Preiserhöhungen / „Das hat es noch nie gegeben“ – Sudenergie-Direktor über den Gasmarkt in Europa
Ab Oktober kostet das Gas die Luxemburger bis zu 90 Prozent mehr. Das bestätigen die großen Gasversorger des Landes gegenüber dem Tageblatt. Was passiert da gerade auf dem europäischen Gasmarkt? Sudenergie-Direktor Alain Fürpass über Gasflüsse, Krieg und ein „historisches“ Preisniveau.
Wird ein Teil der Prognose schon jetzt Realität? Eine Steigerung von 90 Prozent beim Gaspreis hielt Luxemburgs Statistikbehörde in seiner Inflationsprognose in der vergangenen Woche für möglich – im „zentralen“, wahrscheinlichen Szenario, in dem noch im vierten Quartal dieses Jahres eine Indextranche ausgelöst werden würde. Jetzt, eine Woche später, melden zwei große Gasversorger in Luxemburg, dass sie die Preise für die Endkunden erhöhen.
Der Energiekonzern Encevo, der über seine Tochterunternehmen Enovos und LEO das Gas für 49,5 Prozent der ans Gasnetz angeschlossenen Privathaushalte stellt, antwortet auf eine Tageblatt-Anfrage am Donnerstag: „Nachdem wir die Preise über die vergangenen Monate konstant halten konnten, werden wir diese leider für Lieferungen ab Oktober anpassen müssen. Aktuell gehen wir von Preiserhöhungen um die 80 Prozent aus (für Durchschnittskunden).“ Die Gaspreise auf den Großhandelsmärkten hätten sich seit Februar mehr als verdoppelt. Und die Unsicherheit bliebt: „Die unvorhersehbare Entwicklung der russischen Gaslieferungen wird über die nächsten Monate den Preis auf den Großhandelsmärkten weiterhin maßgeblich beeinflussen“, schreibt Encevo. „Nachdem wir die Preise über die letzten Monate konstant halten konnten, werden wir diese leider für Lieferungen ab Oktober anpassen müssen.“
Das Unternehmen geht „aktuell“ von einer Preiserhöhung von 80 Prozent für die Durchschnittskunden aus. Bei Kunden, bei denen die Abschläge schon im Sommer angepasst wurden, fiele die Erhöhung geringer aus. Die Preisentwicklung werde weiterhin durch „die sehr nervösen Märkte“ getrieben, schreibt Encevo. Im Vergleich zum letzten Jahr haben sich die Preise für den durchschnittlichen Endkunden bis heute verdoppelt.
81.092 Haushalte, rund 30 Prozent, sind laut dem Regulierungsinstitut ILR in Luxemburg ans Gasnetz angeschlossen. Das hierzulande verbrauchte Erdgas wird über Hochdruckleitungen aus Belgien und Deutschland importiert. 2021 kamen 6.874 Gigawattstunden aus Belgien und 1.780 aus Deutschland.
Sudenergie ist der zweite große Gasversorger in Luxemburg. Das Unternehmen mit Sitz in Esch beliefert 49,2 Prozent der Luxemburger Gashauthalte. Im Tageblatt-Gespräch erklärt Direktor Alain Fürpass, warum die Priese steigen – und was auf die Kunden noch zukommen könnte.
Tageblatt: Herr Fürpass, was ist da los auf dem Gasmarkt?
Alain Fürpass: Der Gasmarkt ist momentan sehr instabil und der Preis steigt stetig. Vor zwölf Monaten hat die Megawattstunde Gas für das Produkt Q4 22 an der Börse rund 20 Euro gekostet. Jetzt liegen wir bei 217 Euro, die vergangenen Tage ist der Preis noch einmal um 14 Prozent gestiegen.
Gab es so ein Preisniveau schon einmal?
Nein, so hoch sind die Preise noch nie gestiegen, das ist historisch. Das hat es noch nie gegeben.
Um welchen Betrag erhöhen Sie den Preis?
