/ Sintflut und Endlos-Sommer: Das Wetterjahr, das in Luxemburg niemanden kalt ließ
Das Jahr 2018 hatte schon einen ziemlichen Warmstart hingelegt: Nachdem an Silvester in Remich mit beinahe 14 Grad der höchste Wert des Winters gemessen wurde, ging der Januar als zweitmildester seit Beginn der Aufzeichnungen am Findel 1947 in die Wettergeschichte ein. Und Wärme und Trockenheit prägten auch fast alle folgenden Monate.
Wer an den zurückliegenden Sommer denkt, erinnert sich wohl lebhaft an die lang anhaltende Hitze, die auch in vielen Nächten kaum nachließ – und nicht zuerst an Regengüsse. Dabei begann zumindest der meteorologische Sommer sogar derart nass, dass in Teilen von Luxemburg „Land unter“ gemeldet werden musste: Noch in der Nacht zum 1. Juni hatte der Wetterdienst Meteolux roten Alarm ausgegeben und vor „sintflutartigen Regenfällen“ gewarnt – die dann auch kamen und das gesamte Land eindeckten.
Besonders heftig wurde aber die Region Müllerthal getroffen: Bis 8 Uhr hatte das Rettungskorps CGDIS hier schon 100 Einsätze gezählt. Überschwemmungen und Schlammlawinen verwüsteten Häuser, zerstörten Straßen und trieben Autos weg. Manche Ortschaften wie Berdorf waren von der Außenwelt abgeschnitten, die Wasserversorgung zusammengebrochen (Artikel: Dreck, Brühe, Verzweiflung – und Zusammenhalt im Müllerthal).
Trügerische Statistiken
Dabei regnete es 2018 letztlich nicht mehr als üblich – und nein, auch nicht weniger: „Die Jahresniederschlagssummen waren vergleichbar mit dem langjährigen Durchschnitt 1981-2010“, stellt der staatliche agrarmeteorologische Wetterdienst der „Administration des services techniques de l’agriculture“ (ASTA) fest. Der Wert ist geradezu ein Paradebeispiel dafür, wie trügerisch Statistiken sein können, wenn sich etwa die Extreme in der Summe gegenseitig auslöschen. Denn natürlich „wies die Verteilung ein signifikantes Defizit in den Sommermonaten auf“: Darum gab es erst mal Millionenschäden und brenzlige Situationen, etwa als Baumstämme und Geröll im Müllerthal über einen Zeltplatz gespült wurden.
Und dennoch war dies eben kein Menetekel für den folgenden Sommer – ganz im Gegenteil: „Alle drei Monate des Sommers 2018 waren von sehr warmen und trockenen Wetterbedingungen geprägt“, fasst das LIST (Luxembourg Institute of Science and Technology) in seinem Meteorologischen Bulletin (PDF) ganz nüchtern die Wochen zusammen, die manche freudig als endlosen Sommer feierten, während andere die ständige Hitze bald verfluchten.
Und dass das alles nicht normal war, das bestätigt diesmal auch der langjährige Mittelwert: „Das Jahr 2018 war um bis zu 1,9 Grad wärmer als der langjährige Durchschnitt 1981-2010“, erklärt ASTA-Mitarbeiter Andrew Ferrone in der Rückschau. (Die detaillierte Rückschau auf 2018 finden Sie hier.) Für diese sind die 2018er Daten von vier Wetterstationen (in Asselborn/Norden, Küntzig/Südwesten, Remich/Moseltal und Grevenmacher/Moseltal) mit den Werten der vergangenen Jahrzehnte verglichen worden.
Das macht klare Trends erkennbar: So lagen die mittleren Temperaturen nur im Februar und März unter dem Durchschnitt. Der Januar war besonders warm – in Remich stieg das Quecksilber um 4,2 Grad höher als in den Jahren 1981 bis 2010.
Bild: Dieser Ausschnitt aus der Analyse des ASTA zeigt, wie stark die Werte ausschlagen: Zu sehen sind jeweils die Abweichung vom langjährigen Mittel: oben bei der Temperatur in Grad, unten beim Niederschlag in Prozent.
Auch beim Niederschlag ragt Remich im Januar hervor: Ein Plus von 134 Prozent wird hier verzeichnet. Doch für den Juli hängt die Säule im Diagramm nur umso mehr von der Nulllinie herunter: Rund 90 Prozent weniger Niederschläge sind dort gemessen worden. In Grevenmacher und Remich fielen im Juli nur 4 beziehungsweise 6 Millimeter Regen vom Himmel.
37,3 Grad als Maximum
Das absolute Maximum der Lufttemperatur wurde mit 37,3 Grad am 7. August an einer Station in Echternach (ASTA) registriert – wo es mit 31,2 Grad am 18. September auch im Herbst noch am wärmsten war.
