Interview / Der Beginn einer neuen kreativen Phase: „Death Cab For Cutie“ spielen heute im Atelier
Die Kultband stellt heute Abend ihr neues Album im Atelier vor – und plant ein fast zweistündiges Set, in dem Fans aller Schaffensphasen bedient werden sollen. Das Tageblatt hat sich mit Gitarrist und Keyboarder Dave Depper über „Asphalt Meadows“, Nostalgie im Indie-Rock und den tragischen Tod von Lows Mimi Parker, mit der die Band touren sollte, unterhalten.
Tageblatt: Sie sind zurzeit mit ihrem neuen Album „Asphalt Meadows“ auf Tour, im Herbst folgt eine nostalgische Tournee mit The Postal Service, während der Sie das „Transatlanticism“-Album spielen. Wie fühlt es sich an, innerhalb weniger Monate zwischen Gegenwart und Vergangenheit zu pendeln?
Dave Depper: Das ist schon ein etwas komisches Gefühl (lacht). Wir sind momentan definitiv auf das neue Material fokussiert. Klar bin ich aufgeregt über das, was wir im Herbst mit den älteren Sachen machen werden, aber ich habe noch nicht viel darüber nachgedacht. Ich weiß, wie man all diese Songs spielt, also kann ich mich voll und ganz der Livegestaltung der neuen Platte widmen. Aber es ist durchaus möglich, dass sich der schnelle Übergang von der musikalischen Gegenwart in die Vergangenheit wie ein Sprung ins kalte Wasser anfühlen wird.
Wie hat sich die Pandemie auf Ihr Leben als Musiker ausgewirkt?
Die Pandemie hat uns alle sehr stark geprägt, aber unsere Branche war während mehr als zwei Jahren ganz besonders betroffen. Für 2020 hatten wir eine Reihe von Auftritten geplant, das nächste Album sollten eigentlich auch früher erscheinen. Dazu gesellte sich eine finanzielle und künstlerische Unsicherheit: Wir durften nicht einmal in einem Raum zusammen Musik machen, was dazu führte, dass diese Platte zumindest kreativ gesehen auf eine für uns unkonventionelle Weise entstand – doch gerade dieser Prozess führte im Endeffekt zu einem sehr fruchtbaren Ergebnis, das wir später immerhin in einem richtigen Studio aufnehmen konnten.
Der erste Song auf „Asphalt Meadows heißt „I Don’t Know How I Survive“. Würden Sie von einer Pandemie-Platte reden?
Ich weiß nicht, ob ich es ein Pandemie-Album nennen würde. Ich kann jetzt nicht für Ben (Gibbard, Sänger der Band, Anm. d. Red.) sprechen – aber ich weiß, dass er ausdrücklich nicht zu viel schreiben wollte, was mit der Pandemie zu tun hat, weil es das Album datieren würde und wir zudem irgendwie hofften, dass es in einem post-pandemischen Kontext erscheinen würde und die Zuhörer vielleicht nicht als Erstes daran erinnert werden wollten, wie traurig sie gerade waren und wie verängstigt sie sich fühlten. Aber Ben ist ein ehrlicher Autor. Seine Texte spiegeln wider, wo er sich gerade befindet. Während der Pandemie war er traurig und ängstlich, sodass einige der Songs diese Gefühle wiedergeben – auch wenn die Texte eben nicht spezifisch pandemiebezogen sind.
Es ist das zweite Album, an dem Sie als Mitglied von Death Cab mitschreiben. Wo würden Sie das Album in der Gesamtdiskografie der Band einordnen?
Ich würde es als das zehnte Album von Death Cab For Cutie bezeichnen (lacht). Im Ernst jetzt: Das ist echt schwer zu sagen und ich bin in meinem Urteil wohl auch nicht ganz objektiv, aber was ich sagen kann, ist, dass es wahrscheinlich der Sound einer künstlerischen Erneuerung sowie der Beginn einer neuen kreativen Phase für die Band ist. Unser voriges Album – also das erste Album, das wir in dieser Konstellation geschrieben haben – ist eine Platte, auf die ich sehr stolz bin. Aber es ist auch der Sound von fünf Menschen, die versuchen, herauszufinden, wie man eine neue Situation zum Funktionieren bringt – und die dabei nicht unbedingt stets sehr zuversichtlich und irgendwie auch ein bisschen zu höflich zueinander sind.
