Autor Guy Helminger / „Der Export der Luxemburger Literatur steckt noch in den Kinderschuhen“
Fachleute tauschen sich auf der Frankfurter Buchmesse aus – unter anderem in Gesprächsrunden wie „The challenges of plurilinguism“, die das Exportbüro Kultur|lx am Donnerstag organisierte. Mit dabei war der bekannte Autor Guy Helminger. Das Tageblatt unterhielt sich danach vor Ort mit dem Schriftsteller über den Büchermarkt, die Luxemburger Literatur und die Sensibilität, die man zum Schreiben braucht.
Tageblatt: Herr Helminger, hat die Luxemburger Literatur auf dem internationalen Büchermarkt einen Platz?
Guy Helminger: Ich glaube schon. In Luxemburger gibt es so gute Autoren wie in jedem anderen Land. Bedingt durch unsere Bevölkerung, die verhältnismäßig klein ist, haben wir natürlich keine 100 Autoren, die international mithalten können. Aber es gibt in Luxemburg eine Handvoll Menschen, die auf dem Markt, deren Sprache sie benutzen, durchaus Fuß fassen können. Und die Luxemburger Literatur besteht dann aus den Elementen der verschiedenen Märkte.
Die Menschen, die auf Französisch schreiben – und gut sind – werden ihren Weg schon auf dem französischen Büchermarkt finden. Lambert Schlechter, Tom Nisse, Jean Portante … Diese Autoren geben ihre Texte ja zum Teil in Frankreich heraus. Und ich veröffentliche in Deutschland.
Implizit haben wir jetzt das Thema angesprochen, das auch vorhin in der Diskussionsrunde eine Rolle spielte, nämlich die Mehrsprachigkeit. Ist sie Ihrer Ansicht nach eine Stärke oder eine Schwäche der Luxemburger Literatur?
Weder noch. Meiner Meinung ist es eine Stärke, dass man als Kind die Gelegenheit bekommt, verschiedene Sprachen zu lernen und dementsprechend seine „Schreibsprache“ zu wählen. Für diese Sprache braucht man eine Sensibilität, die viel tiefer geht als die, die man für das Sprechen im Alltag benötigt. Und die Möglichkeit, das zu wählen, ist eindeutig ein Vorteil. Aber den Außenstehenden aus Frankreich oder Deutschland, die sich nachher unsere Literatur ansehen, ist es egal, wie viele Sprachen wir können und warum wir welche Sprache gewählt haben. Da zählt nur das Werk.
In anderen Worten: Wir haben das Privileg, uns eine Heimat auszusuchen. Aber kommen wir da wirklich je an? Können wir als Schriftsteller mit Muttersprachlern mithalten?
Ich glaube, ja. Hätte ich je bei Suhrkamp veröffentlicht oder den Dresdner Lyrikpreis gewonnen, wenn ich nicht gut im Deutschen wäre? Und dasselbe gilt natürlich für andere: Tom Nisse und Jean Portante bekommen auch Preise und ihre Texte werden von Muttersprachlern gelesen. Das ist durchaus machbar und das hat mit dem zu tun, was ich Sensibilität nenne. Die kann man entwickeln.
Und sie zu entwickeln, liegt dann an der Person?
Das ist wie mit allem. Wenn man viel liest, merkt man, wie Geschichten aufgebaut sind, wie die Sätze formuliert werden müssen, wenn eine Figur verschiedene Gefühle weitergeben möchte, ohne über sie zu sprechen … Es ist eine Sensibilität für die Sprache, aber auch eine Sensibilität für die kleinen Dinge, die passieren, während man miteinander redet. Ich persönlich bin ja wahnsinnig interessiert an den Dingen, die Leute vermitteln, ohne dass sie sie verbalisieren würden. Das zu beobachten, lernt man mit der Zeit – diese Sensibilität entwickelt man, wenn man versteht, dass literarische Figuren etwas mit Psychologie zu tun haben.
Ein kurzer Themenwechsel: Warum sind Sie dieses Jahr auf der Frankfurter Buchmesse, die ja sozusagen eine Miniaturauflage ist?
Ich bin hier, weil ich eingeladen wurde, an dem Panel teilzunehmen. Sonst wäre ich höchstwahrscheinlich nicht vorbeigekommen. Ich war auch die letzten Jahre nicht in Frankfurt. Am Anfang hat mich die Buchmesse sehr interessiert, weil ich hier immer Leute kennengelernt habe, als ich noch nicht Teil des deutschen Milieus war. Da hat es mich natürlich fasziniert, andere Autoren zu treffen. Das finde ich heute noch interessant, aber vorhin habe ich kurz eine Runde gedreht. Früher traf man in den Gängen 20 oder 25 Schriftsteller, heute habe ich vier getroffen. Das macht den Unterschied für diese Ausgabe aus.
