im Rahmen der geplanten Erhöhung der Verteidigungsausgaben sinnvoll einzubringen.
Bald ergab sich die Gelegenheit, Nägel mit Köpfen zu machen: Als die niederländische Luftwaffe zwei veraltete McDonnell Douglas KC-10 durch modernere Maschinen ersetzen wollte, regte die Europäische Verteidigungsagentur die Aufstellung eines europäischen Tankflugzeug-Verbandes an.
Die Ausgaben
2016 waren per Gesetz 172 Millionen Euro vorgesehen, die über 30 Jahre für das „MMU“-Projekt ausgegeben werden sollten, woraus sich pro Jahr rund 200 Flugstunden ergeben hätten.
2020 wurde das Gesetz abgeändert – und Luxemburgs Beitrag auf 1.200 Stunden jährlich angehoben, was etwa der Leistung eines einzelnen Flugzeugs entspricht. Dazu wurde auch das Budget auf 598,4 Millionen Euro erhöht.
Gegenüber dem Tageblatt fächert das Verteidigungsministerium die Kosten so auf: 259 Millionen Euro für die Beschaffungskosten der Flugzeuge und 339,4 Millionen Euro für die Betriebskosten. „Die Erhöhung der luxemburgischen Beteiligung ermöglichte es dem Programm, die Bestellung eines neunten Flugzeugs einzuleiten“, heißt es. Da auch Belgien seine Beteiligung rezent erhöhte, seien aktuell zehn Maschinen bis 2026 eingeplant.
Das Projekt „Multinationale Mehrzweck-Tankflugzeug-Transporteinheit“ (in ihrem Hang zu ineinander verschachtelten Abkürzungen von der NATO „MMU“ benannt) wurde zuerst von den Niederlanden und Luxemburg getragen – und seither stetig erweitert, nicht nur durch das Zusteigen von Deutschland, Norwegen, Belgien und Tschechien: So hat Luxemburg seinen in jährlichen Flugstunden bemessenen Anteil am Verband von anfänglich 200 auf mittlerweile 1.200 ausgeweitet.
267 Plätze
Einige davon hat das Luxemburger Verteidigungsministerium am Dienstag (4. Juli) verwendet, um Pressevertretern einen Demonstrationsflug in einer der Maschinen anzubieten. Dabei handelt es sich um Flugzeuge vom Typ Airbus A330, die in die Militärversion KC-30A/M modifiziert wurden.
Beheimatet ist die MMU auf der „Vliegbasis“, dem militärischen Teil des Flughafens in Eindhoven. Dort fällt nach dem Einsteigen zunächst kein großer Unterschied auf zur zivilen Variante der Maschine. Auch diese hier bietet in Dutzenden Sitzreihen bis zu 267 Passagieren Platz. Allerdings kann die Konfiguration sehr schnell auf „MedEvac“ geändert werden: Damit entsteht ein fliegendes Krankenhaus mit bis zu sechs Betten, die denen auf einer Intensivstation gleichen. Weitere 16 Krankenbetten und spezielle Sitze für medizinisches Personal können ebenfalls installiert werden, um verletzte Soldaten zu transportieren – oder Hilfe bei humanitären Notfällen zu leisten.
Dass diese Version des rund 60 Meter langen Flugzeugs nicht dazu da ist, emsige Geschäftsleute oder – um Himmels willen – Horden von Touristen samt quengelnder Kinder zu verschicken, entgeht auf den zweiten Blick dann aber doch nicht: Dem äußeren Mausgrau schließen sich im Inneren auch nur sehr nüchterne Farbtöne an, in den Rückenlehnen fehlen die Hochglanz-Hefte und Duty-free-Broschüren – und größere Klassenunterschiede gibt es offenbar auch nicht.
Unbedingt abwehrbereit
Eine schon fast kultige Choreografie darf aber auch hier nicht fehlen: Während sich die Maschine langsam in Bewegung setzt, führen zwei Synchron-Pantomimen im Tarnfleck vor, wie man im Notfall an Sauerstoff oder nach draußen kommt – und erinnern daran, die Schwimmweste unbedingt erst nach dem Sprung in die Ostsee aufzublasen. Ein halbwegs beruhigender Gedanke: Neben den ohnehin hohen Sicherheitsstandards der Luftfahrt bietet dieses Flugzeug auch noch Verteidigungseinrichtungen wie etwa das Raketenabwehrsystemen DIRCM: Zumindest von der Schulter abgefeuerte Boden-Luft-Raketen soll dieses von ihrem Ziel abbringen. Und sollte jemand auf die Idee kommen, aus der Luft Ärger zu machen, dann wäre das heute eine ganz besonders schlechte. Aber dazu später mehr.
