Biografie / De Casteg. Ein Leben für die Anderen.
John Castegnaro starb am 16. Juli 2012. Der Gründungspräsident des OGBL, von den meisten nur „Casteg“ genannt, prägte die Gewerkschaftslandschaft über Jahrzehnte. Kürzlich veröffentlichten sein Sohn Guy und der Tageblatt-Journalist Robert Schneider seine Biografie. Das Buch zeigt nicht nur den Menschen John Castegnaro, sondern beschreibt darüber hinaus ein Stück luxemburgische Zeitgeschichte.
Als Kind, als ich noch keine Ahnung davon hatte, was eine Gewerkschaft ist, war ich trotzdem von dem Mann beeindruckt. Teil seiner Reden, die im Radio oder im Fernsehen zu hören waren, faszinierten mich wegen der gewaltigen Stimme, die kein Mikrofon brauchte, um zu einer Menschenmenge zu sprechen. John Castegnaros Redekunst war angeborenes Talent, auch wenn er manchmal seine Zuhörer à la Fidel Castro quälte, wie man in seiner kürzlich erschienenen Biografie erfährt. Die Länge seiner Reden war ebenso legendär wie seine Rhetorik (*). Doch der Mann war weit mehr als nur das Sprachrohr seiner Gewerkschaft. Während Jahrzehnten verkörperte er sie wie kein Zweiter.
Zehn Jahre nachdem er über das Begräbnis von John Castegnaro berichtet hatte, erinnerte Robert Schneider noch einmal in einem „T“-Artikel an ihn. Der Beitrag gefiel dem Sohn Guy Castegnaro, der ihm vorschlug, zusammen ein Buch über seinen Vater zu schreiben. Er habe schon den privaten Teil vorbereitet, Schneider solle den öffentlichen Teil übernehmen.
Nach dem Grund des Buches in einem 100,7-Interview gefragt, sagte der Sohn, es sei einerseits natürlich eine Würdigung seines Vaters, andererseits sei er von vielen Leuten darauf angesprochen worden, dass sein Vater ihnen fehle. In einer sehr persönlichen Art geht er auf jeden privaten Aspekt seines Vaters ein: Herkunft, Jugend, Eltern, Ausbildung, die Ehefrau, die Mutter, usw. Guy Castegnaro nennt seinen Vater im Buch übrigens auch „Casteg“, obwohl er ihn, wie er im erwähnten Interview sagte, nie so genannt habe. Der Leser erfährt z.B. vom frühen Tod von Johns Vater. Weil die Versicherung nicht zahlen wollte, geriet die Familie in Geldnot, eine bittere Erfahrung, die Castegs späteres soziales Engagement erklärte. Darüber hinaus ist dieser Teil auch insofern interessant, als er einen Einblick in die italienische Immigration vom Anfang des 20. Jahrhunderts gibt.
Der Gewerkschafter
Castegs Lebensweg und -werk ist eng mit der Zeitgeschichte unseres Landes verbunden. Robert Schneiders Beitrag „Der Gewerkschafter: Die steile Karriere eines Naturtalents“, beschreibt neben dem öffentlichen „Casteg“, mittels einer Fülle an Details zur Historie der Gewerkschaftsbewegung, ein Stück unserer rezenten Geschichte. Den Bemühungen, eine Einheitsgewerkschaft zu gründen, wird dabei ein großer Platz eingeräumt.
Doch er sei kein Historiker, betont Schneider, seine Herangehensweise sei die eines Journalisten. Er habe keine Archive durchforstet, sondern vor allem Weggefährten von Casteg befragt. In rund zwanzig Interviews, u.a. mit zwei ehemaligen Staatsministern – Jean-Claude Juncker und Jacques Santer –, habe er ein sehr farbiges Bild von John Castegnaro erhalten. Herausgekommen sei „en Abléck an e Liewen, dat op alle Fall ze bedeitend war, fir a Vergiessenheet zu geroden“.
Nachdem Casteg 1960 im Alter von 16 Jahren in den LAV („Lëtzbuerger Aarbechterverband“) eintrat, wurde er 1963 Gewerkschaftssekretär und 1970 Tarifverhandlungssekretär für die Mittel- und Kleinbetriebe, das Baugewerbe und den öffentlichen Dienst, derweil sein Bruder Mario für die Stahlindustrie zuständig war. Sein Verhältnis zu seinem älteren Bruder wird als sehr angespannt beschrieben. Die beiden sind sich regelmäßig bei den Vorstandssitzungen des OGBL in die Wolle geraten, berichtete seine langjährige Sekretärin Marie-Thérèse Sannipoli.
