Gemeindepolitik / Das Referendum naht: Wahl und Grosbous werden wohl fusionieren – auf Augenhöhe
Es ist schwer, einen Grund gegen die Fusion von Wahl und dem benachbarten Grosbous zu finden. Zu vieles ist ähnlich in beiden Gemeinden. Wenn sie etwas verlieren, dann die Zusätze „zweitkleinste“ (Wahl) und „drittkleinste“ Gemeinde (Grosbous) in Luxemburg. Beim Referendum am 27. Juni entscheiden die Bürger.
Der Blick der amtierenden Gemeindechefs von Wahl und Grosbous auf eine mögliche Fusion ist emotionslos und nüchtern. Es ist eine pragmatische Entscheidung. „Die Aufgaben der Gemeinden werden immer größer“, sagt Paul Engel (45), der Bürgermeister von Grosbous. „Und es wird immer schwieriger, ihnen gerecht zu werden.“
Sein „Lastenheft“ ist lang und teuer: „Eine Schule betreiben, ,Maison relais‘, heute müssen beide arbeiten gehen, Kanäle, Kläranlagen …“ Eine Fusion mit der Nachbargemeinde Wahl ist für ihn – nach reiflicher Überlegung – die einzig logische Konsequenz. „Um das korrekt zu leisten, muss man sich breiter aufstellen“, sagt er.
Christiane Thommes-Bach (59), Bürgermeisterin von Wahl, hegt ähnliche Gedanken, wenn sie an ihr eigenes „Lastenheft“ denkt. „Die Verwaltungsaufgaben wachsen, Schöffenratssitzungen am Abend, diese Zeiten sind vorbei, Treffen bei den Ministerien, wenig Hilfsmittel vom Staat, weil wir so klein sind, wir müssen in Wahl viele Grünanlagen unterhalten, Verkehrskonzepte entwickeln und, und, und …“, sagt sie.
Gemeinsam Aufgaben bewältigen
Diese Aufgaben zukünftig gemeinsam zu bewältigen, ist verlockend – zumal es große Parallelen zwischen beiden Gemeinden gibt. Sie sind flächenmäßig fast gleich groß, haben fast die gleiche Einwohnerzahl bei um die 1.000, die Vereinsarbeit verläuft schon lange über die Gemeindegrenzen hinweg, es gibt enge familiäre Verbindungen.
Das unterscheidet sie von Saeul, das sich als kleinste Gemeinde Luxemburgs bislang hartnäckig einer Fusion verweigert. Das rund 850 Einwohner zählende Dorf müsste mit viel größeren Gemeinden fusionieren. Anbieten tun sich Helperknapp, Habscht, Beckerich oder Useldingen. „Das sind im Vergleich zu Saeul riesengroße Apparate“, sagt Engel. „Und sie sind nicht so nah beieinander wie wir.“
Er zeigt von Rindschleiden, das zur Gemeinde Wahl gehört, aus mit dem Finger Richtung Wald. „Fünf Kilometer weiter beginnt das Gebiet von Grosbous“, sagt er. „Unsere beiden Gemeinden sind ebenbürtig, das ist eine Fusion auf Augenhöhe.“ Die oft geäußerte Sorge, die Fusionsgemeinde könnte dann schnell auf über 3.000 Einwohner anwachsen, und vom Majorz in den Proporz wechseln, kennen beide.
Ängste vor Wechsel in den Proporz
In Grosbous werden es absehbar mehr werden, denn dort entstehen gerade 82 Wohneinheiten im sozialen Wohnungsbau. Rund 200 neue Einwohner kommen hinzu. Ab 3.000 Einwohnern wird nach Parteiliste gewählt und jede Partei muss elf Kandidaten finden. Engel weiß um die Probleme, die das aufwirft.
