/ Das Phänomen der Fake News: „Die Leute lieben gute Storys“
Desinformation, falsche Fakten und alternative Wahrheiten hat es schon immer gegeben. Doch erst mit der digitalen Revolution haben sich falsche Nachrichten zu einem Problem entwickelt, das größeren Schaden anrichten kann.
Um das Jahr 800 zirkulierte in Europa eine angeblich schon 500 Jahre alte Urkunde, die besagte, dass der damalige römische Kaiser Konstantin dem Papst die Herrschaft über ganz Italien und den gesamten Westen des Römischen Reiches übertrug. Die Katholische Kirche nutzte diese Urkunde während Jahrhunderten, um ihre territorialen Ansprüche zu begründen. Die Sache hatte aber einen Haken: Die Urkunde war gefälscht, das, was darin geschrieben stand, hatte der Kaiser nie gesagt. Es handelte sich nicht um einen Irrtum, es war auch kein Missverständnis, sondern eine bewusst falsche Information, welche die Öffentlichkeit täuschte. „Die Falschmeldung diente politischen und wirtschaftlichen Zwecken“, sagte der ehemalige Journalist und Pulitzerpreisträger David Schrieberg anlässlich einer von der Anwaltskanzlei Linklaters organisierten Konferenz.
Fake News hat es also schon immer gegeben, doch erst in der heutigen Zeit haben sie sich zu einem Massenphänomen entwickelt. „Die Technik macht es heute sehr leicht, falsche Nachrichten in die Welt zu setzen und zu verbreiten“, meinte Thomas Glocer, der ehemalige CEO der Nachrichtenagentur Thomson Reuters.
Neue Technik und verlorenes Vertrauen
Alles, was man braucht, ist ein Computer mit Internetzugang, der es ermöglicht, mit ein paar Klicks eine täuschend echt aussehende Nachrichtenseite zu erstellen. „Das kann jeder“, so Glocer. Diese Entwicklung ist aber nicht der Auslöser der aktuellen „Fake-News-Krise“. Das Internet vereinfacht zwar die Erstellung und Verbreitung von bewussten Falschberichten, es muss aber auch ein Publikum geben, das diesen Glauben schenkt. Hier spielten, laut Schrieberg, auch der 11. September und der Irak-Krieg eine wichtige Rolle. „Viele verwarfen die Erklärungen von Experten“, so der ehemalige Journalist. „Die offiziellen Gründe für den Irakkrieg haben sich im Nachhinein als falsch erwiesen.“ Die Leute, die der Regierung Glauben schenkten, fühlten sich im Nachhinein belogen und haben das Vertrauen in offizielle Verlautbarungen verloren.
Vertrauen sei aber ein sehr wichtiger, wenn nicht der wichtigste Punkt, wenn es um die Glaubwürdigkeit von Nachrichten geht. Das verlorene Vertrauen führte dazu, dass die Enttäuschten nur noch „den Menschen um sich herum Glauben schenken“. Die Nachricht, die ein Bekannter auf Facebook postet, kann dann glaubwürdiger sein als die von offiziellen Stellen oder professionellen Journalisten.
„Viele tendieren zu einfachen, simplen Erklärungen“
Die enttäuschten Nachrichtenkonsumenten stoßen im Internet auf eine Informationsflut. Nun haben sie die Wahl, ob sie einer bekannten Nachrichtenmarke glauben wollen oder der Nachricht, die sie bei Facebook angezeigt bekommen. „Viele tendieren zu einfachen, simplen Erklärungen“, so Schrieberg. Dies führt dazu, dass die komplexe und oft wenig unterhaltende Wahrheit manchmal untergeht. „Die Leute lieben gute Storys.“
Die Leser können aber nicht jede Meldung selbst überprüfen. „Wer hat schon die Zeit dazu?“ Es sei die Aufgabe von Journalisten, die Wahrheit von Falschmeldungen zu unterscheiden. Doch die Zeitungen haben keinen leichten Stand. „Das Geschäftsmodell vieler Medien ist kollabiert“, so Thomas Glocer. „Eine Zeitung nach der anderen ist out of business.“ Die, die überlebt haben, müssen ihre Recherchen einschränken, da sie die notwendigen Mittel dazu nicht mehr aufbringen können.
