/ Der Film, das Kino und eine Torte: Gespräch mit der Festivalleiterin Svenja Böttger
900 Bewerbungen, die Festivalleitung spricht von „Sichtungen“, haben Festivalleiterin Svenja Böttger und Programmchef Oliver Baumgarten gesehen und bewertet, bevor die Woche der blauen Herzen starten kann. Trotz vollen Terminkalenders kommt die Festivalleiterin entspannt zum Interview in „Lolas Bistro“. Ein Gespräch über den Max-Ophüls-Preis, den Kinofilm an sich und eine Schokoladentorte.
Tageblatt: Das Festival ist mit 40 jetzt endgültig erwachsen. Trotzdem muss es sich jedes Mal aufs Neue behaupten. Was ist das Besondere an Max Ophüls?
Svenja Böttger: Das Besondere ist, dass wir das einzige dezidierte Nachwuchsfestival sind. Hinzu kommt, dass es sowohl ein Publikums- wie auch ein Branchenfestival ist. Das Publikum ist neugierig und offen, stellt Fragen, will die Filmemacher kennenlernen. Und wir können den jungen Leuten Mut machen, sie bestärken und ihnen zeigen, dass sich ihre Arbeit gelohnt hat.
Wie viele Filme schauen Sie eigentlich so pro Jahr?
Das ist echt schwer zu sagen. Herr Baumgarten und ich, wir haben uns schon überlegt, dass wir endlich mal eine Strichliste brauchen, um das zu beantworten. Wir sind auf vielen Festivals, sichten zwischendurch schon immer wieder und gehen auch privat ins Kino. Da kommt eine Menge zusammen.
Was macht für Sie einen guten Film aus?
Für mich ist ein Film dann gut, wenn er weiß, was er will. Er muss seiner Geschichte und seinen Bildern vertrauen. Hinzu kommen eine eigene Handschrift und Ecken und Kanten.
Was zeichnet die diesjährige Ausgabe aus?
Dieses Jahr sind der kritische Blick auf gesellschaftliche Strukturen und Zweier-Beziehungen im Wettbewerb großes Thema. Bei den mittellangen und den Kurzfilmen beschäftigen sich die Filmschaffenden vor allem mit Themen wie Missbrauch und Gewalterfahrung.
Wenn Sie auf andere Festivals gehen, spielen Sie da „Mäuschen“ oder sind Sie eher „Scout“?
Beides. Es ist immer eine gute Mischung, weil man dort Filmschaffende trifft, die gerade in der Postproduktion für ihren Film stecken. Und wir entdecken Filme für unsere „MOP-Watchlist“. Sie sind in Deutschland schon bei Festivals gelaufen und können deshalb bei uns nicht mehr am Wettbewerb teilnehmen. Es sind aber Filme, die trotzdem ins Festivalprogramm gehören.
Während des Festivals könnte man meinen, Sie könnten sich beruhigt zurücklehnen. Ihr Terminkalender ist trotzdem voll. Was macht eine Festivalleiterin, während alle anderen im Kino sitzen?
Es geht für mich in der Woche vor allem darum, die Filmemacher zu treffen, sie gut zu präsentieren. Bei unserem Branchenprogramm „MOP-Industry“, das mir sehr am Herzen liegt, schaue ich, ob wir mit unseren Schwerpunktthemen richtig liegen. Wir haben dieses Jahr beispielsweise Pilotprojekte von Web-Serien gezeigt und mit den Filmemachern und jungen Talenten darüber gesprochen.
Sie haben es sich nicht nehmen lassen, den Beitrag des Cottbusser Festivals, der hier außerhalb des Wettbewerbs lief, „Lass uns abhauen“, selbst anzumoderieren. Warum?
Es ist total wichtig, dass wir Kooperationen haben und pflegen. Dazu gehört dann auch die Moderation. Saarbrücken hat nicht nur eine Städtepartnerschaft mit Cottbus, sondern die Festivals arbeiten auch zusammen.
In Zeiten von Netflix und Serien ist das Kino schon oft totgesagt worden. Hier sind die Säle voll. Leben Totgesagte länger?
Immer wenn etwas Neues kommt, werden die Vorläufer erst einmal totgesagt. Das ging allen Medienformen so. Es gibt trotzdem formalästhetische und dramaturgische Unterschiede zwischen TV und Video-on-demand.
Und ich vertrete nach wie vor die Meinung, dass es Produktionen gibt, die in einem dunklen Raum, mit einer großen Leinwand und einem tollen Sound anders rüberkommen. Diese Filme sind auch genau dafür gemacht.
Wie hat eigentlich die Geburtstagstorte vom Eröffnungsabend geschmeckt?
Sehr, sehr gut. Schokoladig, mit Mokka drin, lecker. Da unser Team auf zwei Standorte verteilt ist, haben wir sie brüderlich geteilt. Wir waren ja sowieso völlig überrascht von dem Geschenk, das Saarbrückens Oberbürgermeisterin Charlotte Britz uns zum 40. Geburtstag damit gemacht hat.
Liebes Festival …
… es ist schön, dass es dich gibt. Mit 40 bist du erwachsen und da dachte ich mir, es ist Zeit für einen Brief. An der Freundschaft zu dir liegt mir viel. Du bist einfach großartig darin, die Stadt zu rocken. Deine Fans stehen geduldig Schlange, wenn der Startschuss zum Kartenvorverkauf fällt. Anschließend sitzen sie im Kino und machen mit, stellen Fragen, kritisieren und loben. Die Geschäftsleute dekorieren ihre Schaufenster mit Filmrollen und blauen Herzen. Saarbrücker Bürger bieten Jungfilmern ein Bett bei sich zu Hause an und sogar das Rathaus leuchtet nachts blau.
Für „Lolas Bistro“ erfinden sich längst vergessene, leer stehende Gebäude neu. Dieses Mal ist es die ehemalige Hauptpost, wo wir zwischen beleuchteten Gitterboxen und zusammengeklaubtem Mobiliar in gemütlicher Atmosphäre über die Filme diskutieren.
Das bringt urbanes Flair in den südwestlichsten Zipfel der Republik. Toll.
Und ich? Mich nimmst du jedes Jahr mit auf eine Reise. In deiner Begleitung bin ich bei den Dokumentarfilmen rund um den Globus unterwegs und erfahre etwas über andere Ecken der Welt.
Bei den Spielfilmen erlebe ich, was junge Leute gerade beschäftigt. Es sind ihre ersten Gehversuche als Filmschaffende, zu denen du mich mitnimmst. Viele machen das gleich beim ersten Mal schon sehr professionell und jeder Jahrgang ist immer wieder anders. Ich liebe es, wenn sich morgens um zehn Uhr der Vorhang hebt und nach der letzten Vorstellung um Mitternacht schließt. Dazwischen bin ich außerhalb von Raum und Zeit. Gelohnt hat es sich immer, so bereichernd, wie du bist. Ich bleibe dir treu. Egal wie. Versprochen.
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