Die Erhöhung wird zwischen 80 und 90 Prozent liegen, das betrifft den Jahrespreis. Der Gaspreis setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen. Es gibt den Energieteil, die Netznutzungskosten, die CO₂-Steuer, die Gasabgabe und auf das alles noch die Umsatzsteuer. Der Teil, der angepasst wird, ist die Energie selbst, die anderen Komponenten nicht. Wenn man das auf ein Jahr hochrechnet, wird das eine Steigerung von 80 bis 90 Prozent ab Oktober.
Eher 80 oder eher 90 Prozent?
Wie viel es schlussendlich sein wird – da beobachten wir bis zum letzten Zeitpunkt den Markt. Das werden wir dann Ende August unseren Kunden kommunizieren. Wir müssen sie 30 Tage vor einer Preiserhöhung informieren. Wir werden es nicht unnötig hoch ansetzen, sondern der Marktsituation bestmöglich angepasst. Wir wissen leider nicht, wie sich der Markt in den nächsten Wochen entwickeln wird. Schon bei der Abschlussrechnung im Juli haben wir den Kunden ein Schreiben beigelegt, in dem wir sie darauf hingewiesen haben, dass im Herbst drastische Preissteigerungen bevorstehen werden.
Drohen denn noch weitere Preissteigerungen? In diesem Jahr?
Der Markt entwickelt sich weiter. Das heißt, dass wir in den nächsten Monaten weiter genau beobachten werden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass noch eine weitere Preiserhöhung kommen kann. Wenn Gazprom sich um 17 Uhr entschließt, Nordstream zuzudrehen, kann das alles anders aussehen. Die Aussagen sind Stand heute. Und wir sehen, dass sich der Markt alleine von gestern auf heute sehr nach oben bewegt hat.
Was, wenn Kunden die höheren Preise nicht zahlen können?
Wir haben mit den Menschen immer versucht, Vereinbarungen zu treffen. Zum Beispiel können sie Nachzahlungen über mehrere Monate hin zurückzahlen. Ansonsten können wir leider nicht viel helfen, das ist glaube ich auch eine Mission des Staates. Wir haben auch Vorlieferanten, die wir bezahlen müssen.
Woher bekommen Sie das Gas?
Wir kaufen das Gas an der Börse ein. Physisch kommt das Gas größtenteils aus Belgien, 80 Prozent. 20 Prozent kommen aus Deutschland. Das Gas für Belgien kommt aus Norwegen, England, den Niederlanden, wo auch russisches Gas hinzukommt. Zudem gibt es den Terminal in Seebrügge, wo die LNG-Schiffe anlegen, unter anderem aus Katar. Aber: Das eine ist die Börse, das andere die physischen Lager. Man muss einen Unterschied machen zwischen dem Markt und dem, was aus den Leitungen kommt.
Wann geben Sie die Preise an den Kunden weiter?
Die Preise geben wir nicht so an den Endkunden weiter. Die Börse hat sich verelffacht in einem Jahr. Es ist nicht so, als würden wir unseren Tarif verelffachen. Aber wenn die Krise länger dauert … Sie hält ja schon länger an.
Auf dem Markt gibt es schon länger eine Krise?
Wir hatten ja schon vorher eine Energiekrise, die hat nicht erst mit dem Krieg begonnen. 2021 wurde im April und Mai noch sehr viel geheizt, es gab historisch tiefe Temperaturen, auch über den letzten Sommer hinweg gab es weniger Sonnenschein und weniger Wind in Europa. Es wurde mehr Gas gebraucht, um Strom zu produzieren. Hinzu kam der Füllstand der Speicher, die waren auf einem historischen Tiefpunkt. Und dann hat auch noch der Flüssiggas-Markt in Asien angezogen. Es wurden mehr Tanker nach Asien geschickt. So kam es ein bisschen zu einem Manko im Angebot in Europa. Da gab es schon einen ersten großen Preissprung nach oben.