Ihn und seine Wahler Kollegin bewegt das schon länger und sie haben einen Alternativvorschlag. „Wir haben uns auf ministerieller Ebene und beim Syvicol dafür eingesetzt, den Proporz nicht auf 3.000 Einwohner festzulegen, sondern auf 3.000 Wahlberechtigte“, sagt Engel. Das bedeutet eine kritische Masse von 5.000 Einwohnern und damit größere Chancen, Listen zusammenzubringen.
Bis das allerdings ausdiskutiert und umgesetzt wäre, zerstreut er die Bedenken mit dem Vorschlag einer parteiunabhängigen Bürgerliste – sollte die neue Fusionsgemeinde tatsächlich auf über 3.000 Einwohner bis zur nächsten Gemeindewahl 2023 anwachsen. Politisch gibt es ebenfalls keinen Widerstand gegen die Fusion.
Gemeinderäte sind einstimmig dafür
Beide Gemeinderäte haben sich laut Engel und Thommes-Bach einstimmig dafür ausgesprochen. Außerdem betonen beide Gemeindeoberhäupter, auf die Einhaltung der Gleichberechtigung bei den nächsten Wahlen 2023 zu achten. „Wir wählen zwar sektoriell, Wahler können aber Grosbouser wählen und umgekehrt“, sagt Engel. Im Gemeinderat sollen jeweils sechs Mitglieder aus beiden Gemeinden sitzen und der Schöffenrat besteht aus vier Mitgliedern.
Das werden zwei aus jeder Gemeinde sein. Wenn das Referendum Ende Juni positiv ausfällt, soll das für die erste Legislaturperiode bis 2029 so sein. Und da gibt es noch etwas. Beide Gemeindechefs verhehlen nicht, dass die Fusion „belohnt“ werde. Es gibt sogar ein bisschen mehr als bisher. Der Ministerrat hat im Oktober 2020 die Pro-Kopf-Pauschale bei Fusionen von 2.000 auf 2.200 Euro erhöht.
Für Wahl-Grosbous bedeutet das nach Angaben des Innenministeriums rund 4,6 Millionen Euro. Dem liegt die Bevölkerungszahl vom 1. Januar 2021 von 2.090 Einwohnern zugrunde. War das auch ein Grund? Dem widerspricht der Grosbouser Bürgermeister energisch. „Das ist eine nette Belohnung, die aber schnell aufgebraucht ist“, sagt Engel. „Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein.“ Den kann die neue Fusionsgemeinde gut gebrauchen, die dann nur noch die fünftkleinste Gemeinde im Land sein wird.
Geschichte der Fusionen in Luxemburg
Zwischen 2004 und 2013 haben insgesamt 20 Gemeinden fusioniert. 2004 schlossen sich Bastendorf und Fouhren zur Gemeinde Tandel zusammen. 2005 waren es Kautenbach und Wilwerwiltz (Fusionsgemeinde Kiischpelt), 2009 Clerf, Heinerscheid und Munshausen (Fusionsgemeinde Clerf). Im Jahr 2011 kommt es zu einer Reihe von Fusionen: Bascharage und Clemency (Fusionsgemeinde Käerjeng) sowie Bürmeringen, Schengen und Wellenstein (Fusionsgemeinde Schengen). Danach bilden Consthum, Hoscheid und Hosingen die Fusionsgemeinde „Parc Hosingen“, Ermsdorf und Medernach die Ernztalgemeinde und Esch-Sauer, Heiderscheid und Neunhausen die Fusionsgemeinde Esch-Sauer. Zwischen 2013 und 2018 schließen sich weitere acht Gemeinden zu Fusionsgemeinden zusammen. Eschweiler und Wiltz bilden die Fusionsgemeinde Wiltz, Hobscheid und Simmern die Fusionsgemeinde Habscht, Böwingen/Attert und Tüntingen „Helperknapp“und 2018 Rosport und Mompach die Fusionsgemeinde Rosport-Mompach. Heute gibt es 102 Gemeinden in Luxemburg. Im Jahre 2004, vor der Fusion Bastendorf/Fouhren, waren es noch 118.
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