Marc Barthelemy im Interview / „Das Luxemburgische übernimmt immer mehr die Rolle der gemeinsamen Sprache“
Die luxemburgische Sprache befindet sich im Aufwärtstrend. Dennoch ist es die Aufgabe von Marc Barthelemy, Kommissar für die Luxemburger Sprache, deren Gebrauch zu fördern. Dazu gehören unter anderem die neue Rechtschreibung, Luxemburgisch-Kurse für Erwachsene und ein neues Fach im Sekundarunterricht.
Tageblatt: Muss das Luxemburgische um seine Existenz fürchten?
Marc Barthelemy: Ich würde sagen, vor 30 Jahren hätte man dies befürchten können. Aber heute nicht mehr. Denn durch die große Vermischung der Bevölkerung und auch durch andere Faktoren hat das Französische eigentlich ein wenig von seiner Rolle als gemeinsame Sprache verloren. Und diese Rolle wird immer mehr vom Luxemburgischen übernommen. Man merkt es an der großen Nachfrage nach Luxemburgisch-Kursen vieler Ausländer, die in Luxemburg leben oder hierher zum Arbeiten kommen. Oder am Gebrauch der Luxemburger Sprache in den sozialen Medien. Ich würde sagen, zurzeit braucht man sich nicht wirklich Sorgen um das Luxemburgische zu machen.
In den sozialen Medien wird in der Tat viel auf Luxemburgisch geschrieben. Vieles wird aber auch falsch geschrieben. Sehen Sie da ein Problem?
Nein, natürlich ist das kein Problem. Ich glaube, dass das sogar ein Vorteil des Luxemburgischen ist. Jene Leute, die luxemburgische Schulen besucht haben, haben die Tendenz, sich dafür zu schämen, wenn sie Fehler schreiben. Das wurde ihnen in der Schule so eingeprägt. Dies gilt aber nur für die anderen Sprachen und weniger für das Luxemburgische. Die Leute wissen, dass hier nicht sofort jemand den roten Stift auspackt und dass sie tendenziell so schreiben können, wie sie wollen. Hauptsache es ist verständlich. Das finde ich auch gut so. Auf der anderen Seite braucht man allerdings eine Rechtschreibung, insbesondere wenn man offizielle Mails beispielsweise an Ministerien schreibt.
Ist Luxemburgisch denn eigentlich eine vollwertige Sprache oder nur ein Dialekt?
Es ist sehr schwierig zu definieren, was eine Sprache und was keine ist. Ich habe einen Sprachaltas zu Hause. Darin geht ein Essay der Frage nach, wann eine Sprache eine Sprache ist. Das Fazit sagt, dass dies vom Selbstverständnis der Leute abhängt, die es sprechen. Demzufolge glaube ich, dass Luxemburgisch bis zum Zweiten Weltkrieg in den Köpfen der Menschen ein Dialekt war. Quellen belegen, es gab allerdings Ausnahmen, dass die Leute damals sagten, wir sprechen Deutsch, also unser Deutsch, „ons Däitsch“. Durch den Zweiten Weltkrieg hat sich das geändert. Luxemburgisch ist als Identitätsfaktor sehr wichtig geworden, was dazu geführt hat, dass in einem Gesetzestext von 1984 zum ersten Mal von „Langue luxembourgeoise“ die Rede war. Davor gab es lediglich den Ausdruck „le luxembourgeois“, wobei „la langue française“ und „la langue allemande“ auch da schon zu finden waren. Man kann also sagen, dass Luxemburgisch seit 1984 eine Sprache ist.
Luxemburgisch ist ohne Zweifel ein Identitätsfaktor. Die Mehrsprachigkeit ist aber auch ein Identitätsfaktor von Luxemburg.Kommissar für die Luxemburger Sprache
Sind denn nicht Deutsch und Französisch als zusätzliche Amtssprachen überflüssig?
Luxemburgisch ist ohne Zweifel ein Identitätsfaktor. Die Mehrsprachigkeit ist aber auch ein Identitätsfaktor von Luxemburg. Und das Großherzogtum war immer auf einer Sprachgrenze positioniert. Daneben hatte Luxemburg sehr lange in seiner Geschichte einen französischsprachigen und einen germanischsprachigen Teil, das Luxemburgische. Als 1839 der französischsprachige Teil an Belgien fiel – die heutige „Province de Luxembourg“ –, entschied man sich, Französisch trotzdem als Amtssprache beizubehalten, insbesondere als Sprache der Gesetzestexte. Ich würde es nicht wünschenswert finden, dies zu ändern. Damit würde man sehr viele Vorteile aufgeben, die wir ohne jeden Zweifel haben. Was würde das für einen Sinn ergeben, sich mit dem Luxemburgischen selber einzukesseln? Die Franzosen tun das ein wenig mit ihrer Sprache. Für das kleine Luxemburg wäre das eine viel größere Katastrophe.
