Laboratoire national de santé / Der „Covid-19 Fighter“ – Wie Direktor Friedrich Mühlschlegel die Pandemie bewältigt
Die Aufkleber mit dem „Covid-19 Fighter“-Logo kleben überall am und im Gebäude. Das Virus soll draußen bleiben. Im „Laboratoire national de santé“ (LNS) ist es essenziell, dass der Betrieb weiterläuft. Zeitweise zieht selbst der Direktor Friedrich Mühlschlegel (57) Schutzkleidung an und nimmt Abstriche. Normalerweise sieht sein Arbeitsalltag anders aus.
Für den promovierten klinischen Mikrobiologen ist sein Einsatz als Tester eine Abwechslung. Zwei Tage lang steht LNS-Direktor Friedrich Mühlschlegel zwischen seinen Mitarbeitern im erst kürzlich eröffneten „Centre de prélèvement“ im alten Gebäude der „Bibliothèque nationale du Luxembourg“. Wie alle anderen nimmt er Abstriche für Covid-19-Tests von den Menschen, die mit Attest vom Arzt, aber ohne Termin kommen. „Ich bin viel zu selten im Labor“, sagt er. „Manchmal vermisse ich das.“
Normalerweise startet er morgens um kurz vor sieben online in den Tag. Er ist weltweit vernetzt. Studium an der Freien Universität in Berlin, Forschungsaufenthalt in den USA, aber vor allem seine Arbeit während des Ausbruchs der Schweinegrippe hinterlassen viele Kontakte. Als praktizierender Mikrobiologe in Großbritannien ist er 2009/2010 mittendrin. Mit dem Überblick über das tagesaktuelle Zahlenmaterial und den neuesten Nachrichten aus dem Wissenschaftsbetrieb setzt er sich ins Auto.
Er wohnt in Mamer. In Düdelingen angekommen erwarten ihn Dokumente, Besprechungen, Videokonferenzen und Post. Seine Chefin ist Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP), das LNS ist ein „Etablissement public“. 310 Mitarbeiter aus sechs Fachbereichen wollen koordiniert, beraten und strategisch angeleitet werden. Angesichts seiner Managementaufgaben empfängt er nicht, wie es vielleicht anfangs zu erwarten gewesen wäre, im Laborkittel, sondern im Anzug und bittet um Maske während des Interviews.
Mitten in der Schweinegrippe
Zwar kann der Sicherheitsabstand in dem großen Meetingraum neben seinem Büro durchaus gewahrt bleiben, aber das LNS ist Referenzzentrum und hat einen Anspruch einzulösen. Deshalb sind die auf 4.421 Quadratmeter verteilten Labors innerhalb des Gebäudes strikt abgeriegelt. Ein Besuch ist nicht möglich. Mühlschlegels Erfahrungen in der Forschung und aus der praktischen Arbeit in Großbritannien sind seine Referenz, 2017 den Job als Direktor in Düdelingen anzutreten.
„Die Krankenhäuser mussten damals gemanagt, Krisenpläne ausgearbeitet und Patienten betreut werden“, sagt er. 2009 wusste auf der Insel niemand, was auf sie zurollt. Sie war das von dem Virus am härtesten betroffene Land in Europa, was Zahlen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vom Juni 2009 belegen. Die Schweinegrippe trifft vor allem junge Menschen, Covid-19 bedroht vor allem ältere und Menschen mit Vorerkrankungen. Viren und Bakterien gehören zum Alltag von Mikrobiologen.
Sie beraten bei der Antibiotikatherapie und bringen unterschiedliche Kollegen zusammen. „Infektionen betreffen jedes Fachgebiet der Medizin“, sagt Mühlschlegel. Ein anderes Thema wird in dieser Zeit wichtig und zeigt Parallelen zu heute. Wie dämmt man die Ausbreitung ein und verhindert weitere Ansteckungen? In Mühlschlegels Augen können Fragen wie diese nur fachübergreifend gelöst werden.
Viele Fachbereiche beteiligen
Er denkt und arbeitet interdisziplinär, findet das wichtig. „Das ist eine der Stärken des LNS“, sagt er. „Hier arbeiten Menschen mit allen möglichen Profilen aus dem medizinisch-naturwissenschaftlichen Spektrum in Teams zusammen.“ Der 7. Mai markiert den vorläufigen Höhepunkt des Aufkommens am LNS. An dem Tag verlassen rund 1.250 Ergebnisse das Haus. Allein in der Abteilung Mikrobiologie waren es im Jahr 2019 rund 16.000 Proben, die das LNS prüft.
