Ausschreitungen am Samstag / Debatte als Differenzausgleich: Politiker rufen zu Verzicht auf Gewalt und Hass auf
Ein wütender Mob in Luxemburg-Stadt und die öffentlich gemachte Privatnummer eines Tageblatt-Journalisten dominierten die Chamber-Aktualität am Dienstag. Geeint hat das Parlament die gewaltsamen Ausschreitungen und Einschüchterungsversuche am Samstag verurteilt.
Premierminister Xavier Bettel ist am Dienstag vor das Chamber-Plenum getreten. Sieht man den Premierminister sonst eher lächelnd und flachsend, konnte einem die entschlossene Miene des Premierministers an diesem Nachmittag nicht entgehen. „Vergangenen Samstag haben sich Szenen abgespielt, die wir nicht akzeptieren können und nicht akzeptieren werden“, sagt Bettel mit fester Stimme.
2.000 Menschen hatten sich am Samstag von der „Kinnekswiss“ und dem Glacis in Luxemburg-Stadt zusammen Richtung Weihnachtsmarkt bei der „Gëlle Fra“ bewegt. Einen Organisator scheint es nicht gegeben zu haben, obwohl sich in den vergangenen Monaten in der Pandemie mehrere Persönlichkeiten in Luxemburgs Impfgegner- und Schwurbelszene hervorgetan hatten. Die Dynamik, die die scheinbar lose Gruppe jedoch in der Folge aufbaute, entwickelte sich zu einem „Jamais-vu“ in Luxemburg.
Angelangt am Weihnachtsmarkt bei der „Gëlle Fra“, durchbrachen die Demonstranten die Absperrungen der Polizei und warfen die Absperrgitter auf die Ordnungshüter, bevor sie auf das abgesperrte Gelände stürmten. Für das vorläufige i-Tüpfelchen sorgten dann einige Rechtsextremisten, die auf dem Sockel des Monuments rechtsextremistisches Gedankengut auf einer Banderole entrollten. Danach zogen einige der Demonstranten noch weiter bis zur privaten Wohnadresse des Premierministers und bewarfen die Fassade mit Eiern. Auch ein schwarzes Auto, das jedoch nicht Premierminister Bettel gehört, wurde zerkratzt. Ein Tiefpunkt in der bisherigen Pandemie.
Justiz mit Samstagsdemo befasst
„Wir hatten am Dienstagmorgen ein Treffen mit der Polizei und der Staatsanwaltschaft“, sagte Bettel in seiner Rede vor dem Parlament. „Jede Illegalität muss bestraft werden.“ Auch rief der Premierminister alle Demonstranten dazu auf, sich von den Krawallmachern und gewaltbereiten Akteuren zu distanzieren. „Lassen Sie sich nicht von denen instrumentalisieren.“ Ein Aufruf, dem sich viele Redner anschlossen. „Wir dürfen nicht den Fehler machen und alle Demonstranten ‚an een Dëppe geheien’“, so die Fraktionsvorsitzende der CSV, Martine Hansen. „Hass und Gewalt sind jedoch nicht zu tolerieren.“
Zusätzlich zu den Geschehnissen am Freitag griff Premierminister Bettel in seiner Rede die Vorkommnisse rund um einen Tageblatt-Journalisten und den ADR-Abgeordneten Roy Reding auf. Roy Reding hatte eine Anfrage des Journalisten mitsamt dessen privater Handynummer in der Telegram-Gruppe „NetgepicktLU2.0“ geteilt. Dass der Pressevertreter anschließend als „Spitzel der Gestapo“ angefeindet wurde, schien den Abgeordneten dabei nicht weiter zu stören. Stattdessen postete er mit den Worten „Oui oui. An hei an totaler Transparenz meng Aentwert“ lediglich seine Antwort-Mail direkt unter den Nazi-Vergleich.