Was der endlose Sommer am Boden anrichtete, konnte man besonders gut aus dem Weltraum erkennen: Weite Flächen des Großherzogtums werden da zum ockerfarbigen Einerlei – was besonders krass auffällt, wenn man mit Aufnahmen der Vorjahre vergleicht. Mancherorts wurde fast das Wasser zu knapp, um damit die Straßenbäume vor dem Verdörren zu retten – auch wenn die Maximaltemperaturen von 2003 nicht geknackt wurden. Darauf weist der junge Meteorologe Philippe Ernzer hin: „Der Sommer 2018 zeichnete sich vor allem durch seine hohe Durchschnittstemperatur aus und die Länge der Hitzewelle – beziehungsweise die Anzahl der aufeinanderfolgenden Hitzewellen“, sagt der Betreiber des Wetterdienstes Météo Boulaide. Immer wieder seien trocken-warme Luftmassen nach Mitteleuropa gelenkt worden, Tiefs hätten dagegen kaum eine Chance gehabt.
Ernzer vermutet als Grund dafür Veränderungen von Jetstreams, also der Starkwind-Bänder, die in sieben bis zwölf Kilometern Höhe um den Globus rasen und dabei das Wettergeschehen prägen. Normalerweise sind Tiefs und Hochs so an die wellenförmigen Jetstreams gekoppelt, dass wochenlange Perioden des immergleichen Wetters gar nicht entstehen.
2018 sei das aber anders gewesen: Der für Europa wichtige Jetstream habe sich verlangsamt, wodurch die Luftdruckzonen „praktisch auf der Stelle klebten“, erklärt Ernzer – und gibt zu, durchaus besorgt zu sein: „Durch die Veränderungen des Jetstreams und die Erderwärmung sind in Zukunft ohne Zweifel weitere solcher Wetterlagen zu erwarten“, schätzt er in Bezug auf das vergangene Jahr.
Das ist tatsächlich eine beunruhigende Aussicht. Die „klimatische Wasserbilanz“, die die ASTA für 2018 aufgestellt hat, sollte sich besser nicht jährlich so wiederholen: Der Wert wird erst seit 2003 ermittelt, indem der gemessene Niederschlag mit der potenziell möglichen Verdunstung gegengerechnet wird. 2018 war „an allen vier Stationen die Wasserbilanz von April bis Oktober negativ“, meldet Wetterforscher Ferrone. Grevenmacher und Remich halten den Tiefst-Rekord seit Beginn der Aufzeichnungen, während in Reuler und Oberkorn nur der Juli aus dem Jahr 2006 einen noch tieferen Wert hatte.
Bauern und Winzer
Besonders die Landwirte hat das natürlich getroffen, auch wenn man in einigen Bereichen zunächst mit einem blauen Auge davongekommen ist.
„Die Qualität der Kornernte 2018 ist im Großen und Ganzen nicht schlecht“, vermeldete etwa das staatliche Landwirtschaftsportal Anfang September. Die Getreideernte habe in Luxemburg jedenfalls kaum Schaden erlitten – „vor allem im Vergleich zum Ausland“. Ein notwendiger Zusatz: Denn dem Deutschen Bauernverband zufolge haben die Nachbarn 26 Prozent weniger Getreide eingefahren als in den Vorjahren.
Aber auch in Luxemburg ging es nicht ganz ohne Einbußen: Beim Dauergrünland, das mehr als die Hälfte der genutzten Flächen ausmacht, war vielfach eine Nachsaat notwendig. Auch das Feldfutter und der Mais haben mehr oder weniger stark gelitten. Die Maisernte hat wegen der Trockenheit so früh wie nie zuvor begonnen. Der Raps ist im warmen und trockenen April extrem gut gewachsen – was paradoxerweise gar nicht gut ist: Es kam verbreitet zur Knospenwelke. Außerdem wirkten Insektizide teilweise nur wenige Tage.
Auch auf die Kartoffelernte hat sich der Wassermangel negativ ausgewirkt. Bei den mittleren und späten Sorten kam es vielfach zu Mengen- und Qualitätseinbußen, die sich längst im Preis niedergeschlagen haben. In Westeuropa fehlen gegenüber dem Vorjahr 4,7 Millionen Tonnen Konsumkartoffeln, meldete das Portal raiffeisen.com . Hier wichen die saisonalen Temperaturen, verglichen mit dem Zeitraum 2001 bis 2010, um 2,2 Grad ab.
