Editorial / Der böse gute Freihandel
Unser Verhältnis zum freien Handel ist gespalten. Wenn der künftige US-Präsident Importzölle ankündigt, regt Europa sich auf, klagt, dass dies dem Wohlstand beider Seiten Schaden zufügen wird. Wenn andererseits ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Südamerika ausgehandelt wird, kommt keine Begeisterung auf, es hagelt Proteste und Widerstand.
Eines ist dabei sicher. Die traditionelle Kritik an der Globalisierung, reiche Länder würden den freien Handel nutzen, um die schwächeren auszubeuten, war zu kurz gegriffen. Die letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass das Gegenteil wahr ist. Während die Menschen im reichen „Westen“ wohl von günstigen Produkten profitierten, hat die Globalisierung Hunderten Millionen Menschen geholfen, der bitteren Armut zu entkommen. Die Erfolgsgeschichten aus Asien, Südamerika und Osteuropa sind mehr als nur beeindruckend. Dank Freihandel sind neue wirtschaftliche Chancen entstanden, Arbeitsplätze wurden geschaffen und Wohlstand generiert. Freihandel hat sich als nachhaltiges Mittel der Armutsbekämpfung als weitaus effizienter erwiesen als traditionelle Entwicklungshilfe.
Die Kritik hat sich heute praktisch komplett gedreht. Seit einigen Jahren wird nun bemängelt, dass der Westen sich durch den freien Handel selbst schadet: Jobs verschwinden, Fachkenntnisse gehen verloren, neue Abhängigkeiten entstehen. Angefangen haben die regelrechte Wut und das Misstrauen gegenüber Handelsverträgen mit dem vor Jahren angestrebten Abkommen TTIP zwischen den USA und Europa. Aus Angst vor Chlorhühnchen und Gentechnik wurde es letztendlich abgelehnt. Dabei waren die betreffenden Kapitel des Abkommens noch nicht einmal geschrieben.
Seitdem stockt der Freihandel. Sowohl in Europa als auch in den USA ist er verpönt. Für Politiker, die wiedergewählt werden wollen, ist er ein heißes Eisen. Was in den Verträgen tatsächlich drinsteht und mit wem sie abgeschlossen werden sollen, spielt kaum eine Rolle. Und seit der globale Handel ins Stocken geraten ist, schrumpft weltweit auch die bittere Armut nicht mehr. Zufall?
Es ist Zeit, Freihandel nicht als Bedrohung, sondern als Chance zu begreifen – eine Chance für die zwei beteiligten Seiten, für Wohlstand und für Verständigung. Freihandel ist zwar kein Allheilmittel, aber er ist ein entscheidender Mechanismus zur Schaffung globaler Chancengleichheit. Er fördert nicht nur wirtschaftliches Wachstum, sondern auch kulturellen Austausch und gegenseitiges Verständnis. Das beste Beispiel einer Freihandelszone, die zu einem Friedensprojekt wurde, ist die Europäische Union selbst.
Gleichzeitig müssen Herausforderungen aktiv adressiert werden. Umweltstandards, soziale Kriterien und die Vermeidung einseitiger Abhängigkeiten sind entscheidend. Ein warnendes Beispiel ist der „grüne Stahl“: Während von den Produzenten in Europa immer mehr Umweltschutz gefordert wird, kann dreckig hergestellter Stahl über Umwege aus dem Ausland billig eingeführt werden. Das geht mittlerweile so weit, dass Europas Produzenten sich überlegen, die Investitionen in grünen Stahl zu stoppen, und nur noch auf Importe zu setzen.
Dabei ist klar, dass transparente Verhandlungen unabdingbar sind. Ein erfolgreiches Abkommen bedeutet immer ein „Geben und Nehmen“. Einfach nur die eigenen Forderungen durchsetzen zu wollen, wird nicht gehen.
Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den südamerikanischen Mercosur-Staaten wird seit 25 Jahren verhandelt. Im Kern zielt es darauf ab, Handelsbarrieren abzubauen und für 91 Prozent der Waren Zölle zu eliminieren. EU-Verbraucherstandards sollen weiterhin gelten. Aber: Wenn wir nicht mit Südamerika Handel treiben wollen, mit wem dann?
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