Editorial / Der Friedensnobelpreis für Mohammadi soll mehr als ein Zeichen sein
Zur Verleihung des Friedensnobelpreises konnte sie nicht erscheinen. Die iranische Menschenrechtsaktivistin und Frauenrechtlerin Narges Mohammadi sitzt seit November 2021 wegen „Propaganda gegen den Staat“ im berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis. Ihr Mann Taghi Rahmani und ihre beiden Zwillingssöhne Ali und Kiana sollten zur Entgegennahme der Auszeichnung nach Oslo kommen. Unterdessen kündigte Mohammadi an, sich dem Hungerstreik von inhaftierten Baha’i-Frauen anzuschließen. Die 51-Jährige wolle damit „Solidarität mit der religiösen Minderheit“ zeigen. Deren Angehörige werden im Iran seit langem diskriminiert und politisch verfolgt. Die Machthaber bezeichnen die Baha’i als Ketzer und Spione Israels.
„Vielleicht wird die Welt dann mehr darüber hören“, zitierte Rahmani seine Frau. Diese war bereits im November für kurze Zeit in einen Hungerstreik getreten. Als sie wegen Herzproblemen vom Gefängnis ins Krankenhaus gebracht werden sollte, hatte sie sich geweigert, ein Kopftuch zu tragen. Daraufhin war der Transport in die Klinik untersagt worden. Schließlich wurde sie dennoch dorthin gebracht, nach eigenen Angaben ohne Kopftuch, wonach sie ihren Hungerstreik abbrach. Seit rund einem Vierteljahrhundert war Mohammadi schon mehrfach im Gefängnis Folter und Isolationshaft ausgesetzt.
Aufgrund der anhaltenden Menschenrechtsverbrechen des Ajatollah-Regimes bis hin zu Hinrichtungen beschloss die Europäische Union Sanktionen, die gezielt für Mitglieder der iranischen Armee, Polizei und Revolutionsgarde gelten. Die Betroffenen wurden etwa mit Einreise- und Vermögenssperren belegt. Wie der Friedensnobelpreis an Narges Mohammadi dieses Jahr oder an die iranische Juristin, Richterin und Menschenrechtlerin Shirin Ebadi vor 20 Jahren sollen die Maßnahmen Zeichen setzen. Aber was haben sie bewirkt? Die Machthaber zeigen sich weitgehend ungerührt. Von der internationalen Staatengemeinschaft kommen meistens nur Lippenbekenntnisse zum Schutz der Menschenrechte. Die Unterdrückung – insbesondere von Frauen – in der Islamischen Republik geschieht häufig im Schatten der Weltöffentlichkeit. Seit dem Beginn des jüngsten Aufstands gegen das Regime, der sich am Tod der Kurdin Jina Mahsa Amini in Polizeigewahrsam am 16. September 2022 entzündet hatte, wurden mehr als 500 Menschen getötet und Tausende festgenommen. Durch die Proteste wurden die Verbrechen weltweit sichtbar.
Im Juli erließ die EU neue restriktive Maßnahmen gegen Iran, weil Teheran das Assad-Regime in Syrien mit Luftabwehrsystemen und den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine mit Drohnen unterstützt. Auch wegen Irans Verletzung des Atomabkommens verlängerte die EU die Sanktionen gegen den Mullah-Staat. Die Verleihung des Friedensnobelpreises an Narges Mohammadi ist ein weiteres Zeichen im Kampf für Menschenrechte und Demokratie in Iran, aber auch in der gesamten Region. Dass aber der Iran den Vorsitz beim Sozialforum des UN-Menschenrechtsrats in Genf erhalten hat, ist der blanke Hohn und inakzeptabel. Er konterkariert alle Maßnahmen gegen das Regime.
Die Botschaft der Aktivistin aus dem Evrin-Gefängnis ist derweil denkbar einfach: Solange es in den Ländern im Nahen und Mittleren Osten keine Demokratie gibt, kann es keinen dauerhaften Frieden geben. Solange dort autoritäre Regime herrschen und extremistische und terroristische Bewegungen unterstützen, werden diese weltweit für Gewalt und Unsicherheit sorgen. Der Friedensnobelpreis für Mohammadi ehrt schließlich auch all jene Frauen im Iran, die mit dem Slogan „Frau, Leben, Freiheit“ auf die Straße gegangen sind.
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Ich werde als Frau auswandern. Und die EU soll diese Frauen Asylrecht geben.
Dann hat sich die Sache in eine Generation erledigt, ohne Gewalt.