Für „Asphalt Meadows“ haben wir eine Situation des vollen Vertrauens und der Zuversicht in die Fähigkeiten der anderen geschaffen. Vielleicht haben wir uns auf „Thank You For Today“ auch zu viele Sorgen gemacht, wie Death Cab klingen zu müssen. „Asphalt Meadows“ entstand gänzlich ohne diese Angst, sodass wir viel freier waren, zu tun, was wir wollten.
Sie haben am vergangenen Freitag eine akustische Version des Albums veröffentlicht. War das Teil des ursprünglichen Plans – oder kam die Idee dazu erst später?
Die akustische Platte war nicht Teil des Konzepts. Während der Pandemie streamte Ben „Live from home“-Sessions. In der Woche, in der die Platte herauskam, haben wir, um die Platte zu promoten, aber auch um zusammenzuspielen, gemeinsam eine solche Session gemacht, bei der wir den Albumsong „Pepper“ spielten. Die Reaktionen auf diese Version waren äußerst positiv, also fanden wir es sinnvoll, diese Version im Studio zu verewigen. Als wir dann mit der ganzen Logistik begannen und ein Studio buchten, dachten wir, dass es nicht mehr so viel Zeit in Anspruch nehmen würde, um ein ganzes Album aufzunehmen – was aus heutiger Sicht irgendwie verrückt klingt. Danach ging alles sehr schnell: Wir haben etwa drei Songs pro Tag in einer Pause nach einer Tournee aufgenommen.
Auf der akustischen Platte gibt es einen zwölften Song, das Low-Cover „The Plan“. Sie sollten auch mit Low auf Tournee gehen – doch dann starb die Sängerin und Schlagzeugerin Mimi Parker …
Mimis Tod bricht einem das Herz – und das aus so vielen Gründen. Mimi war ein unglaublicher Mensch. Ihr Tod wirkt im Kontext der Bandkarriere besonders grausam, weil Low meiner Meinung nach seit einiger Zeit die aufregendste Musik ihrer Karriere schrieb. Ich hatte mich so auf weitere Alben mit diesem Material gefreut. Ich bin mir sicher, dass Alan (Sparhawk, Sänger, Gitarrist und Ehemann von Mimi, Anm. d. Red.) tolle Sachen machen wird – aber es wird nicht Low sein. Zudem hatten wir uns darauf gefreut, mit ihnen auf Tour zu gehen. Jede Woche hielt man uns auf dem Laufenden, ob Mimi touren könnte oder nicht, aber ihr Zustand schien sich stets zu verschlechtern. An einem Zeitpunkt, an dem wir ständig an Mimi dachten, schlug Ben vor, einen Low-Song zu covern. Es wirkte dann auch sinnvoll, seine herzergreifende Performance für die Akustik-Platte aufzunehmen.
Das erste Death-Cab-Album, mit dem Sie getourt haben, hieß „Kintsugi“ – was, vereinfacht gesagt, die Idee bezeichnet, dass die Dinge schöner sind, wenn sie kaputt sind. Würden Sie zustimmen, dass dies das Universum der Band zutreffend umschreibt?
Das finde ich eine interessante These (lacht). Ich denke schon, ja, wenn auch eher textlich als musikalisch. Ich schätze, ein Großteil von Bens Texten handelt davon, dass er sich inmitten eines Zustandes emotionaler Aufruhr umschaut und die Scherben auf eine bestimmte Weise aufsammelt. Und ich denke, das spricht die Leute definitiv an.
