Gesetzesänderung / Das neue Anti-Tabak-Gesetz oder: Luxemburgs zwiespältiges Verhältnis zum Tabak
Luxemburg soll ein neues Anti-Tabak-Gesetz bekommen. Bei neuen Nikotinprodukten wird zum Schutz der Jugend hart reguliert, traditionelle Raucher bleiben unberührt. Derweil treibt die Steuer auf Zigaretten so viel Geld in die Staatskassen wie nie. Über Luxemburgs gespaltenes Verhältnis zum Tabak.
Sie sehen unscheinbar aus. Kleine, rechteckige, helle Täschchen, gerade einmal so groß, dass sie zwischen Zahnreihe und Lippe passen. Nikotinbeutel, besser bekannt als „Pouches“, haben nicht die ikonische Form einer Zigarette, sie sind keine technischen Gadgets wie E-Zigaretten oder Vaporizer. Und trotzdem beschäftigen sie gerade Gesetzgeber in ganz Europa. Belgien hat die kleinen Beutel bereits 2023 verboten, Frankreich wird bald folgen, das kündigte Gesundheitsministerin Geneviève Darrieussecq vergangene Woche an. Auch Luxemburg ist gerade dabei, sein Tabakgesetz in dieser Hinsicht zu überarbeiten. Eine Reaktion auf die vielen neuen Nikotinprodukte, von Beuteln bis zu Einweg-Vapes, die in den vergangenen Jahren den Markt erobert haben und die – wenn man den Studien glaubt – besonders beliebt bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind.
„Es geht uns hauptsächlich darum, die Jugend zu schützen“, sagt Françoise Kemp (CSV), Mitglied in der Kommission für Gesundheit und soziale Sicherheit und Berichterstatterin beim Gesetzesprojekt Nr. 8333, dem sogenannten „lutte antitabac“, dem Anti-Tabak-Kampf. „Nikotinbeutel sind vor allem für junge Leute attraktiv“, so die Abgeordnete. Die „Pouches“ enthalten keinen Tabak, sie geben, wenn sie mit Speichel in Berührung kommen, Nikotin ab, das direkt durch die Mundschleimhäute aufgenommen wird. Kein Qualm, kein Rauch, nichts. Aus diesem Grund gelten sie als deutlich weniger gesundheitsschädlich als traditionelle Zigaretten oder Produkte, bei denen eine Verbrennung stattfindet. Nikotin habe aber vor allem bei jungen Menschen negative Auswirkungen auf die Gehirnentwicklung, so Kemp, es mache zudem abhängig. So könnten die Nikotinbeutel in den Augen der CSV-Politikerin zu einem „Eingangstor für den Tabakkonsum werden“.
Ein De-facto-Verbot
Der Gesetzentwurf Nr. 8333 zum Anti-Tabak-Kampf geht noch auf die vorherige Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP) zurück, er wurde im Oktober 2023 eingebracht. Neben dem bereits erwähnten Jugendschutz wird dort vor allem auch die seit Jahren konstant gebliebene Zahl der Raucher in Luxemburg (aktuell 27 Prozent) als eines der Motive für die Gesetzesänderung angeführt. In erster Linie handelt es sich beim Gesetzentwurf Nr. 8333 aber um die Umsetzung der EU-Direktiven 2022/2100 und 2014/40, die nach einer neuen Regelung für sogenannte „neue Nikotinprodukte“ verlangen. So werden mit dem geänderten Gesetzestext Hersteller solcher Erzeugnisse verpflichtet werden, ihre Produkte mit Gesundheitswarnungen zu versehen. Außerdem beinhaltet das Gesetz ein Verbot von Aromen und Zusatzstoffen für neue Produkte, wie es derzeit bereits für Zigaretten gilt. Ebendiesen „Geschmacksrichtungen“ bei Vapes oder Nikotinbeuteln wurde in der Vergangenheit immer wieder vorgeworfen, besonders auf Jugendliche abzuzielen.
Interessant ist eine Überarbeitung, die der Gesetzentwurf im Mai 2024 erhalten hat, in der nun Nikotinbeutel ganz explizit reguliert werden – inklusive eines konkreten Nikotin-Schwellenwerts. In Zukunft werden in Luxemburg Nikotinbeutel verboten sein, die mehr als 0,048 mg Nikotin pro Beutel enthalten. Ein De-facto-Verbot, denn Nikotinbeutel mit einer solch geringen Nikotinmenge gibt es nicht. Tatsächlich können Auberginen (mit 100 Mikrogramm pro Gramm) mehr Nikotin als die nach dem luxemburgischen Gesetz zukünftig erlaubten Nikotinbeutel enthalten. Die Zahl kommt indes nicht von ungefähr. „Die Europäische Agentur für Lebensmittelsicherheit legt den maximalen Grenzwert für täglich einnehmbares Nikotin auf 0,0008 mg/kg Körpermasse fest, d.h. 0,048 mg für eine 60 kg schwere Person“, heißt es im Kommentar des Gesetzestextes. „Wir wollen nicht grundsätzlich verbieten, weil wir die Kontrolle über den Markt behalten wollen“, sagt Françoise Kemp, die Berichterstatterin. Ein Markt, der jedoch schwer zu kontrollieren ist. Denn auch wenn Nikotinbeutel in Luxemburg und seinen Nachbarländern verboten sind, existiert immer noch der Handel im Internet.
