SEW/OGBL zur „Rentrée“ / „Das war eine peinliche Selbstinszenierung“
Nachdem Bildungsminister Claude Meisch am Montag seine Projekte und Reformen für die nächsten Jahre vorgestellt hatte, lud am Dienstag die Lehrergewerkschaft SEW/OGBL die Presse zur „Rentrée“ ein. Dabei sparten die Gewerkschaftler nicht mit Kritik an der Bildungspolitik des Ministers und stellten verschiedene Forderungen.
Den Tag vor der „Rentrée“ nutzte die Lehrergewerkschaft SEW/OGBL, um der Presse ihren Unmut über zahlreiche Probleme im Bildungswesen kundzutun. Da in den vergangenen Monaten sehr viel über die Covid-Maßnahmen gesprochen wurde, richtet der SEW nun den Fokus wieder auf die anderen Probleme, die laut Präsident Patrick Arendt in letzter Zeit völlig in den Hintergrund gedrängt wurden. „Wir sind im Gegensatz zum Bildungsminister jeden Tag mit der Situation an den Schulen konfrontiert“, sagt er. „Wir können uns nicht darauf beschränken, eine Ankündigungspolitik zu betreiben, sondern uns geht es darum, mittelfristige Lösungen zu finden, um die bestehenden Probleme anzugehen.“
Arendt ist zuständig für den Bereich der Grundschule. Er kritisiert den Dialog mit Bildungsminister Claude Meisch, der sich im Laufe der Zeit immer wieder gewandelt habe, aber niemals zufriedenstellend gewesen sei. Arendt ist der Meinung, dass man im Bildungswesen Projekte und Reformen im Vorfeld mit allen Akteuren diskutieren sollte, weil sie mittel- bis langfristige Konsequenzen für die Kinder haben. Bildungsinstitutionen wie der „Conseil supérieur“ für Bildung oder die „Commission scolaire nationale“ des „Fondamental“ seien zu reinen Alibi-Veranstaltungen degradiert worden, sagt er. „Sie treffen sich sehr selten und das Ministerium achtet darauf, die Tagesordnung festzulegen.“
Die Lehrer stehen am Mittwoch im Klassenzimmer und sind mit den Konsequenzen der Pandemie konfrontiert. Die Ankündigungen Meischs helfen ihnen dabei wenig.Präsident SEW/OGBL
Arendt moniert, dass Meisch sich gerne zur Schau stelle. Er nennt als Beispiel den Livestream am Montagabend in der Philharmonie. „Das war eine peinliche Selbstinszenierung und Selbstbeweihräucherung des Ministers.“ Probleme seien schöngeredet oder ignoriert worden. Als Beispiel nennt der SEW-Präsident die von Meisch angekündigte kostenlose Hausaufgabenhilfe für alle. „Ich bezweifle, dass der Minister das nötige Personal zusammenkriegt, um dies anbieten zu können“, sagt er. Bei den meisten angekündigten Reformen gebe es keinen Plan.
Lehrergewerkschaft spricht von PR-Aktion
Der Minister befinde sich nun auf der Schiene, sich als Reformer darzustellen. „Die Lehrer stehen am Mittwoch im Klassenzimmer und sind mit den Konsequenzen der Pandemie konfrontiert. Die Ankündigungen Meischs helfen ihnen dabei wenig.“ Arendt spricht von einer PR-Aktion, während die soziale Schere drohe, immer weiter auseinanderzugehen. „Wir brauchen dringend reelle Reformen in Richtung einer schulischen Gerechtigkeit.“
Arendt nennt ein weiteres Problem: das Kontingent im Bildungswesen. Innerhalb von zehn Jahren seien auf nationaler Ebene weit über 10.000 Schulstunden bei gleich bleibender Schulbevölkerung abgebaut worden. Fast jede Schule habe massiv an Stunden verloren, die Schülerzahl pro Klasse sei dagegen fast überall angewachsen. Der Nachhilfe-Unterricht sei von vielen Schulen abgebaut und von anderen ganz abgeschafft worden. „Dabei ist die Nachfrage nach solchen Nachhilfestunden eigentlich gewachsen“, so der SEW-Vorsitzende. „Wir fordern eine Anpassung des Kontingents, sodass wir auf das Niveau von 2009 kommen. Und wir wollen eine Neuzuteilung von Personal und Spezialisten, weg von den Regionaldirektionen und zurück in die Schulen.“ Dort könnten sie in Zusammenarbeit mit den pädagogischen Teams direkt bei den Kindern eingesetzt werden. Um dies zu organisieren, brauche man keine Regionaldirektion, die Lehrer seien kompetent genug, um das selbst zu organisieren.
