Editorial / Das „Vëlosland“ ist Luxemburg nur für Freizeitfahrer
Als der belgische Radprofi Philippe Gilbert 2016 erstmals an der Tour de Luxembourg teilnahm, kehrte er gerade von einer Verletzung zurück. Angst, sich auf den luxemburgischen Straßen zu verletzen, hatte er nicht. „Hier sind die Bürgersteige in einem besseren Zustand als bei uns die Straßen“, wurde der Belgier damals im Le Soir zitiert.
Für Rennradfahrer ist Luxemburg schon fast ein Paradies: gute Straßen, abwechslungsreiches Terrain, schöne Landschaften – und wer sich ein wenig auskennt, der schafft es auch, dem gröbsten Verkehr zu entkommen. Außerdem verfügt Luxemburg über 600 km an zum Teil sehr schönen Fahrradwegen. Allerdings gibt der Radweg manchmal die Richtung vor, wie zum Beispiel zwischen Stadtbredimus und der Hëttermillen. Hier werden die Radfahrer sogar durch eine hölzerne Leitplanke vom Straßenverkehr gesichert. Wer sich nun dort auf dem Radweg befindet und nach Greiveldingen fahren will, der muss sein Rad schon über die Leitplanke heben. Denn auf vier Kilometern befindet sich lediglich eine Öffnung zur Straße. Luxemburg ist zwar ein Fahrradland, aber oft nur solange es sich um eine Freizeitaktivität handelt.
Als Verkehrsmittel für den Alltag wird das Fahrrad weiterhin stiefmütterlich behandelt. Die wenigen Ausfahrten beim Radweg entlang der Mosel sind hierfür ein gutes Beispiel. Die Fahrradwege in der Hauptstadt oder in Esch sind aus mehreren Gründen mangelhaft, zum einen in puncto Sicherheit, zum anderen weist das Radwegenetz zu viele Löcher auf. Seit Jahren wird das Fahrrad zwar als Verkehrsmittel gepriesen, Prämien sollen zum Kauf anregen, aber ein ganzheitliches Konzept sucht man noch vergebens. Dabei ist der Zeitpunkt, das Fahrrad als alltägliches Verkehrsmittel zu fördern, so günstig wie nie. Die Corona-Krise hat den Fahrradboom noch verstärkt. Viele Menschen bevorzugen es, sich an der frischen Luft fortzubewegen statt in öffentlichen Verkehrsmitteln, in denen die Ansteckungsgefahr trotz Vorkehrungen sicherlich höher ist.
Die Regierung hat den günstigen Zeitpunkt erkannt und den „Vëlosummer 2020“ ausgerufen. 16 Strecken sollen im August für den Autoverkehr gesperrt werden und lediglich vom öffentlichen Transport und von Fahrradfahrern genutzt werden dürfen. Ein schönes Geschenk für alle Radfahrer, mehr aber auch nicht. Vor allem riskiert diese Initiative, die im Vorfeld noch nicht einmal mit den betreffenden Gemeinden abgeklärt war, auf Unverständnis bei jenen Autofahrern zu stoßen, die den gesamten August Umwege in Kauf nehmen müssen. Die Akzeptanz gegenüber dem Fahrrad wird dadurch nicht gesteigert, dabei wäre diese notwendig, will man das Fahrrad als alltägliches Verkehrsmittel fördern. Beispiele von Städten mit einem kohärenten Fahrrad-Konzept gibt es mittlerweile in Europa zur Genüge. Es braucht einfach nur den nötigen Willen und die Konsequenz, dem Fahrrad ausreichend Platz im Mobilitätskonzept einzuräumen. Mit Aktionismus, wie dem „Vëlosummer 2020“, wird Luxemburg auch in Zukunft nur ein wunderschönes Land für Hobby-Radfahrer und Profis wie Philippe Gilbert bleiben.
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Lieber Herr Schleimer, schöner Artikel, doch das Grundproblem , ob das Fahrrad als Transportmittel für alle Bürger überhaupt in Frage kommt , scheint nie zur Diskussion zustehen. Was für Esch, Luxemburg in Punkto Mobilität gilt , das Fahrrad wohl von Vorteil ist, gilt nicht für andere Regionen unseres Landes. Für Arbeitnehmer aus anderen Regionen ist es oft ein Ding der Unmöglichkeit mit Fahrrad, Öffentlichen Transport ihren Arbeitsplatz zu erreichen . Ein Mehr an Anfahrtszeit sicherlich das Hauptproblem, die körperliche Kondition ziehen wir nicht in Betracht und von den Wetterverhältnissen sprechen wir nicht.Ich bin dafür , das Auto aus den Städten wie Esch,Luxemburg,… komplett zu verbannen, allerdings wehre ich mich dagegen , dass die Bürger aus anderen Regionen im Interesse einer Minorität lange Anfahrtswege, Zeitverlust und Lebensqualität einbüßen müssen.Desweitern wie stellen Sie sich vor, ältere , behinderte, kranke Menschen ohne Auto ihre Einkäufe, Arztbesuche , die Lebensqualität sich erhalten können, alles nur auf das Fahrrad ausgerichtet wird.
@Jerry Scholer
Die alten Leutchen nehmen natürlich eine Rikscha.
Natürlich nur für Freizeitfahrer!
Wir werden ja erst bezahlt, wenn wir mit dem Rad bei der Arbeit ankommen.
Nur Briefträger und Fahrradpolizisten fahren im Dienst.
Was kostet das Velodrom? Man könnte je dieses Geld verwenden um Fahrradwege anzulegen. Dann noch das „verflossene“ Geld aus dem Spacemining Desaster dazu, nein…..?