Ombudsmann für Kinderrechte / Der Ombudsmann für Kinderrechte René Schlechter spricht über Probleme und Fortschritte
Am Weltkindertag vorvergangene Woche hat das Ombudskomitee für die Rechte der Kinder seinen jährlichen Bericht beim Premier eingereicht. Ombudsmann René Schlechter und die Direktionsrätin des Komitees, Françoise Gillen, standen dem Tageblatt Rede und Antwort über ihre Arbeitsweise, Probleme und paradoxe Situationen. Im Hinblick auf das neue Gesetzesprojekt, das die Statuten des Ombudsmanns klarer definieren wird, zeigen sich beide erfreut.
Tageblatt: Sie sind seit 2013 Ombudsmann für Kinderrechte. Welche Einstellung sollte man denn haben, um als Ombudsmann seine Arbeit gut machen zu können?
René Schlechter: (lacht) Ich glaube, man sollte gut zuhören können. Es ist wichtig, dass wir probieren zu verstehen, wie Sachen laufen oder wieso sie nicht so laufen, wie sie laufen müssten. Wir sollten ohne vorgefasste Meinung an die Sachen herangehen und gleichzeitig auch versuchen, der Komplexität der Sache gerecht zu werden. Neben dem Zuhören braucht man natürlich noch eine gewisse Neutralität und Unabhängigkeit. Das ist eigentlich von der Institution vorgegeben.
Es ist aber stets eine Herausforderung, diese beiden Werte zu verkörpern. Denn man ist schnell nicht mehr neutral (lacht) oder sich seinen Abhängigkeiten nicht bewusst. Vielleicht braucht man einen gewissen Mut, denn als Ombudsmann ist man schon ein wenig exponiert, weil man anderen Leuten, Einrichtungen oder Organisationen Empfehlungen gibt. Das Schlimmste, was uns passieren könnte, wäre, als Klugscheißer der Nation zu gelten. (lacht)
Ihre Amtszeit dauert noch bis 2021?
R.S.: Ja, normalerweise bis 2021. Wir kriegen hoffentlich in den nächsten Monaten das neue Gesetz, und das legt ein einmaliges, nicht erneuerbares Mandat von acht Jahren vor. Das ist im Grunde auch der Plan, dass ich noch nächstes Jahr dabei bin, dann habe ich die acht Jahre des neuen Gesetzes voll und bin dann sowieso reif, um in Rente zu gehen.
Das ist etwas, das mich aufregt, weil Kinder in völlig prekären Situationen „gehalten werden“, weil die administrativen Prozeduren langwierig sindOmbudsmann für Kinderrechte
Was waren Ihre prägendsten Ereignisse als Ombudsmann? Haben Sie ein Beispiel?
R.S.: (denkt nach) Etwas, das mich schon geprägt hat, war eine Flüchtlingsfamilie, bei der die Eltern nach langem Hin und Her endlich regularisiert waren. Der Vater als Flüchtling, die Mutter als Familienmitglied, weil sie aus einem sogenannten „sicheren Staat“ kam. Und dann hat es noch jahrelang gedauert, bis die Kinder regularisiert wurden. Das ist etwas, das mich aufregt, weil Kinder in völlig prekären Situationen, ich sage mal „gehalten werden“, weil die administrativen Prozeduren langwierig sind. Wenn die Verwaltungen anders arbeiten würden, könnten sie den Kindern einen guten Dienst leisten. Die Kinder wissen nicht, ob sie nächstes Trimester noch weiter in die Schule gehen können oder nicht. Das sind ja schon sehr existenzielle Geschichten, die da dran hängen. Das sind so die Sachen, die mich manchmal unruhig und wütend machen.
Wie kann man sich die praktische Arbeitsweise vom Ombudskomitee vorstellen? Ein Kind hat ein Problem
und ruft einfach mal bei euch an?
R.S.: Im Prinzip können Kinder und Jugendliche sich hier melden. Es ist aber so, dass es meistens die Eltern oder Professionelle sind, die für oder mit einem Kind die Anfrage machen oder hierherkommen. Wir haben vielleicht fünf Fälle im Jahr, bei denen das Kind die Initiative ergreifen hat, sich an uns zu wenden. Das ist sicherlich noch verbesserbar. Wenn wir bei Kindern und Jugendlichen eine bessere Sichtbarkeit hätten, dann hätten wir vielleicht mehr direkte Anfragen.