Wir bekommen immer mehr Chefs, aber immer weniger Leute, die mit den Kindern arbeiten wollenPräsident SEW/OGBL
Patrick Arendt bezeichnet zudem den Mangel an Grundschullehrern als dramatisch. Der Grund liege in der mangelnden Attraktivität des Berufes. Die Ursachen dafür seien vielfältig. „Die Lehrer werden von vielen Verantwortlichkeiten entbunden, was durch die zunehmende Hierarchisierung in der Schule kommt“, sagt er. „Wir bekommen immer mehr Chefs, aber immer weniger Leute, die mit den Kindern arbeiten wollen.“ Dabei sei gerade Letzteres das Wichtigste. Die Lehrer fühlten sich bevormundet und hätten immer weniger Gestaltungsmöglichkeiten. Arendt spricht von einem Graben zwischen Schulen und Regionaldirektionen. „Wir wollen auf das Modell der ‚Cogestion’ zurückkommen.“ Die Lösung des Bildungsministeriums sei der Quereinsteiger. Doch dadurch werde die eigentliche Ausbildung an der Uni komplett entwertet.
Ausbildung unter katastrophalen Bedingungen
Auch Jules Barthel (SEW/OGBL), verantwortlich für den Bereich des „Secondaire“, bemängelt den Dialog mit Claude Meisch. „In den vergangenen anderthalb Jahren ist es nie zu einem richtigen Austausch zwischen Ministerium und Schulpartnern gekommen.“ Das SEW habe etliche Briefe mit Problemstellungen an den Bildungsminister gesendet, auf die es nie eine Antwort bekommen habe. Meisch nehme Corona als Alibi, um nicht auf die Fragen zu antworten.
Zum Teil wird dort [Handwerksausbildungen] unter katastrophalen Bedingungen Unterricht gehalten, ohne dass das in die Öffentlichkeit kommtSEW/OGBL
Barthel nennt den extremen Mangel an korrekten Einrichtungen und passendem Personal in vielen Handwerksausbildungen. „Zum Teil wird dort unter katastrophalen Bedingungen Unterricht gehalten, ohne dass das in die Öffentlichkeit kommt.“ Im Klassenzimmer, nicht im Atelier, würden Schüler zum Steinmetz ausgebildet. Und dies nicht etwa von einem Steinmetz, sondern durch theoretisches Wissen an einer Tafel durch einen Ingenieur. „Wir haben uns zudem dafür eingesetzt, dass die Schüler aus der Berufsausbildung ihr Arbeitsmaterial wie bestimmte Schutzkleidung bezahlt bekommen“, so Barthel.
