Forum / Der Europarat – Vorzimmer der EU: Seit 75 Jahren eine unerlässliche Institution
In der Universität von Zürich sprach Winston Churchill am 19. September 1946 während einer epochalen Rede vor der akademischen Jugend über Europa. Frieden, Sicherheit und Freiheit könnten nur durch eine Art von Vereinigten Staaten von Europa garantiert werden. Indem er auf das Commonwealth hinwies, stellte er die Frage: „Warum sollte nicht eine europäische Gruppierung möglich sein, welche den verwirrten Völkern dieses unruhigen und mächtigen Kontinents ein erweitertes Heimatgefühl und ein gemeinsames Bürgerrecht zu geben vermöchte?“ In seinen Ausführungen lehnte der Ex-Premier sich ebenfalls an die 1926 von Richard Graf Coudenhove-Kalergi, nach dem übrigens auf dem Kirchberg eine Straße benannt ist, gegründete internationale Paneuropa-Bewegung an.
Churchills visionäre Worte blieben nicht ungehört. Er hatte sich für die Bildung eines Europarates ausgesprochen – am 10. Mai 1949 gründeten zehn Staaten, darunter Luxemburg, diese Organisation, die eine besondere Stellung im europäischen Gebilde einnimmt. Ihr gehören in der Zwischenzeit 46 Staaten an, darunter sämtliche EU-Mitglieder. Unser Parlament hieß am 12. Juli 1949 das betreffende Gesetz gut. In dieser Sitzung brachte es Außenminister Joseph Bech auf den Punkt: „Le Conseil de l’Europe porte donc en germe les possibilités d’une entente féconde et durable de l’Europe.“ Einerseits gibt es den Rat der Außenminister, andrerseits die Parlamentarische Versammlung. Diese setzt sich ausschließlich aus Abgeordneten zusammen, die von ihren jeweiligen Parlamenten designiert werden. Luxemburg stellt sechs Abgeordnete (drei effektive – und drei Ersatzmitglieder).
Der Europarat ist heute das führende internationale Organ zur Wahrung von Menschenrechten. Es gibt kein vergleichbares Instrument auf dem europäischen Kontinent, und weit darüber hinaus, das mit so viel Verve die Verteidigung dieser Rechte auf seine Fahne geschrieben hat. Mit dem zuständigen Gerichtshof in der elsässischen Metropole wurde ein Meilenstein in der zivilisatorischen Entwicklung der Menschheit gesetzt. Doch wurden in der Zwischenzeit die Grenzen des ursprünglichen Zuständigkeitsbereiches gesprengt. Heute beraten die 306 Abgeordneten über alle für die Politik wichtigen Themen. Ihre zum Teil ausgezeichneten Berichte legen hierfür ein beredtes Zeugnis ab. Diese bieten oft eine gute Quelle für wichtige Hintergrundinformationen und parlamentarische Weiterbildung.
Doch diesem wichtigen Gremium fehlt es am nötigen Bekanntheitsgrad und sein Einfluss wird leider vielfach unterschätzt. Es steht klar im Schatten der 1957 in Rom gegründeten Europäischen Union (ehemalige Europäische Wirtschaftsgemeinschaft). Und dabei sollte vor allem der Europarat stärker ins Rampenlicht gerückt werden. Immerhin sind in dieser Gemeinschaft eine Reihe Länder vertreten, die eine nicht unwesentliche Rolle auf dem europäischen Parkett spielen, ohne Mitglied der EU zu sein. Großbritannien, die Schweiz, Norwegen oder die Türkei sollen hier stellvertretend für viele genannt werden. Der Europarat bietet also die ideale Plattform, um einen fruchtbaren Austausch zwischen allen europäischen Ländern zu pflegen. Allerdings kann diese Institution auch Zähne zeigen: Mit dem Beginn des Ukraine-Krieges am 24. Februar 2022 stiegen die Spannungen gegenüber Russland. Vor allem die Arroganz und Überheblichkeit der russischen Vertreter in Straßburg stellten die Mitglieder des Europarates auf eine Probe. Schließlich kam es zum Eklat: Die Abgeordneten der 46 Staaten zögerten nicht, erheblichen Druck auf die russische Föderation, die seit 1996 Mitglied war, auszuüben. Im März 2022 verließ dann Russland auf eigenen Wunsch den Europarat. Auch die Luxemburger Delegation befürwortete seinerzeit einen Ausschluss Russlands.