Ihre Hauptaufgabe ist ja die Ausarbeitung eines 20-Jahres-Plans. Was sieht dieser Plan grob vor?
Ich habe vier Gebiete identifiziert, wo man aktiv werden müsste. Das erste ist die Bildung. Dazu gehören die schulische Bildung und die Erwachsenenbildung. Bei Letzterem gibt es zurzeit ein Problem mit der Zertifizierung. Jemand, der einen Luxemburgisch-Kurs besucht hat, bekommt lediglich einen Anwesenheitsschein. Das ist keine Zertifizierung und demnach auch nichts wert. Das soll sich ändern. Das zweite Gebiet des 20-Jahres-Plans ist die Kultur. Die luxemburgische Kultur ist mehrsprachig, und das soll auch so bleiben. Dennoch versuchen wir, mehr auf die Präsenz der luxemburgischen Sprache zu drücken. Das Nationalepos der Luxemburger, „De Renert“ von Michel Rodange, gibt es beispielsweise zurzeit nicht zu kaufen. Wir brauchen eine neue „Renert“-Edition.
Der dritte Bereich des Plans betrifft den Statut des Luxemburgischen und den Amtsgebrauch unserer Sprache. Im Gesundheitsbereich haben wir beispielsweise das Problem, dass Ärzte und Patienten sehr oft nicht die gleiche Sprache sprechen. Wie gehen wir damit um? Dazu sollten wir einen Ansatz finden. Der vierte Bereich des Plans betrifft die Normierung und Formalisierung der Luxemburger Sprache. Einiges wurde bereits in die Wege geleitet, vieles bleibt noch zu tun. Wir haben beispielsweise kein Werk über die Grammatik der Luxemburger Sprache. Der Direktor des Zentrums für Luxemburger Sprache, Luc Marteling, hat das nun ernsthaft in die Hand genommen.
Sie sind seit knapp mehr als einem Jahr Kommissar für die Luxemburger Sprache. Was ist Ihre bisherige Bilanz?
Es gibt manche Sachen, die schwierig zu realisieren sind. Die Bilanz ist, dass ich sehr viele Gespräche geführt habe im Hinblick auf den Aktionsplan für die luxemburgische Sprache, den ich der Regierung vorschlagen soll. Ich hoffe, dass der Plan im Laufe des nächsten Jahres wenigstens in den Ministerien diskutiert werden kann. Ich habe auch viele Gespräche mit dem Erziehungsministerium geführt, da ein ganz wesentlicher Teil dieses Aktionsplans die Bildung betrifft. Ein großes Problem ist zum Beispiel die extrem hohe Nachfrage bei luxemburgischen Sprachkursen für Erwachsene. Eine Lösungsmöglichkeit wäre, Internetkurse anzubieten.
Luc Marteling hat mehrmals gesagt, dass die Schreibweise bei weniger als einem Prozent der Wörter geändert hatKommissar für die Luxemburger Sprache
Kürzlich wurde die Rechtschreibung der luxemburgischen Schriftsprache reformiert. Was wurde geändert?
Zuerst möchte ich klarstellen: Es ist nicht wirklich eine Reform. Luc Marteling hat mehrmals gesagt, dass die Schreibweise bei weniger als einem Prozent der Wörter geändert hat. Betroffen sind hauptsächlich aus anderen Sprachen entlehnte Wörter. Die Idee dahinter ist es, diesen Begriffen eine luxemburgische Schreibweise zu geben, zumindest als Hauptvariante. Auch wenn die andere Schreibweise immer noch toleriert wird. Weitere Änderungen betreffen die Groß- und Kleinschreibung, die Getrennt- und Zusammenschreibung sowie die Interpunktion und die Abkürzungen. Der Satz „macht es wie im Deutschen“ hat nun seine Gültigkeit verloren, da man manchmal eben keinen Vergleich hat.
Ab wann gilt die neue Schreibweise?
Sie gilt bereits jetzt, parallel zur alten Schreibweise. Ab 15. September 2020 gilt dann nur noch die neue Rechtschreibung.
Ist es denn wirklich eine Vereinfachung?
