„Jefpsy“ / Das Leiden der Kinder: Webseite bietet Hilfe, wenn ein Familienmitglied psychisch erkrankt
Eine psychische Krankheit betrifft nicht nur denjenigen, der daran leidet, sondern auch jene, die sich im Umfeld dieser Person befinden. Dazu gehören ganz besonders Kinder und Jugendliche. Das haben Organisationen aus vier verschiedenen Ländern erkannt – darunter Luxemburg – und die Plattform jefpsy.org gegründet.
Junge Menschen bauen ihre Identität auf. Passiert dies im Schatten einer psychisch kranken Person, ist oftmals die Familienbindung angeschlagen und der Lebensrhythmus der Familie wird an die Krankheit angepasst. Der Lockdown und die damit verbundene Pflicht, zu Hause zu bleiben, haben diese Situationen zusätzlich verschärft. Die neue französischsprachige Webseite jefpsy.org, die seit Dienstag operationell ist, soll diesen jungen Menschen helfen, aus ihrer Isolation auszutreten. Sie können sich einerseits über psychische Krankheiten informieren. Diese werden in verständlicher Sprache erklärt. Andererseits bietet die Plattform eine Chatfunktion an, die zu vorgegebenen Zeiten an Werktagen genutzt werden kann, um direkte Hilfe von Professionellen zu bekommen. Die Webseite ist das Projekt eines Zusammenschlusses mehrerer Organisationen aus Luxemburg, Frankreich, Belgien und der Schweiz (siehe Kasten).
In sehr vielen Situationen wurde die erzieherische Beziehung durch ein psychisches Leiden bei den Eltern vereiteltGeneraldirektorin der Organisation „Oeuvre Falret“
Sandrine Broutin, Generaldirektorin der französischen Organisation „Oeuvre Falret“, stört insbesondere die Machtlosigkeit, unter anderem bei den Institutionen, um die richtigen Lösungen zu entwickeln. „In sehr vielen Situationen wurde die erzieherische Beziehung durch ein psychisches Leiden bei den Eltern vereitelt.“ Broutin hat gemerkt, dass der Ursprung, wieso viele Kinder, die nicht mehr in ihrer Familie leben können und in Pflegefamilien platziert werden, in der Unfähigkeit beim Thema Kinderschutz liegt. Broutin sagt, dass die Zusammenarbeit zwischen dem Kinderschutz und der Welt der erwachsenen Psychiatrie nicht funktioniert. Ziel der neuen digitalen Plattform sei es, in diesem Punkt auf einfache und schnelle Weise Antworten und Unterstützung zu finden.
Das kollektive Ziel der Plattform ist es, präventiv zu handelnDirektorin der Organisation „Les Funambules-Falret“
Egon Davreux, der ebenfalls am Webinar am Dienstag teilnimmt, ist Psychologe, Psychotherapeut und Verantwortlicher der luxemburgischen Organisation „Réseau Psy – Centre Kanel“. Die Organisation schreibt sich das Prinzip der Prävention auf seine Fahne. Bereits bei schwangeren Frauen, die psychische Leiden haben, bemühen sie sich um Aufklärung. Sie begleiten diese Frauen anschließend in ihrer Elternschaft. Diese ist allgemein nicht einfach und wird bei einer psychischen Krankheit viel komplizierter, sagt Davreux. Zudem handele es sich bei diesen jungen Müttern oftmals um Alleinerziehende, was die Elternschaft zusätzlich erschwere.
Situation hat sich im Lockdown verschärft
Hélène Davtian, Direktorin der französischen Organisation „Les Funambules-Falret“, sagt, dass man manche Situationen erst erkennt, wenn es bereits zu einer Krise gekommen ist. Erst dann beginne man, über das Kind zu sprechen. Sie nennt das Beispiel einer plötzlichen Platzierung eines Kindes in eine Pflegefamilie, weil die Mutter ins Krankenhaus eingeliefert wurde und niemand sonst da war, um sich um das Kind zu kümmern. „Das kollektive Ziel der Plattform ist es, präventiv zu handeln.“
In der Pandemie waren die Kinder zu Hause und konnten nicht raus. Viele von ihnen leben zusammen mit einem Familienmitglied, einem Elternteil oder Geschwister mit psychischen Problemen, sagt Hélène Davtian. Im Lockdown habe sich die Situation oftmals verschärft, weil die Kinder 24 Stunden am Tag mit dieser Person zusammen waren und dessen Ausbrüche ertragen mussten. Die neue Plattform hätte hier Abhilfe schaffen können, so die Direktorin von „Les Funambules-Falret“.