Wie hat sich der Preis dabei entwickelt?
An der Börse war das von 20 Euro pro Megawattstunde auf 50 oder 60 Euro. Das war der Beginn der Krise im Oktober. Im Dezember lag der Preis zeitweise bei 130 Euro. Zur Jahreswende ist er dann auf 80 Euro zurückgekommen. Aber er lag nach Anstiegen immer auf einem höheren Niveau als vorher. Anfang des Krieges ist er dann durch die Decke geschossen, auf bis zu 140 Euro für die Megawattstunde. Danach hat er sich etwas beruhigt – und dann kam die berühmte Wartung der Pipeline Nordstream 1 und die Drosselung auf 40 Prozent. Dann ist der Preis auf 198 Euro gestiegen. Als die Wartung vorbei war, hat sich auch der Markt erneut etwas beruhigt und der Preis ist zurück auf 160 Euro gefallen. Aber dann wurde die Liefermenge von Nordstream 1 auf 20 Prozent gedrosselt. Und seitdem steigt der Preis, vor allem in den vergangenen Tagen. Jetzt liegen wir bei diesen 217 Euro.
Sind die 20 Prozent, die noch durch Nordstream kommen, genug?
Deshalb hat die EU ja Maßnahmen beschlossen, dass 15 Prozent eingespart werden sollen, vom 1. August bis zum 31. März. Eine freiwillige Maßnahme, die in eine Obligation umgewandelt werden kann. Dann muss eingespart werden, bei den Kunden zu Hause, bei der Industrie.
Gretchenfrage: Wie wird sich der Preis in den nächsten Monaten entwickeln?
Hätte ich diese Glaskugel, das wäre gut. Wir beobachten den Markt stündlich. Wenn morgen Nordstream 1 komplett abgedreht wird, geht der Preis sicher noch ein ganz großes Stück nach oben. Würde dagegen mehr Gas kommen, würde sich das beruhigend auf den Markt auswirken. Und dann ist da die Sache mit den Speichern. Der Füllstand zum 1. Oktober soll bei 90 Prozent liegen. Wenn wir den erreichen, wird sich das sicher beruhigend auf den Markt auswirken. Aber dafür muss irgendwo Gas herkommen.
Ich würde gerne eine Prognose machen, aber momentan kann ich nur sagen, dass der Markt sehr angespannt ist und auf alles reagiert. Da wirken sich auch die Temperaturen und die Dürre aus. Es wird schwieriger, Strom zu produzieren. Es ist kein Wasser in den Flüssen, im Rhein wird die Frachtschifffahrt wegen des historisch niedrigen Pegelstands eingestellt. Das bedeutet, dass Kohle nicht mehr transportiert werden kann, mit der Strom produziert wird. In Frankreich wurden Atomreaktoren heruntergefahren, weil nicht mehr genügend Wasser in den Flüssen zum Kühlen ist. Auch Cattenom greift nicht mehr auf die Mosel zu.
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Wie üblich wird der Verbraucher wieder stark abgezogt,
und die Gaskonzerne fahren wieder Riesengewinne ein,
wo bleibt da eine Logik ??
Gutt erklärt!
Mol een Artikel wou sämtlech Zesummenhäng erklärt ginn! Merci dem Här vu Sud Energie!
Merci dem Journalist!
Mir ist nicht geheuer, es sieht so aus als ob die Multis auf den Ukrainekrieg gewartet hätten.
Wir haben das Nachsehen, wo bleibt der politische „WILLE“ der EU.
H. Senzig, bitte mal recherchieren, was die SHELLs, BPs und Co. so an Gewinnen einstreichen werden, dieses Jahr. Ist kaum zu glauben!
„Im Vergleich zum letzten Jahr haben sich die Preise für den durchschnittlichen Endkunden bis heute verdoppelt.“
Stimmt nicht: x 2,5 -facht!
Der Lohn der Sanktionen… vielen Dank!