Wegen der Corona-Maßnahmen ist es in der Tat eine etwas andere Messe …
Genau. Früher bin ich ehrlich gesagt auch gerne nach Frankfurt gekommen, weil die Feten so toll waren.
Da wurden die Kontakte geknüpft.
Eben. Es waren Journalisten da, es waren Agenten da, es waren Verleger da … Wir standen zusammen an der Theke und amüsierten uns.
Würden Sie denn sagen, dass diese Ausgabe trotz allem Potenzial hat?
Ja, das denke ich. Der Export der Luxemburger Literatur steckt noch in den Kinderschuhen, deswegen bin ich persönlich sehr froh über unseren Stand und setze große Hoffnung in Kultur|lx. Unsere Kulturministerin nimmt sich das zu Herzen und versucht, etwas für die Kultur zu tun.
Herr Helminger, zum Schluss noch drei kurze Fragen. Die erste: Gibt einem der Erfolg immer recht?
Nein, sonst würde man ja sagen, dass der Zweck immer die Mittel heiligt. Und das stimmt mit Sicherheit nicht.
Welches Buch liegt gerade auf Ihrem Nachttisch?
Ich lese im Augenblick viel von Anne Weber, der deutschen Schriftstellerin, die vergangenes Jahr den Buchpreis gewonnen hat. Sie ist nämlich der nächste Gast in dem literarischen Salon, den ich gemeinsam mit Navid Kermani in Köln leite.
Welches Buch würde man niemals in Ihrem Bücherregal finden?
(lacht) Eines von Charlotte Link.
Vier Fragen an Kulturministerin Sam Tanson
Tageblatt: Wie schmerzhaft war der letztjährige Ausfall nach zwei Jahren erneuter Luxemburger Präsenz auf der Buchmesse?
Sam Tanson: Ich denke, das hatte schon einen beachtlichen Impakt, weil auf solchen Messen Kontakte zwischen Verlegern, Autoren und Publikum geknüpft werden können. Im Lockdown wurde mehr gelesen, was schön ist – aber umso mehr hat dieses Zusammenkommen auf einer Messe gefehlt. Optimal finde ich, dass sich der Luxemburger Stand dieses Jahr gegenüber von dem der Schweiz, einem weiteren mehrsprachigen Land, befindet.
Dieses Jahr sind bedeutend weniger Verleger vor Ort …
Das fällt definitiv auf. Aber dies kann auch von Vorteil sein: Mir wurde gesagt, es wäre leichter gewesen, Termine zu vereinbaren, und man habe, im Gegensatz zu vorigen Jahren, wo man von Meeting zu Meeting laufen musste, viel mehr Zeit für den Austausch gehabt.
Welche Gelegenheiten bietet das neue Exportbüro Kultur|lx?
Die Vorarbeit, die von der ALAC und Reading Luxembourg geleistet wurde, und die Erfahrung der beiden Vorjahre sind definitiv wertvoll. Mit Jean-Philippe Rossignol konnte zudem eine Person mit viel Erfahrung und einem guten Ruf gewonnen werden. Vernetzung ist hier Trumpf. Jemand mit weniger Insiderwissen hätte diese Kontakte auch im Laufe der Jahre knüpfen können, aber so wird einfach viel Zeit gespart. Zudem ist Kultur|lx eine Struktur, die viele Sparten vereint und über ein Team verfügt, das vielseitig einsetzbar ist. Jeder Sektor funktioniert anders, aber Erfahrungen, die in anderen Bereichen gesammelt wurden, können für Buchmessen und ähnliche Events wertvoll sein.
Welchen Herausforderungen muss sich der Export luxemburgischer Literatur stellen?
Sichtbarkeit ist wesentlich. Es muss vermittelt werden, dass wir ein mehrsprachiges Land sind und Luxemburger Schriftsteller*innen in vielen Sprachen schreiben. Darüber hinaus gilt es, die hiesige Literatur im Ausland bekannter zu machen. Ich habe mich vorhin mit dem Leiter der Leipziger Buchmesse unterhalten – Leipzig wäre definitiv daran interessiert, Luxemburg wieder vor Ort zu haben. Nächstes Jahr soll es eine hybride Version der Messe geben – und es würde mich freuen, wenn Luxemburg dort vertreten wäre.
Interview mit Sam Tanson: Jeff Schinker
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