Revue Reportage / Das sind die Herausforderungen des Gefängniswärter-Berufs in Luxemburg
Der Beruf des Gefängniswärters ist sicherlich nicht einfach. Samir Djennas, Präsident der „Association des Agents Pénitentiaires“, und Vorstandsmitglied Guy Bertemes erklären, wo aktuell der Schuh drückt und wie die Gewerkschaft die Idee einschätzt, dass das Gefängnispersonal in Zukunft den Gefangenentransport übernehmen könnte.
Revue: Gibt es in ihren Augen aktuell ausreichend Wärter in beiden Gefängnissen?
Samir Djennas: Das ist eine komplexe Frage. Irgendwie hat man nie ausreichend Personal. Was aber aktuell spezifischer das Problem ist: Um das Gefängnis für Untersuchungshäftlinge in Sanem überhaupt eröffnen
zu können, musste viel in relativ kurzer Zeit rekrutiert werden.
Guy Bertemes: Man muss einfach feststellen, dass die Rekrutierung von neuem Personal viel zu spät erfolgte. Mit der Folge, dass das Gleichgewicht zwischen älteren und neuen Wärtern in Sanem nicht stimmt. Das will jetzt nicht heißen, dass die neu rekrutierten Wärter einen schlechten Job machen, aber es fehlt ihnen notgedrungen an der entsprechenden Erfahrung im Gefängnisalltag.
S. Djennas: Die frisch rekrutierten Wärter sind vorwiegend aus der Alterskategorie um Anfang bis Ende zwanzig. Diese Tatsache könnte in naher Zukunft zu einem Personalmangel führen. Ich erkläre: Die Beschäftigten haben ihr Privatleben und oft fallen in diesem Lebensabschnitt eben Dinge wie Mutterschafts- oder auch noch Elternurlaub an. Dies wird in unseren Augen dazu führen, dass irgendwann in Zukunft konkret Personal fehlen wird.
Wie kann man dem entgegenwirken?
S. Djennas: Wir können nicht einfach eine Abteilung schließen. Wir haben das bereits des Öfteren thematisiert, sind aber bislang sowohl beim Finanzministerium als auch bei der Gefängnisverwaltung auf taube Ohren gestoßen. Wahrscheinlich wird, wie so oft, abgewartet, bis das Kind im Brunnen liegt.
Das Problem mit der Erfahrung könnte man lösen, in dem man erfahrene Wärter aus Schrassig nach Sanem versetzt und jüngere wiederum nach Schrassig, oder?
G. Bertemes: Man kann niemanden zwingen. Aber wir wissen, dass der Direktor des Untersuchungsgefängnisses bereits in Schrassig angeklopft hat, um Hilfe zu erhalten. Einen solchen Schritt müssen die beiden Direktionen dann unter sich ausmachen. Aber es ist auch nicht so, dass es in Schrassig zu viele Wärter mit der entsprechenden Erfahrung gibt und man diese mir nichts, dir nichts nach Sanem schicken könnte.
S. Djennas: Um es bildlich zu beschreiben: Schrassig ist so etwas wie ein alteingesessener Betrieb mit Wärtern, die einiges an Erfahrung haben. Man kann davon ausgehen, dass hier der normale Alltag keine Probleme bereitet. Sanem ist viel jünger von der Personalstruktur her und unser Alltag besteht nicht nur aus Papierkram. Wir haben mit Menschen von einem gewissen Kaliber zu tun. Wenn man als 22-Jähriger bei einem 45-jährigen Häftling eine Regel durchsetzen soll, muss man wissen, wie man sich anstellt. Da ist Erfahrung ein Plus, die aber durch die viel zu späten Rekrutierungen jetzt fehlt.
Reicht die Ausbildung bei den neuen Wärtern aus?
