Quergelesen / Das Golgotha der Ureinwohner Nordamerikas
Vor 50 Jahren gedachten aufständige Sioux in Wounded Knee des dortigen Massakers von Dezember 1890. René Oth besinnt sich auf dieses blutige Ende der Indianerkriege.
Vom 27. Februar bis zum 8. Mai 1973 – also vor 50 Jahren – kam es bei Wounded Knee in South Dakota zu einem blutigen Indianeraufstand, als 300 militante, mit Schnellfeuergewehren ausgerüstete Lakota-Sioux des Oglala-Stammes, allesamt Mitglieder des radikalen „American Indian Movement“, in die kleine Ortschaft einfielen, sich einiger weißer Geiseln bemächtigten, sich hinter einem um die Kapelle des nahegelegenen „Wounded Knee Historical Site“ gebauten Verteidigungsring verschanzten und auf einen Katalog von berechtigten Forderungen zur Beseitigung ihrer sozialen Notlage beharrten. Obwohl sich Ureinwohner aus allen Teilen des Landes mit den in Wounded Knee von US-Sicherheitskräften Belagerten solidarisierten, endete die unter Führung des Oglala Russell Means begonnene Rebellion in einem Fiasko – ohne greifbare Resultate.
In seiner Neuerscheinung „Zeiten der Auflehnung: Eine Geschichte des indigenen Widerstandes in den USA“ (1) schildert Aram Mattioli erstmals eindrücklich die Historie autochthoner Selbstermächtigung der First Peoples im 20. Jahrhundert und erinnert an die schicksalhaften Augenblicke des Aufbegehrens gegen den übermächtigen Staat. Zu diesen außergewöhnlichen Momenten der kämpferischen Rebellion gehört auch der Aufruhr der Oglala-Sioux bei Wounded Knee, der vor einem halben Jahrhundert die United States in helle Aufregung versetzte.
Wounded Knee als Begräbnisstätte und Wallfahrtsort
Warum ereignete sich diese Erhebung gerade in Wounded Knee? Dafür gibt es zwei Gründe. Crazy Horse, der größte Feldherr und Stratege der nordamerikanischen Indianer, hatte kurz vor seinem Ableben seine Eltern darum gebeten, sein Herz am Fluss Wounded Knee an einem geheimen, nur ihnen bekannten Bestattungsort zu begraben, was sich im Titel des Bestsellers „Begrabt mein Herz an der Biegung des Flusses“ (2) von Dee Brown offenbart, einer Geschichte des „Westward Ho“ aus der Sicht der Ureinwohner, deren Versuch, mit dem weißen Mann in Frieden und Harmonie zu leben, an dessen ruchlosem Verhalten gescheitert war.
Wounded Knee befindet sich in South Dakota am südlichen Rand des Pine-Ridge-Reservats, wo sich, abseits aller Touristenströme, das „Wounded Knee Historical Site“ versteckt, ein Schandfleck der amerikanischen Geschichte, der an das berüchtigte Massaker am Wounded Knee Creek gemahnt, das in meinem Mysterythriller „Die Rückkehr aus den ewigen Jaggründen“ (3) im Mittelpunkt der Geschehnisse steht: „Dort verging sich 1890 die US-Armee aufs Schrecklichste an einem ausgehungerten, erschöpften und kranken Sioux-Trupp, der aus dem Reservat ausgebrochen war. 150 Männer, 250 Frauen und eine unbekannte Zahl von Kindern wurden durch eine betrunkene Abteilung des 7.-Kavallerie-Regiments, George Armstrong Custers ehemaligem Kommando, einfach abgeschlachtet. Eine Batterie von Schnellfeuer-Hotchkiss-Kanonen mähte die wehrlosen Indianer um. Eines der ersten Opfer war ihr an einer schweren Lungenentzündung leidender Anführer Big Foot, der im klirrenden Frost des 29. Dezember 1890 zu einer grotesken Gestalt des Grauens erstarrte – so wie er zu Boden gestürzt war.“
Eine hässliche Bluttat, die nicht vernarben will
Als ich vor Jahren mit meiner Familie in Wounded Knee weilte, musste ich unentwegt mit aufgewühlten Gedanken an diesen grässlichen Massenmord denken, der sich sogar in der von mir betrachteten Landschaft widerspiegelte, was ich als eine autobiografische Szene in meinen epischen Roman einarbeitete:
„Vor uns dehnte sich trockenes Grasland aus, das jetzt noch genauso aussah wie in jenen schrecklichen Tagen. Alles war unverändert geblieben – der unscheinbare Hügelkamm, die Baumgruppen und der Graben, in den seinerzeit die Sioux von Big Foot in ihrer Todesangst gesprungen waren, um sich vor den Kugeln der weißen Mörder zu schützen. Wir standen auf unserer Erhebung dicht am Ansatzpunkt dieser Vertiefung, die sich in starken Krümmungen als wasserlose Schlucht von uns wegzog. In deren Einbuchtungen hatten sich damals Frauen und Kinder hinter verkümmerten Kiefern vor den berittenen Soldaten zu verstecken gesucht, die am Rand des kleinen Canyons entlanggeritten waren und von oben aus allen Rohren auf die wehrlosen Geschöpfe gefeuert hatten. Nach dem Massaker war ein heftiger Schneesturm in die viel gekrümmte Mulde hineingefegt. Die weißen Schlächter hatten diese zu einem einzigen langen Grab hingemetzelter Indianer umgewandelt. Wir begriffen instinktiv, dass noch etwas anderes dort im blutigen Schlamm gestorben und vom Blizzard im Schnee begraben worden war: der Traum eines stolzen Volkes von einem besseren und gerechteren Leben, ein schöner Traum. Wir verharrten hier auf dem Golgotha der roten Rasse, dessen Bezeichnung man zu Recht von der außerhalb der alten Stadtmauer Jerusalems gelegenen Kreuzigungsstätte Jesu entlehnt hatte.“
Hier am Wounded-Knee-Mahnmal, einem hellen Monolithen, der an der Spitze in die Form einer Urne ausläuft, von Gittern umzäunt gegen Himmel ragt, die eingemeißelten Namen der 1890 an dieser Stelle feige und rücksichtslos hingemetzelten Indianer trägt und von einem schmucklosen Gedenkfriedhof umgeben ist, wurde die Unbeugsamkeit der stolzen Autochthonen gebrochen, schwand der Glaube an die eigenen Riten dahin und wurde der Anspruch auf das eigene Land für immer beerdigt. Und trotzdem umgibt diese Stätte der Erinnerung noch immer eine Aura sehnsuchtsvoller Verklärtheit.
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