Denn zunächst begrüßen die beiden Piloten die Passagiere und fordern sie auf, ihre unzähligen Kameras und Laptops aus- oder zumindest in den Flugmodus zu schalten. Sicherlich mögen auch heute viele der Angesprochenen dem nicht Folge leisten, sei es aus Renitenz oder Versehen – aber auch dieser Flieger wird von keinem iPhone, das zunehmend verzweifelter Playlists und E-Mails an die NSA senden will, am Abheben gehindert: Zwei „Trent 772B“-Düsentriebwerke von Rolls-Royce und die Gesetze der Aerodynamik hieven Presse und Militär erst vom holländischen Boden und dann in den Sonnenschein über den heute reichlich vorhandenen Wolken.
Dort ist die Freiheit natürlich alles andere als grenzenlos, egal, was ein deutscher Barde behauptet: Zum Tagesprogramm während des Rundflugs nach Litauen gehört nicht nur die Demonstration der Fähigkeiten der fliegenden Tankstelle, sondern auch, was passiert, wenn jemand die unsichtbaren Grenzen des territorialen Luftraums verletzt oder sich darin abseits vom vereinbarten Kurs bewegt oder mit falschem oder fehlendem „Transponder“. Dann folgt nämlich umgehend eine Polizeikontrolle – die, natürlich, hier oben von schnellen Militärfliegern erledigt wird.
Auf dem Rundkurs, der über Deutschland, Polen, Lettland, Estland, Finnland, Schweden, Dänemark, Norwegen und das Vereinigte Königreich führt, gesellen sich immer wieder NATO-Jagdflugzeuge und kommen so nahe, dass man vom Airbus aus leicht die Piloten in den Kanzeln erkennen kann. Umgekehrt gilt das natürlich auch, und das ist ja Sinn der Sache: Wenn ein Flugzeug ein unerwartetes Verhalten aufzeigt und eventuell nicht einmal mehr Funkrufe beantwortet werden, muss letztlich über reinen Sichtkontakt versucht werden, Aufschluss über die Situation zu bekommen.
Zwischenstopp in Litauen
Der Anblick der Flugzeuge, die so nahe kommen, dass sich die Flügel beinahe berühren, hat etwas Bedrückendes: Sollte man diesen, beispielsweise, in einem Ferienflieger von Luxair haben, darf man recht ungetrost davon ausgehen, dass gerade etwas fürchterlich schiefläuft. Vor dem Abflug wurde in einem Vortrag an zwei Ereignisse erinnert, denen andauernde, irreguläre Flugbewegungen vorausgingen: Der absichtliche Absturz der Germanwings-Maschine im Jahr 2015, dessen Pilot 150 Menschen mit sich in den Tod riss. Und die Ereignisse des 11. September 2001, die nicht nur eine noch höhere Opferzahl mit sich brachten, sondern auch eine Zeitenwende, nicht nur der zivilen Luftfahrt.
Dass vor etwas mehr als einem Jahr eine weitere Zeitenwende stattgefunden hat, muss, natürlich, als der tiefere Hintergrund gesehen werden, sowohl für die Vorführungen auf dem Demonstrationsflug als auch für den Ort, an dem dieser unterbrochen wird: der Flughafen Šiauliai in Litauen.
Hier, wie an den Standorten Ämari in Estland und Malbork in Polen, sind abwechselnd Kampfflugzeug-Einheiten von 17 Bündnispartnern stationiert, die im Rahmen des „Baltic Air Policing“ (BAP) seit 2004 für Sicherheit sorgen sollen – und dies seit 2014 verstärkt („enhanced“) tun. Dies ist damit eine der derzeit fünf regionalen Missionen, die überall da eingerichtet sind, wo NATO-Mitglieder nicht über entsprechende Eigenmittel verfügen. Dies ist auch bei den baltischen Staaten weiterhin der Fall, weshalb sich in Šiauliai im Rotationsprinzip alle vier Monate zwei Kontingente abwechseln, die je typischerweise vier Flugzeuge und etwa 100 Mann Personal umfassen.
„Ein unsicheres Umfeld“
Für die Presse wird demonstriert, wie schnell der „Quick Reaction Alert“ funktioniert, über den die Maschinen nach der Alarmierung in die Luft gebracht werden, um den „Intercept“ durchzuführen. Die portugiesischen und rumänischen Piloten und Crews sind eben erst unter Sirenengeheul zu den in Hangars wartenden Maschinen gelaufen, als den Journalisten gerade noch Zeit bleibt, sich doch lieber die ausgeteilten Stöpsel in die Ohren zu stecken – und schon donnern zwei F-16 erst den Runway entlang und dann in den grauen Himmel über Litauen. „Bislang haben wir 34 Einsätze mit der Kennzeichnung ‚A‘ durchgeführt“, bilanziert der aktuelle Kommandeur der portugiesischen Staffel den seit April laufenden Turnus. Es habe sich um „reale Einsätze“ gehandelt, bei denen 46 Flugzeuge identifiziert und begleitet worden seien – nämlich nachrichtendienstliche Sammel- und Kampfflugzeuge der Russischen Föderation.