In Zukunft wird sich diese Entwicklung verstärken. Heute ist es möglich, eine Textdatei so aufzuarbeiten, dass sie wie ein seriöses Medium wirkt. In Zukunft wird dies auch verstärkt mit Videos der Fall sein, meinte Glocer. „Es kann schon Angst machen, wenn man sieht, was die Verbindung von Filmen und künstlicher Intelligenz möglich macht.“ Es braucht nur einen kurzen Videoausschnitt, um eine täuschend echt aussehende Animation einer beliebigen Person zu erstellen. „Es könnte Videos geben, in denen Barack Obama erklärt, warum die USA aus der NATO austreten.“ Die Technik macht solche „deep fakes“ möglich.
Bellingcat: Wie Google und Facebook halfen, einen Mord aufzuklären
Aliaume Leroy, BBC-Journalist und Mitglied bei Bellingcat, erklärte während der Linklaters-Konferenz, wie er einen Mord in Afrika aufklärte. „Alles begann mit einem Video, das im Juli 2018 in sozialen Medien auftauchte“, so Leroy. Darin war zu sehen, wie zwei Frauen und zwei Kinder von einer Gruppe Soldaten von der Straße gezerrt und mit 22 Schüssen getötet wurden. „Das Video war nicht einfach anzuschauen.“ Genauere Informationen zu dem Video gab es nicht.
Kurze Zeit später veröffentlichte der kamerunische Kommunikationsminister einen Tweet, in dem er das Video als Fake News bezeichnete. Er meinte, dass sich der Mord gar nicht in Kamerun abspielte, und dass die Soldaten auch nicht der kamerunischen Armee angehören, sondern der aus Nigeria. Dies weckte das Interesse von Leroy. Er wollte genau wissen, was in dem Video geschah.
Die Suche nach dem Ort
„Niemand von uns konnte vor Ort gehen“, so Leroy. Das Gebiet wurde von Boko Haram unsicher gemacht. Die Journalisten machten also eine investigative Recherche aus ihrem BBC-Newsroom heraus. „Wir nutzten nur unsere Laptops.“ Es ging darum, drei Dinge herauszufinden: den genauen Ort, den genauen Zeitpunkt und die Verantwortlichen des Mordes. „Im Hintergrund der Videos erkannten wir einen Bergrücken“, so Leroy. „Wir glaubten, dass wir nur während einer Woche Google Earth durchstreifen müssten, um diesen Bergrücken wiederzuerkennen.“ Es ähnelte der Suche nach einer Stecknadel in einem Heuhaufen.
„Die Woche war sehr schmerzhaft“, gab Leroy zu. Schließlich bekamen die Journalisten einen Tipp: „Schaut euch doch mal die Gegend an!“ In der Tat führte dann die Recherche zu einem Resultat. „Wir fanden eine perfekte Übereinstimmung.“ Der Bergrücken im Hintergrund lag in der Gegend um Krawa-Mafa, also in Kamerun. „Damit konnten wir den Tweet des Ministers widerlegen.“
Identifizierung der Täter
Auf einmal war alles klar, „wir konnten jede Straße, jeden Baum und jedes Gebäude aus dem Video auf Google Earth wiederfinden.“ Die genauen Koordinaten des Mordes waren nun bekannt. Die Frage nach dem Zeitpunkt des Mordes war aber noch unbekannt. Auch hier half Google Earth. „Ein Haus war auf Bildern aus dem Jahr 2014 nicht zu erkennen“, so Leroy. Der Mord muss also danach passiert sein. Wir konnten nun eine ungefähre Zeitspanne angeben.
Anhand des Schattenfalls, den ein Soldat auf der Straße hinterließ, und einer Internetseite, die den Sonnenstand berechnen kann, konnte Bellingcat die Zeitspanne noch enger eingrenzen. „Als wir alle Daten zusammenfügten, blieben nur noch die Monate März und April übrig.“ Das Internet half auch, die Soldaten zu identifizieren. Es waren keine Nigerianer, wie der Minister behauptete. „Der Waffentyp, der im Video zu erkennen war, wurde nur von der kamerunischen Armee genutzt“, so Leroy.
Er hatte Fotos auf Facebook gefunden, auf denen kamerunische Soldaten eben diesen Waffentyp in die Kamera halten. Auch das Design der Uniformen stimmte mit den Fotos überein. Die Facebook-Recherche ergab sogar noch mehr. Die Journalisten fanden Fotos von den drei Männern, die die Waffen abfeuerten. „Nun hatten wir sogar die Namen der Schuldigen.“ Daraufhin gab die Regierung aus Kamerun bekannt, dass sie sieben Soldaten festgenommen habe.
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