EU-Parlament / Dem Chaos ein Ende setzen: Umstrittenes Asyl- und Migrationspaket verabschiedet
Nach einer zuvor sehr kontrovers geführten Debatte hat das Europäische Parlament (EP) am Mittwoch das umstrittene Gesetzespaket zur gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik der EU angenommen.
Es ist wohl das schwierigste Gesetzesvorhaben dieser Legislaturperiode, das die EU-Parlamentarier am Mittwoch in Brüssel verabschiedet haben. Bis zu acht Jahren wurde an den insgesamt zehn Gesetzestexten verhandelt, bevor Ende vergangenen Jahres ein Kompromiss zwischen den beiden Ko-Gesetzgebern in der EU, dem EP sowie dem Rat, also den Mitgliedstaaten, gefunden werden konnte. Vor allem die EU-Staaten hatten sich schwergetan, eine gemeinsame Position für die Verhandlungen mit den EP-Vertretern zu finden.
Zufrieden mit dem Kompromiss sind nur die wenigsten, schon gar nicht die Gegner – allerdings aus sehr unterschiedlichen Gründen –, aber auch nicht die Befürworter. Dennoch dürften viele EP-Abgeordnete erleichtert darüber sein, dass alle zehn Gesetzestexte gestern angenommen wurden. Denn vor der Abstimmung hatte die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson gewarnt: „Alle Dossiers müssen durchkommen, sonst kommt keines durch.“ Doch es sei nun „an der Zeit, unsere kaputte Migrationspolitik zu reparieren“, sagte die Schwedin und warb für die Zustimmung der EU-Parlamentarier.
Was danach folgte, war eine Debatte, die geprägt war von Extremen. Während die Befürworter – Christdemokraten, Sozialdemokraten, Liberale – der neuen Regelungen und die Gegner, vor allem der linken und grünen Fraktion, sich gegenseitig vorwarfen, das Spiel der Rechtsextremen zu spielen, wandten diese sich wiederum gegen alle anderen.
Vor allem seit dem Jahr 2015, als im Zuge des Syrien-Krieges rund eine Million syrischer Flüchtlinge nach Europa strömten, wird über neue Regelungen zur gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik in der EU diskutiert. Unterdessen kam es insbesondere an den Grenzen der Ankunftsländer Italien und Griechenland immer wieder zu chaotischen Zuständen, da diese teilweise vom Zustrom der Flüchtlinge überfordert waren. Nur wenige EU-Staaten, unter ihnen Luxemburg, waren bereit, die Ankunftsländer durch die freiwillige Aufnahme von Asylsuchenden zu entlasten. Daher enthält das nun verabschiedete Gesetzespaket einen Solidaritätsmechanismus, der vorsieht, dass jährlich bis zu 30.000 Asylsuchende aus den Ankunftsländern in andere EU-Staaten umgesiedelt werden. Jene EU-Länder, die dazu nicht bereit sind, müssen 20.000 Euro pro Migrant zahlen, den sie nicht aufnehmen oder anderweitig einen Beitrag zum Schutz der Außengrenze leisten.
Legale Einwanderung
Vor allem die Berichterstatter zu den verschiedenen legislativen Texten warben um Zustimmung. Es gehe darum, „das Chaos in der EU“ zu beenden, so die französische Liberale Fabienne Keller. Man müsse „realistisch und ehrlich“ sein: Werde das Paket abgelehnt, werde es in den nächsten zehn Jahren keine Reformen in der gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik geben und der Status Quo werde beibehalten, warnte die Renew-Politikerin. Auch sie tue sich schwer mit dem Kompromiss, gestand die S&D-Abgeordnete Birgit Sippel, die Berichterstatterin zu den Vorschriften über die Erfassung von biometrischen Daten der ankommenden Flüchtlinge sowie die Gesundheits- und Sicherheitskontrollen war. „Unser Einsatz für eine solidarische und progressive Migrationspolitik endet nicht heute“, sagte die Deutsche und verlangte „einfachere und erweiterte Möglichkeiten der legalen Einwanderung“. Zudem müsse darauf geachtet werden, dass das Gesetzespaket in allen Mitgliedstaaten vollumfänglich umgesetzt wird.
