Kindesmissbrauch / Das Schweigen ist der beste Schutz für die Täter
Der Polizeibericht 2019 verzeichnet einen starken Anstieg von Kindesmissbrauchsfällen. Zusätzlich wird von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen. Um Kindern wirksam zu helfen, bedürfe es einer Aufklärung ab dem Kindergarten darüber, was erlaubte körperliche Berührungen sind, fordern Experten. Leider stehen einer effektiven Prävention hartnäckige Mythen gegenüber. So ist der Täter nicht der „böse Fremde“, sondern in der Regel ein guter Bekannter des Kindes.
„Opa kam zu Papa nach Hause und er kam zuerst ins Schlafzimmer von A. [die Schwester] und dann kam er in mein Zimmer und tat mir weh. Und dann ging er allein. Und Daddy hatte es nicht gesehen, weil er wichtige Dinge tut.“ Dies ist die Aussage eines fünfjährigen Kindes aus dem Bericht* einer Psychologin in einem reellen Rechtsstreit. Die Aussage des kleinen Jungen wurde von seinem Vater in Zweifel gezogen; die Behauptung, sein eigener Vater sei ein Pädophiler, war für ihn aus der Luft gegriffen. Die mit dem Fall befasste Psychologin weist in ihrem Bericht ausdrücklich darauf hin, dass kleine Kinder in der Regel solche Sachen nicht erfinden.
Dr. Deborah Egan-Klein, klinische Psychologin und Psychotherapeutin u.a. bei der Vereinigung „La main tendue“, bestätigt dies. Es komme zwar hin und wieder vor, dass Kindern durch suggestives Fragen Aussagen in den Mund gelegt würden, doch das sei eher die Ausnahme. Der Expertin zufolge sind weniger als zehn Prozent der Fälle erfunden. Dazu würden 90 Prozent der Opfer den Täter kennen. Deshalb sei es falsch, Kindern das Mantra „Sprich nicht mit Unbekannten“ einzutrichtern. Es sei besser, sie zu lehren, wie sie Menschen erkennen, die sich nicht gut benehmen, und dass sie lernen, eine gefährliche Situation zu erkennen.
Prävention ist der beste Schutz
Von bedeutender Wichtigkeit ist eine sehr frühe Aufklärung. „In Kanada z.B. ist das Thema integraler Bestandteil des Schulprogramms ab drei Jahren. Es ist falsch zu sagen, damit würde man den Kindern Angst machen.“ Es gebe Mittel und Wege, auch mit Kindern über ihren Körper zu reden und ihnen beizubringen, was eine nicht annehmbare Berührung von einem Erwachsenen ist. In Luxemburg sei das Thema oft erst nach dem elften Lebensjahr in ein naturwissenschaftliches Fach eingebettet. „Das ist eindeutig zu spät, da 34 Prozent der Opfer vor dem elften Lebensjahr missbraucht werden“, sagt die Expertin.
Informierte Kinder seien weit weniger gefährdet, ebenso solche, die ausreichend Zuwendung erhalten und mit ihren Eltern kommunizieren. Eine liebevolle, schützende Familie, interessierte Eltern, die ihren Kindern zuhören, seien weitere positive Faktoren. Auch seien Kinder im Vorteil, die zwar eine Autorität respektieren, aber keine Angst vor ihr empfinden.
Eine Warnung vor dem „bösen fremden Mann“ kann Kindern keinen ausreichenden Schutz geben. Daher ist es wichtig, Kinder vor bestimmten Handlungen und nicht vor bestimmten Menschen zu warnen.
Fälle, die überhaupt der Polizei gemeldet werden, sind eher die Ausnahme. „Im Bereich des sexuellen Missbrauchs und schwerer Straftaten gegen Minderjährige wurden 2019 304 neue Fälle bearbeitet, ein enormer Anstieg von 36 Prozent gegenüber dem Vorjahr (223 Fälle)“, heißt es im Polizeibericht, der Ende Januar dieses Jahres veröffentlicht wurde. Laut der Psychologin ist dies jedoch nur ein kleiner Teil der tatsächlich begangenen Straftaten gegenüber Kindern. „Sie können sich nicht vorstellen, wie viele solcher Fälle ich in meiner Praxis sehe. Verglichen mit den offiziellen Zahlen, weiß ich, dass nur eine Minderheit angezeigt oder gar vor Gericht kommt.“
Im Durchschnitt würden in Luxemburg zehn Prozent der Kinder sexuell missbraucht; betrachtet man nur die Mädchen, seien es sogar eins von fünf. Als Egan-Klein im Jahre 2016 eine Konferenz zu dem Thema hielt, war laut dem damaligen Polizeibericht die Anzahl der Sexualdelikte um 44 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen.
Männlich, heterosexuell, religiös
Der Psychologin ist es wichtig, mit einigen Mythen aufzuräumen, die es in der Praxis schwer machen würden, gegen das Phänomen vorzugehen. Entgegen der herkömmlichen Auffassung seien Täter gute, verantwortungsvolle, aufmerksame und vertrauenswürdige Menschen. Es sei falsch, zu behaupten, Kinder seien vor allem Opfer von homosexuellen Männern. Der typische Missbrauchstäter sehe anders aus: Er ist männlich, heterosexuell, religiös, verheiratet, weiß und finanziell abgesichert (siehe Kasten).