Viele verstehen nicht, wieso sie Hilfe für sich selbst holen sollten, wenn es ihr Angehöriger ist, dem man eigentlich helfen sollte. Es ist schwierig, sich einzugestehen, dass man leidet, weil jemand anderes psychisch krank ist.Direktorin Organisation „Les Funambules-Falret“
Davtian nennt den Booster für das Projekt den Film „La forêt de mon père“. Die Koproduktion aus Belgien, Frankreich und der Schweiz von Véro Cratzborn, die ebenfalls zum Webinar eingeladen war, erzählt das Leben einer Familie mit drei Kindern. Der Vater, ein Fantast, ist unberechenbar. Die älteste Tochter ist 15 und liebt ihn über alles. Sie verzeiht ihm seine unberechenbaren Züge und versucht ihm zu helfen. Doch das Familienleben leidet vermehrt darunter.
Webseite bietet direkte Hilfe an
Was heißt eigentlich JEFpsy? Es ist das Akronym von „jeune“, „enfant“, „fratrie“ und soll Kinder und Jugendliche zwischen 11 und 20 Jahren ansprechen, die Kinder oder Geschwister von einer Person mit psychischen Störungen sind. „JEF ist eine Figur, mit der sich jeder identifizieren kann“, sagt Isou, die Designerin. JEF hat stets ein Maskottchen dabei, seine Schildkröte. JEFpsy soll laut Hélène Davtian keine zusätzliche Informationsseite über psychische Krankheiten sein, sondern konkret Hilfe anbieten können. „Das Thema ist sehr komplex“, sagt Davtian. „Viele verstehen nicht, wieso sie Hilfe für sich selbst holen sollten, wenn es ihr Angehöriger ist, dem man eigentlich helfen sollte. Es ist schwierig, sich einzugestehen, dass man leidet, weil jemand anderes psychisch krank ist.“ Die Menschen sind laut der Direktorin von „Les Funambules-Falret“ so sehr auf das Leiden des Familienmitglieds fokussiert, dass sie oftmals nicht merken, dass sie ebenfalls darunter leiden. „Wir wollen anhand der Plattform auf die Leute zugehen und ihnen sagen, dass man das Recht hat, darüber zu sprechen.“
Hélène Davtian sagt, dass viele junge Menschen, die ihre Organisation begleitet, nicht wirklich viel über die Diagnose eines Familienmitglieds wissen. Manche haben vielleicht Gesprächsfetzen aufgegriffen oder in der Schachtel des Bruders gewühlt, wo sie auf ein bestimmtes Medikament gestoßen sind. Dann schauen sie das im Internet nach und nehmen an, dass der Bruder an dieser oder jener Krankheit leidet. Dies sei ein Prozess, den man unbedingt begleiten sollte, sagt sie.
Organisationen aus vier Ländern
Die luxemburgische Vereinigung „Réseau Psy – Psychesch Hëllef dobaussen“ bietet seit Ende der 1980er Jahre Hilfe in sozialer Psychiatrie an, außerhalb von Krankenhäusern. 2016 hat das „Réseau Psy“ den „Service Parentalité“ gegründet, das Zentrum „KanEl“, welches sich zum Ziel gesetzt hat, wiederholte psychische Erkrankungen vorzubeugen und zu verhindern, indem es betroffene Familien und deren Kinder unterstützt.
„Réseau Psy – Psychesch Hëllef dobaussen“ hat 2020 nach dem ersten Lockdown Bekanntschaft mit der Organisation „Funambules“ in Paris gemacht. „Funambules“ gehört zur „Oeuvre Falret“, die sich auf die Hilfeleistung für Kinder und Jugendliche spezialisiert hat, welche einen Elternteil haben, der an psychischen Problemen leidet. Im Lockdown und in den Monaten danach haben die Mitarbeiter festgestellt, dass jene jungen Menschen besonders hart von der Pandemie betroffen waren. Es entstand die Idee, eine Internetplattform zu gründen, wo sich diese jungen Menschen treffen können, um sich zu informieren und zu chatten. Die Pariser Vereinigung „Funambules“ kam auf die Idee, sich mit ähnlichen Organisationen in der Schweiz („Le Biceps“), Belgien („Etincelle“) und Luxemburg („Réseau Psy – Centre KanEl“) zusammenzuschließen, um eine solche Plattform auf die Beine zu stellen. Finanziert wird die Webseite durch die „Fondation Orange“, die zudem ihre digitalen Kenntnisse zur Verfügung gestellt haben.
Seit Dienstag beantworten Professionelle der vier Teams dieser Organisationen die Fragen der jungen Menschen. Immer mittwochs von 16 bis 18 Uhr wird ein Professioneller der luxemburgischen Organisation den Chat begleiten. Dort können Fragen auf Französisch oder auf Luxemburgisch gestellt werden.
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