Bevor wir ein Dossier aufmachen, bekommen die Antragsteller einen Termin bei uns. Im gemeinsamen Gespräch versuchen wir abzuklären, was die genaue Anfrage an uns ist und ob wir da etwas tun können. Wir machen im Prinzip nichts über den Kopf einer Person hinweg, die sich hier an uns wendet. Wir probieren immer, ganz transparent zu sein.
Françoise Gillen: Bei vielen Anfragen handelt es sich um Jugendliche, die einfach nur einen Ratschlag von uns haben wollen. Nach dem Motto: „Darf ich dieses oder jenes, auch wenn ich noch keine 18 bin?“
Die Hauptaussage von unserem Bericht am Weltkindertag ist, dass Kinderrechte transversal sind. Sie gehen eigentlich durch die ganze GesellschaftDirektionsrätin des Ombudskomitees
In dem Bericht, den Sie vergangene Woche am Weltkindertag vorgestellt haben, sind viele Probleme aufgeführt, wo die Kinderrechte in Luxemburg nicht respektiert werden. Was sind die gravierendsten?
F.G.: Jeder Journalist fragt das. Das macht mich sehr nervös. Die Hauptaussage von diesem Bericht ist, dass Kinderrechte transversal sind. Sie gehen eigentlich durch die ganze Gesellschaft. Das Ziel dieses Berichtes ist es, zu zeigen, dass es Kinderrechte nicht nur in der Familie und nicht nur in der Schule gibt, sondern dass Kinderrechte von der Regierung und von der Gesellschaft nach oben getragen werden. Das ist die erste Message. Und dann gibt es in jedem Bereich wichtige Kinderrechte. Welche jetzt am wichtigsten sind, das sollte man für jedes Kind individuell betrachten.
R.S.: Ich möchte den aktuellen Bericht mal in einen Rahmen setzen. Die Kinderrechtskonvention schreibt vor, dass jedes Land, das sie ratifiziert hat, alle fünf Jahre einen Bericht beim Expertenkomitee von der UNO in Genf einreicht. Die Luxemburger Regierung ist nun im Februar dran. Und da wäre es eigentlich normal, dass wir kurz danach als Reaktion eine Stellungnahme ausarbeiten und die ebenfalls nach Genf schicken. Es wäre demnach logischer, unseren Bericht im Mai nächsten Jahres zu veröffentlichen. Dennoch haben wir unseren Bericht vergangene Woche schon publiziert und wollen im Mai einen zusätzlichen verfassen, wenn jener der Regierung vorliegt.
F.G.: Mit dem Bericht von vergangener Woche haben wir im Grunde nun aktiv bereits eine Stellungnahme für die Regierung gemacht und sowohl unsere Kritik als auch Verbesserungsvorschläge eingefügt.
Welche sind denn die Schwerpunkte in dem aktuellen Bericht?
R.S.: Ein Schwerpunkt ist der, dass Luxemburg immer noch fünf Reserven* aufstehen hat. Wir sind der Meinung, dass da Reserven dabei sind, die eigentlich aufgelöst werden könnten. Man müsste sich nur darum kümmern. Bislang hat die Regierung noch nie etwas in dieser Hinsicht unternommen. Diese Reserven gab es von Anfang an seit der Ratifizierung vor 30 Jahren. Und eigentlich sind Reserven dazu da, dass sie aufgelöst werden. Die Idee ist ja, dass eine internationale Konvention ihre Funktion erfüllt. Deshalb kann es nicht sein, dass jedes Land 30 Reserven macht. Dann ist nachher keine Substanz mehr da. Luxemburg hat deren fünf und die sind alle gut argumentiert. Aber wir probieren gegenzuargumentieren, dass welche dabei sind, die man aus der Welt schaffen könnte.
F.G.: Auch weil sich innerhalb von 30 Jahren die Gesellschaft geändert hat.
Ist es absehbar, wann diese Reserven aufgelöst werden?
R.S.: Nein, eben nicht. Seit 30 Jahren ist nichts passiert. Und deswegen ist es ganz gut, dass die Regierung jetzt noch mal drauf hingewiesen wird. Das Komitee in Genf wird sagen: „Da sind Reserven, kuckt danach.“ Und wir probieren dann konstruktive Vorschläge zu machen, wie man sie auflösen könnte.
Gab es denn trotzdem Fortschritte?
R.S.: Natürlich gab es Fortschritte. Ich denke, dass sich die Kinderrechte in die Argumentationskette eingebunden haben. Man kann nicht mehr über Maßnahmen für Kinder und Jugendliche reden, ohne die Kinderrechte mit einzubeziehen.