2020 erhöht sich zwischen dem Stichtag 4. Februar bis jetzt diese Zahl um 68.000 Covid-19-Tests plus weitere 15.000 Tests, die das LNS im Auftrag von privaten Laboren auswertet. Das Personal in der Abteilung Virologie, die der Mikrobiologie angegliedert ist, wird von sieben auf 20 Mitarbeiter aufgestockt. Weitere 15 Mitarbeiter, die vor Ort in Schulen und in anderen Ausbildungsstätten Tests machen, kommen hinzu.
Das LNS mit seinem wissenschaftlichen Hintergrund ist von der ersten Stunde an daran beteiligt, vorhandene Tests zu bewerten, wie zuverlässig ihre Ergebnisse bezüglich des Coronavirus sind. Zweifel, wie sie gerade in Deutschland an der Zuverlässigkeit der veröffentlichten Zahlen laut werden, weil eine hohe Dunkelziffer vermutet wird und die Tests nicht unumstritten sind, lässt er für Luxemburg nicht gelten. „Hier wird so breit und so viel in allen möglichen Bereichen des Lebens getestet, das liefert zuverlässige Datensätze“, lautet sein Kommentar.
Großbritannien impft ab nächster Woche
Mühlschlegel ist ein nüchterner, faktisch orientierter Mensch. Was anderen Angst einjagt wie Viren oder Bakterien, die nicht zu sehen oder zu schmecken sind, bringt ihn nicht aus der Ruhe. Es ist sein Fachgebiet und ihm vertraut. Seine Art zu sprechen zeugt von Reflexion der bekannten Tatsachen gepaart mit Wissen aus der Forschung. „Hard facts“ sind für ihn entscheidend, bei Prognosen bleibt er lieber vorsichtig.
Die Frage an einen Experten wie ihn, ob der Höhepunkt der zweiten Welle erreicht oder gar überschritten ist, liegt nahe. „Ich glaube, mit den Impfstoffen, an denen gerade gearbeitet wird, gibt es Licht am Ende des Tunnels“, sagt er, und weist darauf hin, dass nächste Woche in England mit den ersten Impfungen begonnen wird. Der Impfstoff, der von dem in Mainz (D) ansässigen Unternehmen Biontech und seinem amerikanischen Partner Pfizer entwickelt wurde, hat diese Woche alle Hürden der britischen Arzneimittelaufsicht genommen.
Das teilt das Handelsblatt mit. Impfzweiflern oder -gegnern hält der LNS-Direktor entgegen, dass nur Impfstoffe Krankheiten wie Kinderlähmung, Pocken oder Diphtherie ausrotten konnten. „Auf jeden Fall impfen“, sagt er. Zu einer Aussage bezüglich der Zukunft lässt er sich schließlich aber doch noch hinreißen. „Pandemien dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, sie kommen wieder“, sagt er. „Covid-19 ist nicht die letzte.“
An diesem Abend wird er zum Schluss seines Arbeitstages noch eine wichtige Mail auf den Weg bringen, bevor er das Licht in seinem Büro löscht. Da ist es 21 Uhr. „Es ist oft sehr spät bei mir“, sagt er gut gelaunt. Viren kennen keine Grenzen oder Uhrzeiten und das LNS ist eine wichtige Instanz dabei, ihre Entwicklung zu beobachten.
Das LNS
Im LNS werden Gewebeproben im Bereich morphologische und molekulare Pathologie (Krebspatienten, -vorsorgeuntersuchungen), Genetik (Verdacht auf Erbkrankheiten), medizinische Biologie, Mikrobiologie (virologische und bakterielle Tests wie Covid-19) und forensische Proben ausgewertet. Die Abteilung „Gesundheitsprävention“ ergänzt das Portfolio. Die Kapazitäten wurden rasant ausgebaut. 2015 gab es allein in der Pathologie rund 80.000 Abstriche oder Biopsien, die im LNS untersucht wurden. 2019 waren es 116.000. 2012 wird die Einrichtung per Gesetz gegründet, 2013 ziehen die Mitarbeiter ein. Nach eigenen Angaben beträgt der Frauenanteil am LNS an der Belegschaft 62,7 Prozent. Das Durchschnittsalter beträgt rein rechnerisch 41,6 Jahre und die 310 Mitarbeiter stammen aus 20 Nationen.
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