Bei ihm gab es klare Ansagen, er war ein Mann des Wortes. Abmachungen wurden immer eingehalten, es gab keine Unklarheiten.Besitzer der Brasserie Nationale
Auch von anderen Leuten wird „Casteg“ als aufbrausend und cholerisch beschrieben. Es sei auch die Tatsache gewesen, dass er bei seinem Nachruf 2012 die weniger schmeichelhaften Charaktereigenschaften nicht außen vor gelassen habe, die den Sohn dazu veranlassten, ihm die Zusammenarbeit vorzuschlagen, schreibt Schneider im Vorwort. So beschreibt Schneider, wie Casteg ihn des Öfteren während seiner Zeit als Chef der Lokalredaktion morgens anrief und sich beschwerte, dass kein Korrespondent bei dieser oder jener Versammlung des OGBL war. „Vun Erklärungen oder Excusë wollt hien näischt héieren (…)“.
Er sei eben kompromisslos im Einsatz für seine Leute gewesen. Dass er ein Workaholic war, und das auch manchmal auf Kosten seiner Familie ging, wie man zwischen den Zeilen des Sohnes herauslesen kann, scheint nur die logische Konsequenz davon zu sein.
Sein bedingungsloser Einsatz für die Gewerkschaft bescherte ihm nicht nur Anerkennung bei der Arbeitnehmerschaft, sondern auch Respekt seitens der Arbeitgeber. „Bei ihm gab es klare Ansagen, er war ein Mann des Wortes. Abmachungen wurden immer eingehalten, es gab keine Unklarheiten“, sagt Georges Lentz, Besitzer der „Brasserie nationale“. Jean Spautz, ehemaliger LCGB-Präsident, formulierte es knapp: „Ein Mann, ein Wort.“
„Unbeschriebenes Blatt“
Bei der Gründung des OGBL im Jahre 1979 wurde er dessen erster Präsident, und blieb es bis 2004, als er in die Politik ging. Bei den Wahlen wurde er aber lediglich Fünfter auf der LSAP-Liste im Süden. Guy Castegnaro zufolge hatte die Düdelinger Sektion gegen ihn mobil gemacht, was vom früheren Düdelinger Bürgermeister natürlich anders dargestellt wird. Laut Mars die Bartolomeo liegt der Grund für Castegs mittelmäßiges Abschneiden bei den Wahlen in der Schließung der Düdelinger Walzstraße „de Stéckel“. Der OGBL habe mit Arcelor ein Abkommen ausgehandelt, das weder der Belegschaft noch der Gemeindeführung gefiel.
Ob Casteg Minister werden wollte, ist nicht eindeutig gewusst. Jean-Claude Juncker hätte ihn gern als Arbeitsminister in der Regierung gesehen, Casteg selbst hat die Frage in einem Interview mit der Revue kategorisch verneint.
Sein politisches Engagement erklärte er selbst mit den Worten, er habe noch etwas bewirken wollen, ein Schritt, der von seinem Sohn im Nachhinein als Fehler bezeichnet wird: „Seine Persönlichkeit als Gewerkschafter konnte er nicht einfach so gegen die eines Politikers eintauschen“. Da er sich als Abgeordneter nicht immer dem Fraktionszwang unterwarf, waren parteiinterne Konflikte vorprogrammiert. Bei den Parlamentswahlen 2009 kandidierte er nicht mehr.
„Als Gewerkschafter war er ein Monument und als Politiker ein unbeschriebenes Blatt“, resümiert Mars Di Bartolomeo die Tragik des Abgeordneten Castegnaro.
Als innig und freundschaftlich wird sein Verhältnis zu Premierminister Jean-Claude Juncker beschrieben, Schneider schreibt gar von einer „engen Zusammenarbeit“, doch war es laut Guy Castegnaro eine große Enttäuschung für seinen Vater, dass Juncker ihn in den Monaten vor seinem Tod nicht mehr kontaktierte. Erst ein paar Tage vor seinem Tod habe ihn Juncker auf sein Handy angerufen, doch Casteg habe weder Lust noch die nötige Energie gehabt, mit ihm zu reden. „Junckers letzter Anruf kam zu spät.“
(*) Mittels eines im Buch abgebildeten QR-Codes kann man eine Audiodatei abrufen und sich einen Teil von John Castegnaros 1.-Mai-Rede aus dem Jahr 1988 anhören.
„De Casteg. Ein Leben für die Anderen“, Guy Castegnaro & Robert Schneider, Editions Le Phare, Esch/Alzette, 2023
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