Das bedeutet keinesfalls, dass die russischen Flugzeuge den internationalen Luftraum verlassen hätten: Um den „Intercept“ auszulösen, reicht es aber, dass kein Flugplan vorliegt oder die identifizierenden Transponder ausgeschaltet sind, um entsprechende Vorsicht – und damit einen Alarm – auszulösen. Denn: „Solche Aktionen können ein unsicheres Umfeld schaffen und, beispielsweise, Luft-Luft-Unfälle verursachen“, heißt es in einer Erklärung der NATO. Zudem könne es sich auch um feindselige Handlungen wie Flugzeugentführungen handeln. Die NATO-Luftraumüberwachung werde darum „innerhalb und in der Nähe des NATO-Luftraums weiterhin auf Flugzeuge reagieren, die sich nicht an die internationalen Flugvorschriften halten, oder auf Flugzeuge, die in der Nähe der NATO-Grenzen operieren“.
Auf dem Rückflug Richtung Eindhoven gesellen sich erneut immer wieder Kampfjets aus acht Nationen sowie vom NATO-Partner Schweden hinzu. Dabei werden nicht nur weitere „Intercepts“ simuliert, sondern auch eine weitere Kernkompetenz des umgebauten A330 ausgerollt – im wahrsten Wortsinne: Denn jetzt wird auch noch das Auftanken in der Luft vorgeführt.
2.000 Liter pro Minute möglich
Dazu werden flexible Schläuche aus den Flügeln freigegeben, an deren Ende sich eine Konstruktion befindet, die etwa einem Federball ähnelt. In diesen „Trichter“ muss sich das aufzutankende Flugzeug mit einer ausfahrbaren Sonde einklinken, um die Verbindung herzustellen. Wenn das geklappt hat, was bei der ersten Vorführung nicht der Fall ist, können bis etwas mehr als 2.000 Liter Kraftstoff pro Minute abgepumpt werden – wobei der Sprit dann aber dem Tankflugzeug für den eigenen Weiterflug fehlt, da das Abgabe-Kerosin nicht etwa in einem eigenen Tank liegt.
Mit der beschriebenen Methode können Eurofighter, Tornados und Mirage 2000 ihre Missionszeit ausweiten – während für Flugzeuge wie die F-16, F-35, C17 und Awacs ein rohrartiger Ausleger („Boom“) vom Heck des Flugzeugs Verbindung mit dem Einfüllstützen des zu betankenden Flugzeugs aufnimmt.
Nach der Rückkehr nach Eindhoven bilanziert Generalmajor Harold Van Pee, Befehlshaber des Combined Air Operations Centre im deutschen Uedem, was der Rundkurs vermitteln sollte – nämlich „dass die alliierte Luftmacht über die Fähigkeit, die Bereitschaft und die Legitimität verfügt, die territoriale Integrität der NATO-Staaten insbesondere an der Ostflanke zu verteidigen“.
Luxemburg und die NATO
Obwohl das Großherzogtum natürlich nur über eine vergleichsweise kleine Armee verfügt, engagiere es sich dennoch vielfältig in der Verteidigung, erklärte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums an Bord des A330. Schließlich sei man „sowohl in der Luft als auch am Boden im Cyberspace und im Weltraum aktiv“, erklärte Michael Schuster gegenüber dem Tageblatt. Besonders hervorzuheben seien dabei Projekte wie das der Satellitenkommunikation, das man derzeit in Kooperation mit den USA durchführe und wobei die Technik der SES genutzt werde.
„Wir werden aber auch eine Cybercloud im Verteidigungsbereich aufstellen, in der wir klassifizierte als auch nicht-klassifizierter Daten speichern können und einen Erdbeobachtungssatelliten lancieren“, erklärte der Ministeriumssprecher. Verteidigungsminister François Bausch hatte im Juni angekündigt, bis 2028 die Verteidigungsausgaben auf ein Prozent des BIP zu erhöhen – was laut Statec in absoluten Zahlen derzeit rund 994 Millionen Euro ausmachen würde. Vom „Zwei-Prozent-Ziel“, das die eigentliche Vorstellung der NATO ist, wäre man damit aber immer noch weit entfernt.
„Der speziellen wirtschaftlichen Situation Luxemburgs muss aber Rechnung getragen werden“, erklärte der Ministeriumssprecher gegenüber dem Tageblatt. Daher sei es die Vorstellung des Ministers Bausch, „dass das Bruttonationaleinkommen anstatt des Bruttoinlandsproduktes für die Berechnung des Defense-Investments von Luxemburg genutzt wird“. Es sei nun einmal so, dass zwar extrem viele Grenzgänger zur wirtschaftlichen Leistung beitragen – „aber für viele Berufe im Verteidigungsbereich nicht zur Verfügung stehen“. Darum sei das Bruttoinlandsprodukt überproportional. In der Verteidigung habe man schlicht „nicht die nötigen Aufnahmekapazitäten für so hohe Investitionen“. Luxemburg wird diese Position auch beim NATO-Gipfel vertreten, der Dienstag und Mittwoch im litauischen Vilnius abgehalten wird. Dort sind Premierminister Bettel, Verteidigungsminister Bausch und Außenminister Asselborn anwesend.
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