Natürlich konnte die Trockenheit aber auch manche Landwirte begeistern – vor allem die Winzer: „Das Weinjahr war während des Sommers von idealen Bedingungen geprägt, um das Auftreten von Pilzerkrankungen wie Mehltau und saurer Fäule an den Reben zu vermeiden“, freute sich Roby Ley, der Leiter des Weinbauinstituts, im Oktober. Außerdem habe die Hitze die Entwicklung der Trauben so beschleunigt, dass die ersten Winzer bereits im August mit der Weinlese beginnen konnten – eine Premiere in der Geschichte der Weinberge der Mosel. Lediglich die Jungpflanzen hätten ein wenig unter der Trockenheit gelitten. „Der außergewöhnliche Zuckergehalt der diesjährigen Trauben wird sicherlich zu un typischen Weinen für die luxemburgische Moselregion führen“, erklärt Ley. „Wir werden rundere, vollmundigere Weine mit komplexeren Aromen als in den Vorjahren bekommen!“
Sich einfach über das Wetter zu freuen, ist natürlich generell eine mögliche Strategie: Noch ist den Freibädern ja nicht das Wasser ausgegangen und das Eis auch nicht – und selbst nachts konnte man sich noch problemlos auf Kuba oder in der Karibik wähnen.
Den Wetter-Fachleuten fällt das selige Vergessen aber doch etwas schwerer: Den Meteorologen Ferrone erinnert die Häufung der Wetterextreme jedenfalls daran, was der Klimawandel bedeutet: „Ich gebe gerne das Beispiel von der letzten Eiszeit: Da war es nur durchschnittlich 4 Grad kälter – und Nordeuropa lag unter einem vier Kilometer dicken Eispanzer, der fast bis in unsere Breitengrade reichte!“
Auch seinen Amateur-Kollegen lässt die Hitze nicht kalt: „Der Verlauf des Jahres 2018 regt schon zum Nachdenken an“, erklärt Philippe Ernzer. Nach Winter und Frühling freue auch er sich auf den Sommer – doch die Freude über den Turbo-Sommer habe sich 2018 in Grenzen gehalten: „Seit ich Wettervorhersagen erstelle, musste ich noch nie schreiben, dass es noch wochenlang hochsommerlich und trocken sein wird.“ Der Fokus seiner Wetterbeobachtungen habe sich völlig verschoben: Der junge Mann wollte nur noch „herausfinden, wann denn nun ein Ende der außergewöhnlichen Wetterlage zu erwarten ist“ – und das geht zum Glück am besten mit dem Computer. Denn: „Draußen hab ich mich nicht sehr viel aufgehalten, da die Hitze schon ziemlich anstrengend war.“
Überblick von oben, Ambitionen am Boden
Das Video (siehe oben) führt die Auswirkungen des Turbo-Sommers ganz plastisch vor Augen. Zu sehen sind Satellitenaufnahmen von Luxemburg aus verschiedenen Jahren seit 1986, die jeweils gegen Ende des Sommers, meist im September, über dem Großherzogtum aufgenommen wurden. Sie stammen aus dem Erdbeobachtungsprogramm Copernicus, das 1998 gemeinsam von der Europäischen Kommission (EU) und der europäischen Weltraumorganisation ESA begründet wurde. (Ein spezieller Browser, mit dem man das Archiv der Daten durchsuchen kann, findet sich hier.) Das Programm umfasst einerseits eigene Satellitenmissionen und andererseits den Zugang zu Daten aus bereits existierenden Missionen, etwa der Landsat-Satelliten der NASA.
Was in dem Video zu sehen ist, hat der deutsche ESA-Astronaut Alexander Gerst mit eigenen Augen von der Internationalen Raumstation ISS gesehen – und sich schockiert gezeigt: „Alles ist vertrocknet und braun, was eigentlich grün sein sollte!“, schrieb er aus dem All.
Konnte eben die ersten Bilder von Mitteleuropa und Deutschland bei Tag machen, nach mehreren Wochen von Nacht-Überflügen. Schockierender Anblick. Alles vertrocknet und braun, was eigentlich grün sein sollte. #Horizons pic.twitter.com/wPfE97kV6N
— Alexander Gerst (@Astro_Alex) 6. August 2018
Gerst kann problemlos in Zeiträumen von Tausenden Jahren denken, wenn es etwa um die Potenziale der Menschheit im All geht – doch der Klimawandel ängstigt den studierten Geophysiker: Im Wissenschafts-Podcast „Resonator“ äußerte er kürzlich seine Sorge, dass das so filigrane wie lebenswichtige System ganz plötzlich und unumkehrbar aus dem Gleichgewicht geraten könnte – und dass die Menschheit das erst begreift, wenn es längst zu spät ist.
Der Weltklimarat (IPCC) sieht das offenbar genauso: Die Luxemburger Sektion des weltweiten kommunalen Netzwerks hat noch im Oktober dringend gewarnt, dass der menschengemachte Temperaturanstieg unter 1,5 Grad gehalten werden müsse: Bei einem Anstieg von 2 Grad würden Kipp-Punkte überschritten und Kettenreaktionen verursacht, die sich selbst verstärken – zum Beispiel das Schmelzen der Polkappe am Nordpol oder das Auftauen der sibirischen und nordamerikanischen Permafrostgebiete.
Die UN-Klimakonferenz in Kattowitz endete im Dezember allerdings weniger ambitioniert: Derzeit ist nur noch eine Begrenzung des Temperaturanstiegs auf diese zwei Grad das Ziel. fgg
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