Keine Einigung im EU-Rat / Das Lieferkettengesetz droht zu scheitern
Das sogenannte Lieferkettengesetz der Europäischen Union droht zu scheitern: Am Mittwoch kam bei einer Abstimmung unter den EU-Mitgliedstaaten zum zweiten Mal keine qualifizierte Mehrheit für die finale Verabschiedung des Gesetzes im Rat zustande.
Die niederländische S&D-Abgeordnete Lara Wolters war sichtlich verärgert, als sie am Mittwochnachmittag in Straßburg zur gescheiterten Abstimmung im Ausschuss der Ständigen Vertreter – den EU-Botschaftern der Mitgliedstaaten – Stellung bezog. Die Berichterstatterin im Europäischen Parlament (EP) zum Lieferkettengesetz wertete die Haltung des EU-Rates als eine „flagrante Missachtung des Parlaments als Ko-Gesetzgeber“. Die Mitgliedstaaten würden „das Vertrauen in den Trilog unterminieren“. Das Versagen der Mitgliedstaaten, das Gesetz abzusegnen, sei für sie „empörend“.
Erst im Dezember hatten sich das EP und die Mitgliedstaaten gemeinsam mit der EU-Kommission im sogenannten Trilog auf das Lieferkettengesetz geeinigt. Dieses sieht im Wesentlichen vor, dass Unternehmen in der EU mit mehr als 500 Beschäftigten dafür Sorge tragen müssen, dass es in ihren Lieferketten zu keinen Verstößen etwa gegen Grund- und Menschenrechte sowie Umweltschutz kommt. Zwei Jahre lang sei über das Gesetz diskutiert worden und jedes Mitgliedsland sei sorgfältig gehört worden, sagte Lara Wolters.
Einer Einigung im Trilog folgt in der Regel die Annahme des betreffenden Gesetzes durch die beiden Ko-Gesetzgeber, den EU-Rat und das EP. Dem ist aber nicht so im Fall des Lieferkettengesetzes. Im Rat kommt die erforderliche qualifizierte Mehrheit – 55 Prozent der Mitgliedstaaten, die 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren – nicht zustande. Zu viele Staaten hatten sich gestern bei der Abstimmung im Ausschuss der Ständigen Vertreter enthalten. Was im Endeffekt einem Nein gleichkommt. Vor allem die beiden großen EU-Länder Italien und Deutschland, aber auch kleinere Staaten, darunter offenbar auch Luxemburg, enthielten sich der Stimme.
Lara Wolters meinte, es sei kein Geheimnis, dass in Deutschland die Industriellenvereinigung BDI sowie die Patronatsvereinigung „Medef“ in Frankreich gegen das Gesetz seien. Doch auch auf die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni sei Druck ausgeübt worden. Als „unverantwortlich“ bezeichnete die Niederländerin jedoch die Haltung der deutschen Liberalen, die sich in der Ampelkoalition mit ihrer Forderung, sich bei der Abstimmung zu enthalten, gegen die Grünen und die SPD durchgesetzt haben. Dem FDP-Chef und deutschen Wirtschaftsminister Christian Lindner warf sie „Opportunismus“ vor. Sie habe zudem von einem erst kürzlich von französischer Seite vorgebrachten Vorschlag gehört, laut dem erst Unternehmen, die mindestens 5.000 Beschäftigte zählten, der im Gesetz geregelten Sorgfaltspflicht nachkommen müssten, so Lara Wolters. Vom EU-Rat erwartet sie nach der neuerlich gescheiterten Abstimmung erst einmal „Klarheit“. Denn im Moment sehe sie nur „Chaos im Rat“, so die Niederländerin.
„Von einer Minderheit aufs Spiel gesetzt“
Wirtschaftsverbände wehren sich gegen das Lieferkettengesetz, da es den Unternehmen obliegt, den Nachweis zu erbringen, dass ihre Lieferketten mit den Bestimmungen des Gesetzes im Einklang stehen, was mit zusätzlichem Aufwand verbunden ist. Umweltschutz- und Menschenrechtsorganisationen wiederum betrachten das Lieferkettengesetz als wichtiges Instrument zum Schutz von Mensch und Natur in den Herkunftsländern europäischer Importe, in denen dazu laschere Regeln gelten.
„Das EU-Lieferkettengesetz hätte eine der wichtigsten Errungenschaften dieses Mandats sein können, aber nun läuft uns die Zeit davon“, erklärte die luxemburgische EP-Abgeordnete Tilly Metz in einer Mitteilung. „Es ist eine Schande, dass die europäischen Mitgliedstaaten, Luxemburg inklusive, heute wieder keine Einigung finden konnten“, so die Grünen-Politikerin. Der luxemburgische EP-Abgeordnete und EP-Vizepräsident Marc Angel zeigte sich auf X enttäuscht darüber, dass die EU-Regierungen eine „historische Gelegenheit verpasst“ hätten, „sicherzustellen, dass Unternehmen die Umwelt und Menschenrechte respektieren“. Der S&D-Abgeordnete fordert daher, dass der Rat die im Trilog getroffene Einigung annimmt.
Der belgische EU-Ratsvorsitz versucht in den kommenden Tagen noch eine Einigung zwischen dem Rat und dem EU-Parlament herbeizuführen. Doch eventuelle Änderungen am Gesetz bedürfen einer neuen Abstimmung im Parlament. Das kommt aber nur noch zu wenigen Sitzungen vor den Europawahlen im Juni zusammen. Kommt es bis dahin zu keiner Einigung, wäre das Lieferkettengesetz vorläufig gescheitert. Dies sei ein großes Gesetz, „das von einer Minderheit von Staaten aufs Spiel gesetzt wurde“, kommentierte Lara Wolters.
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