F.G.: Für all jene, die mit den Kindern arbeiten, ist die ganze Philosophie der Kinderrechte schon ein Thema. In ihrem Alltag wenden sie diese im Allgemeinen auch an. Natürlich tun das nicht alle, sonst würde es uns ja nicht geben oder wir hätten nichts zu tun.
Wie steht es um das Thema Gewalt?
R.S.: Wir haben ein Instrument entwickelt, das wir anbieten, damit Kinder in Organisationen oder Institutionen gut aufgehoben und betreut werden können. Dies gilt im Sinne von Schutz gegen Übergriffe, Gewalt unter Kindern oder Gewalt durch Erwachsene an Kindern. Dazu gehört auch die häusliche Gewalt. Besonders hervorgehoben haben wir die körperliche Bestrafung, die ja in Luxemburg eigentlich verboten ist.
Doch die Gesetzgebung ist da sehr weich. Der Begriff „körperliche Strafe“ kommt in keinem Gesetz vor. Wer seinem Kind systematisch einen Klaps auf den Hintern gibt, der assoziiert dies nicht mit Gewalt, sonst würde er es nicht tun. Ich finde, da müsste man auf jeden Fall in Zukunft noch viel Sensibilisierungsarbeit machen. Es ist auch in Luxemburg noch ein reelles Problem, dass noch viele Kinder in dem Sinne erniedrigt werden. Und ein Klaps ist nichts anderes, als ein Kind zu erniedrigen.
Seit 2018 ist ein Gesetzesprojekt auf dem Instanzenweg, der die Funktion des Ombudsmanns betrifft. Was wird sich ändern?
R.S.: Es wird kein Komitee mehr geben. Es gibt dann nur noch einen Ombudsmann, der aber mehr Personal bekommt. Diese zusätzlichen Leute sollen für Missionen in der Sensibilisierung und Kommunikation eingesetzt werden. Die wichtigste Veränderung ist das Mandat, das sich über acht Jahre erstreckt. Und der Ombudsmann für Kinder und Jugendliche (OKJ), so wird er in Zukunft heißen, wird an das Parlament angebunden.
F.G.: Wir werden dann transversal und hängen nicht mehr am Erziehungsministerium. Wir haben eigentlich, seit Herr Schlechter Ombudsmann ist, immer dem Premier unseren Bericht eingereicht und nie dem Erziehungsminister. Das war damals bereits ein Unterschied. Das Prinzip war da eigentlich schon klar, nur bei der Ausführung hat es noch gehapert. Die Idee der Transversalität ist noch nicht überall angekommen.
R.S.: Das ist eine Verbesserung von unserem Statut. Die Missionen im alten Gesetz waren gut beschrieben, aber das Statut hat zu wünschen übrig gelassen. Dieses wird jetzt klarer und wird mehr den internationalen Standards von Neutralität und Unabhängigkeit entsprechen. Wir werden in ein Menschenrechtshaus in die route d’Arlon umziehen. Dort befindet sich unter anderem auch die Konsultative Kommission der Menschenrechte (CCDH). Da bekommen wir dann auch eine andere Visibilität.
Wann wird es greifen?
R.S.: Wir hoffen in der ersten Hälfte des nächsten Jahres.
Ist Ihr Blick in die Zukunft eher optimistisch oder pessimistisch?
R.S.: Was unsere nationale Situation angeht, kann man eigentlich nur optimistisch sein. Nach dem Motto: „Was nicht gut ist, daran müssen wir arbeiten, um es zu verbessern oder zu ändern.“ Weltweit sieht es natürlich anders aus. Dort stehen meiner Meinung nach eher Verschlechterungen an als große Verbesserungen, wenn man sieht, wo überall Kinder unter die Räder kommen, wegen Kriegen, Unruhen, korrupten Regierungen usw. Ich würde sagen, dass ich nicht unbedingt pessimistisch bin, aber ich denke, dass die letzten Jahre durchaus Verschlechterungen gebracht haben. Heutzutage bekommen wir das über die vielen Fälle von Migrantenkinder mit, die sich lange Zeit in einer prekären Flüchtlingssituation befinden.
*Bei den Reserven handelt es sich um Vorbehalte, bei denen die luxemburgische Gesetzgebung im Widerspruch zur Kinderrechtskonvention steht. Deshalb wurden diese Vorbehalte nicht von der Luxemburger Regierung ratifiziert und sind demzufolge rechtlich gesehen ungültig.
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