S. Djennas: Ich sehe es so, dass die aktuelle Ausbildung nicht die richtigen Akzente setzt. Wir beschäftigen uns schon lange damit und wir sind der Meinung, dass Dinge, wie der richtige Umgang mit Häftlingen, Selbstverteidigung oder auch noch das Meistern von Stresssituationen im Stage vermittelt werden sollten. Ich hatte im Stage zum Beispiel eine Ausbildung im Bereich Suchtproblematik. Das ist zwar schön und gut, aber was hilft es einem neuen Wärter, wenn er weiß, welche Droge auf welche Gehirnsynapse wirkt? Das hat nämlich rein gar nichts mit dem normalen Arbeitsalltag zu tun. Die Armee hat eine „Instruction de base“, die Polizei hat ihre eigene Schule, nur bei der Gefängnisverwaltung scheint man das Bedürfnis einer praxisnahen Grundausbildung nicht einzusehen.
G. Bertemes: Das Problem dieser praxisfernen Ausbildung ist folgendes: Wenn sie mit der Arbeit anfangen, wissen die neuen Wärter nicht konkret, wie sie die eine oder andere Situation angehen sollen. Dieses Vermitteln von Basics vermissen wir.
Gefängnispopulation
Stand 1. Juni 2023 gab es in Luxemburg insgesamt 665 Insassen. Davon waren 270 verurteilt. Die große
Mehrheit der Inhaftierten ist zwischen 30 und 50 Jahren alt. Die meisten Sträflinge besitzen die luxemburgische Nationalität. Es folgen Menschen mit portugiesischer Nationalität und dann Franzosen.
Nun steht die Idee im Raum, dass der Gefangenentransport zukünftig von den Wärtern übernommen werden soll. Was halten Sie davon?
G. Bertemes: Diese Thematik ist direkt mit der anderen verknüpft. Wir fragen uns zuerst: Wo kommt das Personal her, das diese zusätzliche Aufgabe übernehmen soll? Wenn die Gefängniswärter die Transporte in einer nahen Zukunft übernehmen sollen, dann hätte man schon vor zwei Jahren mit den entsprechenden Einstellungen beginnen müssen. Das ist aber nicht erfolgt. Schließlich begleitet man einen Gefangentransport ganz sicher nicht nur mit unerfahrenen Wärtern. Hinzu kommt, dass wir aktuell keine Waffengewalt haben, der entsprechende Fuhrpark fehlt, die gesetzliche Lage angepasst werden müsste und natürlich eine entsprechende Ausbildung erfolgen müsste.
Wie viel zusätzliches Personal wäre nötig?
S. Djennas: Ich kann nicht für die Polizei sprechen, aber schätzungsweise sind es aktuell zwischen 70 und 90 Polizisten. Allerdings könnte man verschiedene Dinge bezüglich der Transporte effizienter organisieren. Im Untersuchungsgefängnis wurden Säle gebaut, wo sich Untersuchungsrichter problemlos per Videokonferenz zuschalten oder sogar vor Ort präsent sein könnten, das wird aber aktuell kaum genutzt. Man kann der Magistratur zwar nichts vorschreiben, aber wenn diese Möglichkeiten verstärkt genutzt würden, könnte man die Anzahl der Transport drastisch senken.
Diese Aufgabenerweiterung könnte eine Aufwertung des Berufes mit sich bringen, oder?
S. Djennas: Wir könnten und viele möchten diese Transporte auch übernehmen, aber nur, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Hier gilt in unseren Augen die Devise: Alles oder nichts! Wenn unsere Aufgabe nur darin bestehen soll, an Feiertagen abends einen Häftling ins Krankenhaus zu begleiten, dann nicht. Mit der nötigen Ausbildung und allem, was daran gekoppelt ist, wie unter anderem die bereits erwähnte Waffengewalt, sind nämlich auch Wärter in der Lage, den Transport von A bis Z zu übernehmen. Der gesetzliche Rahmen muss aber klar definiert sein.
G. Bertemes: Bei einer internen Umfrage der Gewerkschaft hat sich eine Mehrheit für diese Aufgabenerweiterung ausgesprochen – wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Leider wird bezüglich unseres Berufes so manches übers Knie gebrochen und es wird einfach gemacht. Das funktioniert am Ende dann immer irgendwie. Aber in Bezug auf einen angedachten Gefangenentransport geht ein solches Vorgehen auf keinen Fall. Unter den richtigen Voraussetzungen aber würde der Transport den Beruf tatsächlich aufwerten.