Der schwedische Sonderweg
Doch es gibt auch eine andere Perspektive. Nicht überall haben „Pouches“ so einen schlechten Ruf wie in Kerneuropa. In Schweden gehören sie seit Jahrzehnten zum Alltag, manche sagen gar, zur Kultur des Landes. 16 Prozent der volljährigen Schweden und Schwedinnen konsumieren täglich Snus, eine Form von Oraltabak. Darin liegt auch der Unterschied zu den eben erwähnten Nikotinbeuteln: Snus enthält Tabak. Gleichzeitig liegt die Raucherquote in Schweden bei gerade einmal fünf Prozent. Auch was die Zahl an Lungenkrebstoten angeht, können die Skandinavier den niedrigsten Wert in der gesamten EU aufweisen. „Konsum von Snus ist seit Langem die populärste Methode, mit dem Rauchen aufzuhören“, sagt beispielsweise Dr. Karl Erik Lund vom Norwegian Institute of Public Health. Und auch Prof. Dr. Heino Stöver vom Institut für Suchtforschung in Frankfurt am Main plädiert dafür, Raucher besser über Alternativprodukte wie E-Zigaretten oder Nikotinbeutel zu informieren, da diese weniger gesundheitsschädlich seien als herkömmliche Zigaretten.
Damit Nikotinbeutel aber wirklich als Ausstiegshilfe aus dem Zigarettenkonsum dienen können, müssten sie genügend Nikotin enthalten, um die Bedürfnisse der Abhängigen zu stillen. Mit der neuen Regulierung wäre das in Luxemburg nicht der Fall. Für Françoise Kemp ist das kein Argument. Es gebe ja schon Nikotinpflaster oder -kaugummis. „Das finde ich eine bessere Alternative als Nikotinbeutel, um aus der Nikotinsucht auszusteigen.“ Auch weil diese Produkte nur in Apotheken erhältlich und ärztlich begleitet seien, so die Abgeordnete.
Die Fondation Cancer unterstützt das Gesetzesprojekt – auch wenn sie sich ein generelles Verbot von Nikotinbeuteln und Einweg-Vapes gewünscht hätte. Im vergangenen Jahr hat die Organisation das Ziel einer „Génération sans tabac“ ausgerufen. Davon ist Luxemburg noch weit entfernt. Anders als Großbritannien. Dort hat das britische Unterhaus vor wenigen Tagen für eine radikale Gesetzesänderung gestimmt: Wer heute unter 16 Jahren alt ist, soll in seinem ganzen Leben niemals legal Zigaretten kaufen dürfen, denn das Mindestalter für Tabak soll in Großbritannien künftig jedes Jahr steigen. Einweg-E-Zigaretten werden verboten. Als „weltweit führende Reformen“ bezeichnete die britische Gesundheitsministerin Victoria Atkins das Gesetzesprojekt.
In Luxemburg setzt das neue Anti-Tabak-Gesetz den Schwerpunkt auf neue Nikotinprodukte, die traditionelle Zigarette wird nicht angetastet. Warum ist man nicht nach britischem Vorbild weiter gegangen im Kampf gegen Tabakkonsum, wenn man das Gesetz schon überarbeitet? „Der Staatsrat hat uns schon mehrfach vorgeworfen, dass wir weiter gegangen sind, als die EU-Direktive es vorgesehen hat“, sagt Françoise Kemp. Außerdem sei Luxemburg im Gegensatz zu Großbritannien keine Insel. „Wenn, dann müssen wir das europäisch angehen, wir brauchen eine einheitliche Lösung“, so die Abgeordnete.
Die Bedeutung der Steuereinnahmen
Luxemburgs einseitiges und zögerliches Vorgehen beim Anti-Tabak-Kampf könnte noch weitere Gründe haben. Kritisch gegenüber dem neuen Gesetzentwurf zeigt sich die „Chambre de commerce“. Sie fürchtet Überregulierung: „Insbesondere im Hinblick auf die Regulierung von Nikotinbeuteln plädiert die Handelskammer für eine pragmatische und vorurteilsfreie Regulierung, damit sie sich nicht am Ende aus gesundheitlicher, wirtschaftlicher und haushaltspolitischer Sicht als kontraproduktiv erweist“, schreibt sie in ihrem Avis. Und Haushaltspolitik ist ein wichtiges Stichwort. Fast unbemerkt haben sich die Verbrauchersteuern auf Tabak („Droits d’accise sur le tabac“) in den letzten paar Jahren zu einer immer wichtigeren Einnahmequelle für den Staat entwickelt. So wichtig, dass Finanzminister Gilles Roth (CSV) sie in seinen beiden bisherigen Budgetsreden erwähnt hat. Im Jahr 2023 hat ihr Volumen nun wohl erstmals das Volumen der jährlichen Steuereinnahmen auf den Verkäufen von Kraftstoffen überschritten. Besonders stark gewachsen sind die Steuereinnahmen auf Tabak in den letzten fünf Jahren. 2018 lagen sie bei 576 Millionen Euro, 2023 bei mehr als einer Milliarde Euro.
Teil des Kampfes gegen den Tabakkonsum sind auch die jährlichen Steuererhöhungen auf Zigaretten. Sie spülen Geld in die Staatskasse, auf das Rauchverhalten selbst scheinen sie aber wenig Auswirkung zu haben – die Zahl der Raucher bleibt konstant. Derweil – Stichwort Luxemburg ist keine Insel – boomt der Tabaktourismus weiterhin. Auch wenn Zigaretten in Luxemburg in den letzten fünf Jahren teurer geworden sind, ist der Preis im Vergleich zu den Nachbarländern attraktiver geworden.
Der Gesetzentwurf zum neuen Anti-Tabak-Gesetz liegt nun beim Staatsrat. Gelöst hat Luxemburg sein zwiespältiges Verhältnis zum Tabak damit aber noch nicht.
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