Durch Reporter.lu gelangte der Vorfall an die Öffentlichkeit und wurde am Dienstag auch im Parlament diskutiert. „Es ist inakzeptabel, dass die Nummer eines Journalisten in einem Kontext geteilt wird, wo man davon ausgehen muss, dass diese dafür genutzt wird, um den Journalisten zu stigmatisieren“, sagt Premier- und Medienminister Xavier Bettel. Laut Erklärungen des Abgeordneten dem Tageblatt und anderen Medien gegenüber sei ihm bei der Veröffentlichung ein Fehler unterlaufen – eine Argumentation, die er auch den anwesenden Abgeordneten und Regierungsmitgliedern während seiner kurzen Intervention persönlich vortrug. – AfD-Politikerin Beatrix von Storch lässt grüßen: Die deutsche Politikerin hatte nach umstrittenen Äußerungen im Netz angegeben, mit der Hand auf der Maus „ausgerutscht“ gewesen zu sein.
Roy Reding hatte in den sozialen Medien angegeben, er werde die Omikron-Variante aus Südafrika gratis importieren und unter anderem zum Widerstand und zum Generalstreik aufrufen – womit sich der Kreis zu den Ausschreitungen auf der Demonstration am Samstag schließt. Die gewalttätigen Ausschreitungen wurden von allen Parteien im Parlament verurteilt – eine entsprechende Resolution wurde auch von der ADR nach einer intensiven und nicht immer übersichtlichen Debatte mitgetragen.
Feldzug der ADR
Es war Fernand Kartheiser, der Unruhe im Plenum stiftete, als er eine Kopie des Tageblatt mit der Berichterstattung zu den Schwurbel-Influencern hochielt und kritisierte, man stelle die Personen an den öffentlichen Pranger. Dabei bewegen sich diese Personen längst im öffentlichen Raum, in den sozialen Medien und in den frei zugänglichen Nachrichtenkanälen. Die Rede war von einer allgemeinen Unruhe im Plenum geprägt und von mehreren Zwischenrufen begleitet – „als éischt Feier ufänken an dann Pompjee spillen –, die dem ADR-Politiker eine Verharmlosung der Umstände vorwarfen. Nicht hilfreich waren in dem Sinne die Aussagen von Roy Reding, der als einzigen Ausweg aus den angekündigten 2G-Regelungen für den Freizeitbereich eine freiwillige Infektion mit dem Coronavirus in Betracht zog – die Impfung lehnt er weiterhin kategorisch ab.
Den persönlichen Feldzug gegen das Tageblatt beendete Kartheiser mit der Anmerkung, die Zeitung habe vermeldet, die ADR wolle die Gewalt am Samstag nicht verurteilen. Tatsächlich hat sich in der nachrichtlichen Meldung ein Fehler eingeschlichen, der aber durch den nicht ganz so freundlichen Hinweis des ADR-Politikers Fred Keup umgehend korrigiert und entsprechend gekennzeichnet wurde. Piraten-Politiker Sven Clement verwies in einer direkten Antwort auf die Äußerung des konservativen Politikers auf die schnelle Korrektur des Tageblatt. „Sie sollten sich nicht so auf die freie Presse einschießen“, beanstandete Clement.
Trotz der offensichtlichen Differenzen zur Corona-Politik konnte zumindest ein Hauch zivilisierten Diskurses wahrgenommen werden. Nicht nur entschuldigte sich der DP-Politiker Gilles Baum für den Fehler und stellte sich schützend vor die Grünen-Fraktionschefin Josée Lorsché. Es sei sein Fehler gewesen, dass die letztendlich einstimmig angenommene Resolution nicht der ADR vorgelegt worden ist. Auch Kartheiser gab zur Kenntnis, dass er die Korrektur der Tageblatt-Redaktion zum Zeitpunkt seiner Äußerungen nicht gesehen habe. Hätte die vorherige Auseinandersetzung nicht stattgefunden, hätte der Beobachter fast meinen können, dass eine gesittete Debatte als Stilmittel des Differenzausgleichs in Luxemburg doch noch nicht ganz aus der Mode gekommen ist …
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