Wenn man als 22-Jähriger bei einem 45-jährigen Häftling eine Regel durchsetzen soll, muss man wissen, wie man sich am besten anstellt.Präsident der „Association des Agents Pénitentiaires“
Und die Gefängnisverwaltung sieht das ähnlich?
G. Bertemes: Nein, die sieht das Unterfangen eher skeptisch.
S. Djennas: Wir sind bezüglich dieser Thematik noch in einer ersten Phase mit entsprechenden Treffen der einzelnen Partner und wir werden schauen, wie sich das Dossier entwickelt. Die Wärter können den Transport bewerkstelligen, denn sie sind genauso professionell wie andere auch. Wenn unsere Verwaltung nicht will, dass wir diese Verantwortung übernehmen, dann ist das ihr Ding. Schade – und das sage ich als Präsident der Gewerkschaft, aber auch als Wärter – ist die Tatsache, dass die Gefängnisverwaltung ständig die Gefängnisbeamten hinterfragt und man manchmal das Gefühl hat, sie wären nicht bereit, uns den Rücken zu hundert Prozent zu stärken. Man muss als Wärter aktuell fast ständig damit rechnen, dass einem Fehlverhalten angekreidet werden. Das entpuppt sich mittlerweile als Problem.
Seit Jahren wird über eine Aufwertung der Karriere der Wärter diskutiert, die aber noch nicht erfolgt ist …
G. Bertemes: Dieser Schritt ist direkt an die Harmonisierung der Karrieren bei den Staatsbeamten gekoppelt. Der entsprechende Gesetzesentwurf 8040 wurde bereits im Juli 2022 hinterlegt, wann es diesbezüglich weitergeht wissen wir nicht. Aber das betrifft, wie gesagt, nicht nur uns. Man könnte aber den Beruf auch anders als nur finanziell aufwerten. Wenn man eine Vereidigung von neuen Polizisten, mit der von neuen Wärtern vergleicht, dann sieht man, dass es in Sachen Wertschätzung durchaus Nachholbedarf gibt.
S. Djennas: Hin und wieder gewinnt man den Eindruck, dass unsere Arbeit egal ist. Hauptsache, es ist ruhig in den Gefängnissen. Dort funktioniert der Alltag vor allem, weil die Wärter arbeiten, wie sie arbeiten. Würden wir uns ständig mit der letzten Pingeligkeit an alle existierenden Notizen halten, dann gäbe es morgen Revolten. Wir müssen alles irgendwie hinbiegen, um den Betrieb am Laufen zu halten. Diesbezüglich muss sich etwas ändern.
G. Bertemes: Was weiter auf die Stimmung innerhalb des Personals drückt, ist die Tatsache, dass alle immer mehr Überstunden leisten, ganz ohne, dass nach einer Lösung gesucht wird. Das sorgt mittlerweile für Frust. Es scheint der Wille zu fehlen, diesen Missstand zu beheben.
In der Vergangenheit gab es, immer mal wieder Übergriffe auf Wärter. Hat sich die Lage mit der Öffnung vom Gefängnis in Sanem entspannt?
G. Bertemes: Ja. Aber die Respektlosigkeit, die in der ganzen Gesellschaft zunimmt, nimmt auch innerhalb der Gefängnismauern zu. Es sind weniger körperliche Übergriffe, sondern vor allem verbale, mit denen man verstärkt zu kämpfen hat.
S. Djennas: Es ist ein gesellschaftliches Phänomen. Wenn die rezente Studie vom SEW bei den Lehrern zeigt, dass rund ein Drittel nah am Burnout ist, dann behaupte ich, bei uns ist es ähnlich. Das Spektrum von Menschen in Haft reicht nämlich, wie auch in der Schule, von umgänglich bis hin zu völlig ungefiltert.
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