Dass zu schnell angenommen werde, ein Tatverdächtiger sei trotz mangelnder Beweise schuldig, sei ein weiterer Mythos. Genau das Gegenteil sei der Fall: Meistens glaubten die Leute, dieser sei trotz existierender Beweise unschuldig. Das liege daran, weil die meisten Täter nicht dem Stereotyp des „Monsters“ entsprechen. Die Täter seien meistens „normal“. Eine weitere gängige Meinung sei, dass viele zu Unrecht beschuldigt und verurteilt würden. Die Wahrheit sei aber, dass nur wenige Fälle überhaupt der Polizei gemeldet und untersucht werden. Ergo würden auch wenige Täter identifiziert und verurteilt.
Nicht wahllos
Falsch sei ebenfalls die Annahme, Sexualtäter würden sich wahllos an Kindern vergehen. Meistens würden die Opfer sorgfältig ausgesucht. Bevorzugte Opfer seien passive Kinder, solche mit nur einem Elternteil, Kinder, bei denen es familiäre Probleme gibt, die oft allein sind, wenig Selbstsicherheit haben und sich wahllos jemandem anvertrauen. Der Täter taste sich zudem langsam an das Opfer heran. Wenn ein Kind einen ersten Annäherungsversuch als etwas Falsches erkenne, könne die Wahrscheinlichkeit eines Missbrauchs sinken.
Für die Expertin ist außerdem klar: Es ist nicht der große Unbekannte, der sich an Kindern vergreift. „90 Prozent der betroffenen Kinder kennen ihren Vergewaltiger, nur 10 Prozent werden von Unbekannten missbraucht.“ Aus Erfahrung wisse sie, dass viele Familien es ablehnen, Fälle anzuzeigen. Sie würden es bevorzugen, die Sache privat zu lösen. Ein Hinweis dafür, dass der Täter innerhalb der Familie zu suchen sei. Doch nicht nur die Kinder müssten aufgeklärt werden, auch Lehrern müsse in ihrer regulären Ausbildung beigebracht werden, auf frühe Warnsignale zu achten.
Prävention sei deshalb wichtig, weil Opfer fast immer gravierende, bleibende Schäden davontragen würden. Kinder seien nicht in der Lage, das ihnen zugefügte Leid problemlos allein wegzustecken. Später auftretende Folgen seien oft Alkoholabhängigkeit, Depressionen, Drogenprobleme, frühzeitige Sexualität, Brutalität gegenüber dem Partner. Es könnten aber auch physische Probleme wie Leber- oder Herzerkrankungen sein. Sogar Selbstmordversuche seien nicht auszuschließen. Kindern falle es sehr schwer, über sexuellen Missbrauch zu reden, denn oft würden sie sich selbst schuldig fühlen. Nur 38 Prozent der missbrauchten Kinder berichten, dass sie sexuell missbraucht wurden. Viele sagen es nie. Und falls sie es tun, übertreiben sie dabei nicht. Im Gegenteil: Kinder hätten die Tendenz, die Tat eher zu minimieren. Der Druck der Familie sei dabei nicht zu unterschätzen. In diesem Zusammenhang sei zu erwähnen, dass viele Kinder oft bei Familienfeiern oder auf Festen missbraucht werden, also auch dann, wenn die Eltern zugegen sind.
Sexueller Missbrauch geschieht in einem Umfeld von Verschwiegenheit, Geheimnis und Unwissenheit. Diskretion rund um sexuellen Missbrauch sei der beste Schutz für die Täter. „Das Thema darf kein Tabu bleiben“, fordert Deborah Egan-Klein.
Wann spricht man von Kindesmissbrauch?
Laut der Expertin spricht man von sexuellem Missbrauch von Kindern, wenn eine Person, die in der Regel älter und mächtiger ist, das Kind manipuliert bzw. dazu zwingt, deren sexuelle Bedürfnisse zu befriedigen. In seiner weitesten Definition ist es jede Form von unangemessenem sexuellen Kontakt zwischen einer älteren Person und einem jungen Menschen. Es beginnt mit unangemessenen Berührungen, dem Küssen des Kindes, dem Streicheln der Geschlechtsteile bis hin zur oralen, vaginalen oder analen Penetration. Auch berührungslose Handlungen wie Exhibitionismus, Anschauen von Pornografie, Voyeurismus, Kommunikation mit sexuellen Konnotationen per Telefon oder im Internet seien als unangemessen zu betrachten.
Häufige Warnsignale bei den Opfern
– Verhaltensveränderungen
– Aggression und Regression
– Sexuelles Benehmen mit anderen Kindern
– Brutale Masturbation
– Hyperaktivität
– Magen- und Verdauungsbeschwerden
– Harnwegsinfektion
– Blut im Stuhl oder im Wasser
– Sexuell übertragbare Infektionskrankheiten
– Schwierigkeiten beim Gehen oder Sitzen
– Unübliche und aggressive Gerüche
Der typische Straftäter ist:
– männlich (97 Prozent)
– heterosexuell (91 Prozent)
– religiös (91 Prozent)
– verheiratet oder es gewesen (75 Prozent)
– kaukasisch (73 Prozent)
* Die Mutter des Jungen hat unserer Redaktion ausdrücklich erlaubt, Inhalte des Dossiers zu benutzen.
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Vird Kand ass et net einfach ! Oft krit et net gegleevt! Do gehéiert en grousst Vatrauen dozou und Elteren! Azéiung spillt eng grouss Roll!
Ech hun och nie eppes gesoot vun mir! Ech haat 9 Joer ,gouf och vun engem Noper ungepaakt op vaschidden Plaazen . An ech hun heen missen unpaaken….. ! Ech hun meng Elteren gefaard! Well ech leider keng schéin Kandheet haat! Nach haut kommen déi Momenter am Kapp.. wann ech déi vill Reportagen doriwwer gesin! Bei mir huet daat sech och op meng Zukunft ausgewierkt! Negativ am Sen vun enger Bezéiung!