Indie-Rock ist heute längst nicht mehr so prominent wie vor 20 Jahren. Bands wie Low haben sich in den letzten Jahren radikal neuerfunden, während Death Cab eher subtil einen unverkennbaren Stil weiterentwickelt. Wie bleibt man als Indie-Band relevant?
Indie-Rock machte vor 20 Jahren sicherlich ein größeres Stück des kulturellen Kuchens aus als heute, wo man sich fast ein bisschen wie in einer Nische fühlt. Trotzdem ist es uns gelungen, kulturell zumindest ein bisschen relevant zu bleiben. Ich bin mir nicht sicher, warum das so ist, aber wir sind alle sehr dankbar dafür. Es ist fast ein bisschen unfair, aber ich denke, ein Teil des Schlüssels unseres Erfolgs liegt darin, dass Bens Songwriting und seine Stimme so unverwechselbar sind. Das gibt der Band die Freiheit, sich weiterzuentwickeln – denn am Ende des Tages werden wir immer nach Death Cab klingen, weil es Ben ist, der die Songs schreibt und singt. Auf dem neuen Album gibt es diesen Track, „Foxglove Through the Clearcut“, der unseren Sound mit Shoegaze-Gitarren und Spoken Word entfremdet – bis man im Chorus Bens engelsgleiche Stimme hört.
Wird der Schwerpunkt der Show im Atelier auf dem neuen Album liegen?
Wir spielen ziemlich lange – fast zwei Stunden. Wir sind selbst Musikfans und wir sind nicht naiv. Wir wissen, warum die Leute auf Konzerte gehen: Sie wollen die Songs hören, die sie lieben. Wir sind uns der Tatsache völlig bewusst, dass dies der Grund ist, wieso wir in der Lage sind, das zu tun, was wir tun, und wir wollen die Leute nicht beleidigen, indem wir sie dazu bringen, zu einer Show zu kommen, bei der wir ihnen ihre Lieblingssongs vorenthalten. Deshalb spielen wir zwar viel vom neuen Album, aber auch eine Menge Hits und alte Songs. Wir wollen, dass die Leute, egal, ob sie Fans der ersten Tage oder erst mit „Where Soul Meets Body“ eingestiegen sind, das Gefühl haben, dass sie während des Konzerts erneut erfahren, warum sie diese Band lieben.
Vor etwa 20 Jahren gab es eine starke popkulturelle Verbindung zwischen TV-Shows und Indie-Musik, sodass viele Death Cab durch Fernsehserien wie „O.C. California“ oder „Scrubs“ entdeckten. Heute hat sich diese Verbindung zwischen Streaming-Diensten und Musik zugunsten anderer Musikstile verschoben. Wie bedauerlich ist das?
Ich würde mir wünschen, dass es diese Verbindung noch gäbe, damit ich noch ein paar Swimmingpools kaufen kann (lacht). War nur ein Scherz, ich besitze nicht einmal einen einzigen. Ben hat gerade den Titelsong für eine neue Apple-TV-Show gemacht – vielleicht schließt sich also der Kreis. Aber zurzeit hört man nicht viel Indie-Rock in Streaming-Diensten, es gibt eher eine Tendenz zu klavierbasierten Coverversionen bekannter Songs. Ich freue mich natürlich, dass diese Songwriter bezahlt werden. Aber ich sehne mich nach dieser Zeit zurück, weil es eine aufregende Art war, Musik kennenzulernen. Man sieht sich etwas an, achtet auf Figuren und Handlung – und dann schleicht sich die Musik herein und umhüllt einen und man möchte unbedingt wissen, was das ist. Ich erinnere mich an die Zeit, als ich auf den Abspann wartete und so Songs von Iron and Wine oder Caribou kennenlernte. Ich kann definitiv nicht vorhersagen, in welche Richtung die popkulturellen Winde wehen werden, aber ich würde mich freuen, wenn so etwas wieder in den Zeitgeist zurückkehren würde.
Info
Death Cab for Cutie spielen am Mittwochabend im Atelier (Einlass: 19.00 Uhr, Eintritt: 43,90 Euro).
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