„Wir sind keine Aktivisten von Nichtregierungsorganisationen“, auch wenn er deren Anliegen teile, sagte der S&D-Abgeordnete Juan Fernando Lopez Aguilar. Doch es würde nicht weitergehen, wenn keine Entscheidungen getroffen werden. Das vorliegende Gesetzespaket sei „nicht perfekt“, doch es bestehe nun eine Chance, die genutzt werden müsse, so der Spanier, der Berichterstatter zur Verordnung der Bewältigung von Krisensituationen im Fall eines Anstiegs von Migrationsströmen war.
Auch sie habe „keine Freude mit dem Paket“, meinte die niederländische EP-Abgeordnete Sophia In’t Veld, die bedauerte, dass viele EU-Staaten nicht bereit seien, europäische Werte hochzuhalten. „Für etwas Perfektes zu stimmen ist nicht schwer“, doch nun müsse Verantwortung übernommen werden, so die Liberalen-Politikerin, die die Gegner des Pakets ermahnte, nicht den Eindruck zu erwecken, dass sie ein besseres Resultat hinbekommen könnten. Den Rechtsextremisten warf Sophia In’t Veld vor, das Chaos weiterführen zu wollen, „denn sie leben davon“.
Nazivokabular
Diese sind allerdings nicht so geeint, wie man es vermuten könnte. So meinte Nicola Procaccini von den in Italien regierenden Fratelli d’Italia, das Gesetzespaket sei ein „Schritt in die richtige Richtung“ und erklärte, dieses zu unterstützen. Er forderte aber vor allem, die Herkunftsländer der Migranten zu unterstützen.
Ganz anders hörte sich demgegenüber Jordan Bardella an, der Vorsitzende der rechtsextremen Fraktion „Identität und Demokratie“: Er sprach von „Massenmigration“, die eine „Bedrohung der Sicherheit und Stabilität der Gesellschaft“ sei. „Migrationswelle um Migrationswelle“ würde den Menschen in der EU aufgebürdet, so der Führer der französischen Partei Rassemblement national von Marine Le Pen. Sein Fraktionskollege Tom Vandendriessche vom belgischen Vlaams Belang bediente sich des Nazivokabulars und sprach vom „Austausch der europäischen Bevölkerung“ durch Flüchtlinge und von einer „Überflutung von Asylbewerbern“.
Der Vorsitzende der Linken-Fraktion im EP, Martin Schirdewan, wiederum meinte, die EU würde sich „von ihren humanistischen Grundsätzen verabschieden“. Die Menschenrechte würden „faktisch zu Grabe getragen“ und die neuen Regelungen seien nichts anderes als ein „Einknicken vor den Rechten in Europa“. „Das Recht auf Asyl wird abgeschafft“, ergänzte seine schwedische Fraktionskollegin Malin Björk.
Scharfe Kritik
Scharfe Kritik kam auch von der lxemburgischen Grünen-Abgeordneten Tilly Metz: „Die neu verhandelten Regeln werden nicht dazu beitragen, die ernsthaften Herausforderungen und Missstände zu bewältigen, mit denen das gemeinsame Europäische Asylsystem derzeit konfrontiert ist“, so Tilly Metz in einer Mitteilung. „Anstatt die Rechte der Schutzsuchenden zu stärken, wird auf Abschreckung und Bestrafung gesetzt und die Verantwortung auf Drittländer abgewälzt“, so die Grünen-Politikerin weiter, die nicht nur kritisiert, dass das Dublin-System nicht überarbeitet wurde. Sie wendet sich auch gegen die Bestimmung, dass selbst Familien mit Kindern ein Asylverfahren an der EU-Außengrenze durchlaufen müssen, wenn sie aus einem Land kommen, das in der EU als sicher gilt und daher wenig Aussicht auf die Gewährung von Asyl besteht. Luxemburg hatte sich unter Migrationsminister Jean Asselborn dagegen ausgesprochen, auch Familien mit Minderjährigen einem Grenzverfahren zu unterziehen.
Der luxemburgische Innenminister Léon Gloden begrüßte das „positive Votum“ im EP. Der Schutz der EU-Außengrenzen werde damit ebenso gestärkt wie die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten, meinte Gloden in einer Mitteilung.
Nach der Zustimmung der EU-Parlamentarier wird nun noch der Rat grünes Licht geben müssen, was jedoch als Formsache gilt. Anschließend müssen Teile des Gesetzespakets noch in nationales Recht umgesetzt werden, womit die neuen Regelungen erst in etwa zwei Jahren ihre Wirkung haben werden.
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