In der Kosovo-Frage könnte die Parlamentarische Versammlung ebenfalls Geschichte schreiben. Mit einer beeindruckenden Mehrheit von 82 Prozent stimmten die Abgeordneten während der vergangenen Aprilsession für die Aufnahme dieses Landes als 47. Mitglied. Allerdings üben jetzt bedauerlicherweise die „Quint-Staaten“, zu denen Frankreich, Deutschland, Italien, die USA und Großbritannien gehören, Opposition aus, sodass eine definitive Aufnahme Kosovos in den Europarat noch im Raum steht. Eine weitere Kraftprobe zwischen der Parlamentarischen Versammlung und dem Ministerrat ist also nicht ausgeschlossen!
Luxemburg übernimmt Präsidentschaft
Turnusgemäß übt in alphabetischer Reihenfolge alle sechs Monate ein anderes Land die Präsidentschaft aus. Im November fällt diese Rolle dem Großherzogtum zu. Seit Monaten wird diese Aufgabe minutiös vorbereitet. Sie bietet unserem Land erneut eine gute Möglichkeit, sein proeuropäisches und weltoffenes Denken nach außen zu dokumentieren. Die seit Jahrzehnten anhaltende gute wirtschaftliche Lage Luxemburgs ist nicht zuletzt das Resultat eines effizienten Wirkens auf internationalem Niveau. Es gilt auch weiterhin Flagge in diesem Bereich zu zeigen. Darum muss unsere Präsidentschaft genutzt werden, um hier im Großherzogtum auf die Wichtigkeit des Europarates hinzuweisen. Der Akzent der Luxemburger Präsidentschaft wird auf die Rechtsstaatlichkeit, das Zusammenleben in unserer Gesellschaft und die Kultur gelegt. Auf parlamentarischer Ebene steht der Umweltschutz im Fokus. Vor allem den Jugendlichen müssen die Vorteile dieser Institution noch näher gebracht werden.
Unsere Abgeordnetenkammer darf nicht abseitsstehen. Zum Europarat pflegt die Chamber sehr gute Kontakte. So weilte Anfang Juni der griechische Präsident der Parlamentarischen Versammlung, Theodoros Rousopoulos, auf Besuch im Hohen Haus. Der kürzlich zum neuen Generalsekretär des Europarates gewählte Alain Berset, früherer Bundespräsident der Schweizerischen Eidgenossenschaft, wird im Herbst nach Luxemburg kommen. Mit Anne Brasseur stellte Luxemburg übrigens erstmals zwischen 2014 und 2016 den Präsidenten der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Die DP-Politikerin konnte während ihrer Amtszeit wichtige Impulse im Bereich der Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit geben. Noch heute ist die frühere Ministerin eine gefragte Ansprechpartnerin im Straßburger Halbrundbau.
Mehr denn je benötigt die europäische Gemeinschaft eine Einrichtung wie den Europarat. Diese kann als Vorzimmer der EU dienen. Wer Aufnahme in der EU finden möchte, muss in erster Linie einen Test im Europarat bestanden haben. Bis zu neun Länder wollen in den nächsten Jahren eine Eintrittskarte in die EU lösen. Und alle diese Staaten haben eine gewisse Erfahrung im Europarat vorzuweisen. Sieht man einmal von der Türkei und teilweise von Serbien ab, so scheint es nicht abwegig zu sein, ernsthaft die Beitrittsverhandlungen mit Albanien, Bosnien und Herzegowina, Georgien, Moldau, Montenegro, Nordmazedonien und der Ukraine fortzuführen. Vor allem in Zeiten von großer Unsicherheit benötigen die Europäer eine starke Einigungskraft, die sich mutig Aggressoren wie Russland entgegenstellen kann. Der Europarat kann in diesem Prozess sehr hilfreich sein.
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