Das hängt davon ab. Ich habe schon einige Rückmeldungen bekommen, wo Leute sich aufregen. Luxemburger haben das typische deutsche Schriftbild im Kopf. Dann hat man Probleme „Bün“ oder „warscheinlech“ ohne h zu schreiben. Aber im Luxemburgischen wird das h nicht für eine Dehnung gebraucht. Dennoch darf man bei Wörtern, die aus dem Deutschen angelehnt sind, das Dehnungs-h benutzen. Das ist toleriert.
Wo kann man sich über die neue Rechtschreibung informieren?
Beim „Zenter fir d’Lëtzebuerger Sprooch“, zls.lu, kann man sich die Regeln herunterladen und das Büchlein „D’Lëtzebuerger Orthografie“ gratis bestellen. Auf der Webseite lod.lu steht den Usern ein Wörterbuch zur Verfügung. Dort kann man nach Begriffen suchen. Daneben gibt es noch Josy Brauns „Eis Sprooch richteg schreiwen“, das durch die Genehmigung seiner Frau nun auf die neue Schreibweise aktualisiert wurde. Viele Leute haben durch dieses Buch Luxemburgisch schreiben gelernt.
In den Gymnasien wird ab dem Schuljahr 2021/2022 ein Fach eingeführt, das sich dem Luxemburgischen widmet. Welche Klassen sind betroffen? Wie war das bisher geregelt?
Bislang ist auf 7e eine Stunde Luxemburgisch vorgesehen. Nur im Classique. Im Général gibt es ein Fach, das heißt ALLUX, allemand-luxembourgeois, wo aber normalerweise wenig Luxemburgisch gemacht wird. Die Stunde auf 7e ist nicht so günstig, weil die Schüler in der Grundschule relativ viel Luxemburgisch haben und viele luxemburgische Bücher lesen. Auf 7e ist das Inventar dann quasi ausgeschöpft. Erziehungsminister Claude Meisch hat für das Fach Luxemburgisch nun die 4e angepeilt.
Erziehungsminister Meisch hat ganz klar gesagt, er wolle nicht noch eine weitere Sprache in der Schule, die die Schüler daran hindert, voranzukommenKommissar für die Luxemburger Sprache
Wäre es denn nicht sinnvoller, die Schriftsprache auf den unteren Klassen im Detail zu lernen?
Die luxemburgische Sprache hängt sehr stark mit der Geschichte Luxemburgs zusammen. Aus diesem Grund soll sich der Kurs nicht nur der Schriftsprache widmen, sondern unter anderem auch der Kulturgeschichte und Landeskunde. Deshalb erscheint es mir sinnvoll, das Fach auf den oberen Stufen des „Secondaire“ anzubieten. Denn die Kinder lernen sowieso schon viele Sprachen. Und gerade auf den untersten Klassen des „Secondaire“ lernen sie noch sehr viel Schriftsprache, vor allem im Französischen und im Englischen und auch ein wenig noch im Deutschen. Meiner Meinung nach ist dies sonst eine Überforderung. Erziehungsminister Meisch hat ganz klar gesagt, er wolle nicht noch eine weitere Sprache in der Schule, die die Schüler daran hindert, voranzukommen. Deshalb soll das Fach Luxemburgisch auch nicht ausschlaggebend in der Endnote eines Schuljahres sein. Das heißt, man kann durch das Fach nicht sitzen bleiben. Dennoch wird der Luxemburgisch-Kurs getrennt bewertet und die Schüler bekommen ein Zertifikat, wo drin steht, wie gut sie Luxemburgisch schreiben können. Das kann in vielen Hinsichten ein Vorteil sein.
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Es ist eine bekannte Tatsache, dass Sprachen am leichtesten im Kleinkindalter erlernt werden – deshalb würde ich es sinnvoller finden, dass das Luxemburgischen schon in der Grundschule erlernt werden sollte, vor allem, da ja zunehmend immer mehr Kinder mit Migrationshintergrund die Schule besuchen.
Und was luxemburgische Literatur betrifft, so sollte man ausser Michel Rodange unbedingt auch noch das Werk von Marcel Reuland erwählen: Immerhin hat dieser Autor eine luxemburgische Version des „Sommernachtstraum“ von Shakespeare verfasst, was wohl als Beleg dafür dienen dürfte, dass das Luxemburgische auch für anspruchsvolle Texte geeignet ist. Das Original seines Werkes ist allerdings heute etwas schwieriger zu lesen, da es nicht der modernen Orthografie entspricht – es wäre eine Überlegung wert, seine Texte dementsprechend zu überarbeiten