Deutschland / „Der Bundeskanzler ist natürlich der gesetzte Kanzlerkandidat der SPD“
Die SPD-Spitze in Berlin freut sich über den Wahlerfolg von Dietmar Woidke in Brandenburg – und wehrt alle Spekulationen über einen anderen Kanzlerkandidaten als Olaf Scholz ab. Doch festlegen will man sich formell auch noch nicht. Was dahinterstecken könnte.
So hat man die SPD länger nicht erlebt. Nach den schlechten Wahlergebnissen in Thüringen und Sachsen und der historischen Pleite bei der Europawahl gibt es endlich wieder etwas zu feiern. Parteichef Lars Klingbeil steht am Montagmittag in Berlin neben dem Wahlsieger vom Vorabend: Dietmar Woidke aus Brandenburg. Beide 1,96 Meter groß, breite Brust, breites Grinsen. In der Präsidiumssitzung am Morgen, so berichten es Teilnehmer gegenüber dem Tageblatt, sei es vor allem um die fulminante Aufholjagd von Woidke und seinen zwar knappen, aber zugleich so wichtigen Erfolg gegen die AfD gegangen.
Doch Obacht, zu zufrieden darf der Auftritt von Klingbeil und Woidke vor der Hauptstadtpresse im Willy-Brandt-Haus auch nicht rüberkommen. Das wissen beide. Denn in der Vergangenheit ist es der SPD immer mal wieder passiert, dass sie krachende Niederlagen und schlechte Umfragen im Bund versucht hat, mit einzelnen Wahlerfolgen zu kaschieren, gar zu ignorieren. Das hat sich stets gerächt.
Und so sagt Klingbeil: „Man kann Wahlen gewinnen, man kann Stimmungen drehen.“ Aber: „Dafür muss hart gearbeitet werden.“ In Brandenburg hätten die Alltagssorgen der Menschen im Mittelpunkt des SPD-Wahlkampfs gestanden. „Klare Haltung, Kampfgeist, Geschlossenheit und Mut.“ Das seien die vier Attribute, die er mitnehme, „auch für die Herausforderungen im Bund“, sagt Klingbeil. Und davon gibt es noch viele, das Hausaufgabenheft der SPD und auch das der äußerst unbeliebten Ampel-Koalition unter der Führung von Kanzler Olaf Scholz ist voll.
Da ist nicht nur der Haushalt, der noch verabschiedet werden muss und seit Monaten für heftige Diskussionen zwischen Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen sorgt. Die SPD will unbedingt noch das Rentenpaket durchsetzen, und zwar ohne Abstriche. Auch das Tariftreuegesetz ist ihr ein wichtiges Anliegen, wobei sie da bereits auf den Widerstand aus der FDP stößt.
Schlechte Umfragewerte für die Partei und Scholz
Und weil die FDP in Brandenburg noch hinter der Tierschutzpartei landete mit einem kaum messbaren Ergebnis von unter einem Prozent und die Grünen aus dem Landtag flogen, blickt man in der SPD am Montagmorgen auch etwas bang auf die Koalitionspartner. SPD-Chef Lars Klingbeil ruft vorsichtshalber zur Koalitionsdisziplin auf. „Wir sind gewählt und wir haben einen Job zu erledigen in diesem Land“, sagt er. Er hoffe, „dass niemand in dieser Koalition auf die Idee kommt, vor Verantwortung wegzurennen“, fügt er hinzu.
Doch die Projekte in der Ampel sind nur ein Teil der Herausforderungen für die SPD vor der nächsten Bundestagswahl. Eng damit verwoben, aber ebenso riesig sind die Probleme mit Blick auf die schlechten Umfragewerte für die Partei und für Scholz selbst, der noch einmal als Kanzlerkandidat antreten will – und dabei die Unterstützung der Parteispitze genießt. Doch zuletzt hatte es aus SPD-Reihen immer wieder Zweifel an Scholz’ Siegchancen gegeben. Und Wortmeldungen, wonach der Kanzler als erneuter Kandidat noch nicht gesetzt sei.
Da gibt es gar kein WackelnSPD-Ko-Parteichef
Das will Klingbeil am Montag im Beisein von Woidke im Keim ersticken. Zumal Woidke im Wahlkampf ganz bewusst auf Maximaldistanz zu Scholz und der Ampel gegangen war und sich Wahlkampfauftritte des Bundeskanzlers verbeten hatte. „Da gibt es gar kein Wackeln“, betont Klingbeil nun vor den Kameras auf eine Frage nach einer erneuten Kandidatur von Scholz. „Es gibt an keiner Stelle eine Diskussion darüber“, so der SPD-Chef. Und auf Nachfrage sagt auch Woidke, während er Klingbeil anschaut: „Der Bundeskanzler ist natürlich der gesetzte Kanzlerkandidat der SPD. Wie soll’s denn anders sein?“
Strategisches Abwarten
Dass es da aber noch andere Kandidaten geben könnte, beispielsweise den äußerst beliebten Verteidigungsminister Boris Pistorius, wissen natürlich alle. Allerdings ist man in der SPD-Führung durchaus davon überzeugt, mit Scholz noch einmal das Wunder zu schaffen und einen riesigen Rückstand wie derzeit aufholen zu können. Das liegt aus SPD-Sicht auch an Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz, der wie Scholz keine guten Umfragewerte hat und anders als Scholz keinerlei Regierungserfahrung besitzt. Zudem, so sieht man es in der SPD, sei Merz auch dafür bekannt, immer wieder aus der Haut zu fahren und sich bei Themen impulsiv zu verrennen.
Doch warum dann nicht Scholz schon jetzt offiziell zum Kanzlerkandidaten machen, um wirklich alle Zweifler ruhigzustellen? In SPD-Kreisen heißt es, das könne strategische Gründe haben. Eine Mutmaßung sieht so aus: Damit Scholz als Kandidat aufholen kann, muss er sich von der unbeliebten Ampel distanzieren. Das kann er aber erst, wenn der Haushalt in trockenen Tüchern ist und die wichtigsten Projekte wie eben die Rente unter Dach und Fach sind. Und damit er als Kanzlerkandidat während einer Kanzlerschaft der Union möglichst wenig Angriffsfläche bietet und auch das Regierungsamt losgelöster von einer offiziellen Kandidatur ausüben kann, soll die Kür wohl erst im Frühjahr stattfinden. Und dass dann alles möglich sei, so meint man in der SPD, das habe ja nun Woidke gezeigt. Scholz selbst jedenfalls kommentierte Woidkes Erfolg so: „Ein tolles Ergebnis, sehr toll für die SPD, auch für uns alle.“
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