Leider ist der „Cycle inférieur“ so strukturiert, dass viele Schüler mit großen Wissenslücken bis auf die 5e gelangen, wo ihnen dann erst bewusst wird, dass verschiedene Sektionen für sie nicht mehr möglich sindSEW/OGBL
Michel Reuter (SEW/OGBL) erläutert auf der Pressekonferenz die Problematik, die der „Cycle inférieur“ (7e bis 5e) im „Enseignement général“ bereitet. Er sagt, dass die Organisation und Promotionskriterien einen großen Einfluss auf die Orientierung auf 5e haben. Und dies stelle man teils infrage. „Wir sind uns alle bewusst, dass die 5eG das wichtigste Jahr im „Secondaire“ ist, weil dort für die Schüler am meisten auf dem Spiel steht, was ihre berufliche Zukunft angeht“, so Reuter. „Wenn ein Schüler sich auf einer 5eG befindet, stehen ihm theoretisch alle Türen offen.“ Theoretisch habe er Zugang zum „Cycle intermédiaire“, könne dann in den „Cycle supérieur“ weitergehen und sich demzufolge nach der Première auch an einer Uni einschreiben. Er habe aber auch die Möglichkeit, in die Berufsausbildung zu gehen.
Die Problematik des „Cycle inférieur général“
„Leider ist der ‚Cycle inférieur’ so strukturiert, dass viele Schüler mit großen Wissenslücken bis auf die 5e gelangen, wo ihnen dann dort erst bewusst wird, dass verschiedene Sektionen für sie nicht mehr möglich sind“, sagt Reuter. „Ein Schüler, der mit einer ungenügenden Note auf 7e einfach so weiterkommt und sich auf 6e nicht verbessert, der hat am Ende das Problem, dass diese Note dann auf 5e plötzlich doch wichtig wird. Die Schüler werden von 7e auf 5e quasi durchgereicht.“ Wenn ein Schüler auf 5e nur einen „Cours avancé“ aufweise, dann habe er keine Chance, auf eine 4e „générale“ zu kommen. Dann könne er auch kein Unistudium mehr anstreben. Viele Schüler und Eltern würden sich dieser Tatsache erst auf 5e bewusst. Aber dann sei es zu spät.
Diese Lehrkräfte finden teils illegale Arbeitsbedingungen vor oder müssen unbezahlte Überstunden, meist im Rahmen von Praktika, leisten, ohne sich dessen bewusst zu seinSEW/OGBL
Das SEW schlägt vor, den „Cycle inférieur“ auf vier Jahre auszudehnen. Die Orientierung würde demnach auf 4e stattfinden. Die Schüler würden länger zusammenbleiben und hätten demnach auch mehr Zeit, ihre Wissenslücken zu stopfen. Die Schüler machen laut Reuter einen großen Sprung in der Reife zwischen 5e und 4e und seien dann eher in der Lage, diese wichtige Wahl zu treffen. Es wäre auch eine Anpassung an das „Secondaire classique“, sagt er. Darüber hinaus fordert das SEW eine „Foire d’orientation“ nach dem Vorbild der „Foire de l’étudiant“ für 5e-Schüler im „Général“, um sie besser über die Möglichkeiten der Arbeitswelt zu informieren.
Vera Dockendorf (SEW/OGBL) setzt sich mit der Problematik der europäischen Schulen auseinander. Neben den bereits im vergangenen Jahr durch das SEW erläuterten Probleme, wie etwa dem Einkauf von Programmen und Examen bei externen Firmen oder der Teilprivatisierung des Bildungswesens, gibt es weitere Schwierigkeiten. Lehrkräfte an europäischen Klassen werden laut Dockendorf nicht in Luxemburg, sondern international rekrutiert, insbesondere in Großbritannien, den USA oder Neuseeland, was dem Lehrermangel in Luxemburg entgegenkomme. Diese Lehrer würden allerdings mangels Sprachkompetenzen nicht als „Fonctionnaire“, sondern als „Employé“ eingestellt. Deshalb seien sie „vulnerabel“ in Bezug auf die Arbeitsbedingungen, was ihren Informationen nach vom Ministerium und den Direktionen ausgenutzt werde. „Diese Lehrkräfte finden teils illegale Arbeitsbedingungen vor oder müssen unbezahlte Überstunden, meist im Rahmen von Praktika, leisten, ohne sich dessen bewusst zu sein“, gibt Dockendorf zu bedenken.
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