/ Denkmal fürs Nichtstun: Der Obdachlose „Dolles“ gehört(e) einfach zu Niederkorn
Zwei Minister brachte Niederkorn bisher hervor, berühmte Sportler und
eine waschechte Prinzessin. Doch da gab es noch einen berühmten Niederkorner, den man der jüngeren Generation nicht vorenthalten sollte: „Dolles“.
Von Roby Fleischhauer
Der Bezeichnung „Strummert“ wurde er bestimmt nicht gerecht. Er gehörte einfach zum Dorf wie der „Pësselbuer“, den es leider auch nicht mehr gibt. „Dolles“, mit richtigem Namen Pierre Adolphe Schockmel, wurde am 19. Februar 1896 geboren und verstarb am 12. Dezember 1970 im Niederkorner Spital, wo die Barmherzigen Brüder ihn bis zuletzt gepflegt hatten.
Über „Dolles“ gab es viel zu erzählen: Man bewunderte ihn, weil er nie im Leben gearbeitet haben soll. Nur die Nazis hätten ihn zum Arbeiten gebracht, sagt man. Eine weitere Legende besagt, er sei im Spital verstorben, als er gezwungen wurde, ein Bad zu nehmen. „Dolles“ hatte seinen Stammplatz auf einer Bank auf dem Niederkorner Marktplatz.
Von da aus beobachtete er das Dorfgeschehen, äußerte sich jedoch nie darüber, höchstens in Selbstgesprächen, die er zuweilen führte.
Wenn jemand ihm – was hin und wieder vorkam – neue Stiefel schenkte, so schnitt er sogleich mit dem Messer die Stiefelspitzen auf, was wahrscheinlich der „stiefelinneren Klimatisierung“ zuträglich war.
Unnahbar, aber nicht furchteinflößend
Trotz seines schmutzigen Aussehens, seines wild wuchernden Bartes, seines fettig-glänzenden Hutes und seines abgetragenen Überziehers liebten ihn die Niederkorner. Auch die Schulkinder, die über den Marktplatz hinweg zur Schule gingen, hatten keine Angst vor ihm. Viele blieben stehen und unterhielten sich mit ihm. Seine Aussprache war jedoch ziemlich undeutlich.
Geleistet hat „Dolles“ nichts, nicht einmal für sich selbst. Und trotzdem war er beliebt, vielleicht auch gerade deshalb. Ein bisschen Neid spielte schon immer mit, wenn die Niederkorner herumerzählten, dass „Dolles“ noch nie in seinem Leben einen Finger gekrümmt hatte. Nicolas Kremer schreibt zwar in seinen Erinnerungen „Wéi et deemools wor“, „Dolles“ habe vor dem Krieg kleinere Arbeiten ausgeführt, wie Gartenbeete umgraben oder Holz hacken, was ihm jedes Mal eine Mahlzeit einbrachte. Jedenfalls tat er solches nach dem Krieg nicht mehr und trotzdem stand auf vielen Fensterbänken ein Teller Suppe oder sonst irgendwas für ihn bereit. Sein Nachtlager befand sich in einer Scheune in der Theis-Straße.
Einen Höhepunkt erlebte er am 25. Mai 1966, als in Niederkorn Firmung war. Bischof Léon Lommel wurde bei seiner Ankunft in der Nähe des Marktplatzes von den Autoritäten aus Gemeinde und Pfarrei empfangen. Kinder überreichten ihm Blumen. Der Bischof sah sich um und bemerkte den Obdachlosen auf seinem angestammten Platz. Er ließ das Empfangskomitee stehen, ging mit seinem Blumenstrauß auf ihn zu und gab ihm die Hand. Ob sich „Dolles“ der Ehre bewusst war, die ihm widerfahren war, konnte nicht festgestellt werden. Sein Gesichtsausdruck blieb unergründlich. Abbes Jacoby, der fotobegeisterte Niederkorner Lehrer, der sein Haus nie ohne seine „Mamiyaflex“ verließ, hielt die Szene für die Nachwelt fest.
Sie haben ihm ein Denkmal gebaut
Aloyse Bernard, Präsident des Vereins Garten und Heim aus Niederkorn, kümmerte sich damals ein wenig um „Dolles“. Er war es auch, der das Grab von „Dolles“ liebevoll bepflanzte. Nach dessen Tod übernahm Raymond Souvignier diese Aufgabe – und das bis heute, sodass „Dolles“ auch jetzt noch eine einfache, aber äußerst gepflegte Grabstätte hat: ein Zeichen, dass die Niederkorner „Dolles“, auch wenn er aus dem Stadtbild verschwunden ist, nicht vergessen haben.
Die Differdinger Gemeindeverwaltung setzte ihm auf Betreiben des damaligen Schöffen Jean Lorgé sogar ein Denkmal. Es wurde am 24. September 2012 eingeweiht und kostete insgesamt 150.000 Euro. Auf die Skulptur, entworfen vom Künstler Will Lofy, stößt man, wenn man von der avenue de la Liberté in die Zufahrt in die Marie-Astrid-Klinik einbiegt.
Viele, besonders die CSV und die ADR, kritisierten, dass man für viel Geld jemanden verewigte, der nichts, aber auch gar nichts geschaffen habe, wo es doch so viele verdienstvolle Künstler, Sportler und Helden in der Gemeinde gegeben habe. Andere fanden aber auch, dass „Dolles“ ein Teil der Niederkorner Folklore sei, dass er vielleicht auch die Botschaft überbrachte, dass Nichtstun bei unserer alltäglichen Hetze auch öfter angebracht wäre.
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Solche Figuren gab es früher in jedem Dorf und es waren nicht die Schlechtesten. Nicht selten sogar interessant und weise. Oft der Lächerlichkeit und dem Gespött preisgegeben, lebten sie ihr leben, womöglich von so manchem Etablierten oder Spiessbürger um ihre Freiheit und Exotik beneidet.