Luxemburg / Der Kampf um eine nachhaltige Rentenreform - Schlechte Voraussetzungen für die Debatte
Mittels einer groß angelegten Debatte will die Luxemburger Regierung über die Zukunft des Luxemburger Rentensystems diskutieren. Um eine gemeinsame Basis für die Diskussion zu haben, wurde der „Conseil économique et social“ zur Erstellung eines „Avis“ gefragt. Herausgekommen sind zwei grundsätzlich verschiedene Texte, die zeigen, wie schwierig die Debatte wird.
Zu den Missionen des „Conseil économique et social“ (CES) zählt, „sich auf Ersuchen der Regierung mit einer grundsätzlich einheitlichen und koordinierten Stellungnahme zu allen Angelegenheiten (…), zu denen die Berufskammern grundsätzlich abweichende Stellungnahmen vorgelegt haben, zu äußern“. Im Vorfeld der anstehenden Debatte um die Zukunft des Rentensystems hat das Gremium diese Aufgabe nicht wirklich gemeistert.
Mitte 2022 hatte der damalige Premierminister Xavier Bettel dem CES die technische Analyse der „Inspection générale de la sécurité sociale“ (IGSS) vorgelegt und um eine Stellungnahme gebeten. Wie soll die finanzielle Nachhaltigkeit des Rentenversicherungssystems in Luxemburg auf sehr lange Sicht gewährleistet werden, angesichts der demografischen und wirtschaftlichen Entwicklungen.
Laut den Berechnungen der IGSS, wie sie sie Ende April 2022 in ihrem „bilan technique“ vorgestellt hat, sollen die monatlich bezahlten Rentenbeiträge bereits ab 2027 nicht mehr ausreichen, um die Auszahlung der Renten zu finanzieren. Es müsste dann damit begonnen werden, die in den letzten Jahren aufgebaute Rentenreserve anzuzapfen. Bei gleichbleibender Politik wäre die derzeit gut gefüllte Reserve bis 2047 komplett aufgebraucht.
Zwei separate Berichte
Einen enttäuschenden „Avis“ hat der CES nun, zwei Jahre nach der Anfrage, abgegeben. Er zeigt, wie schwierig die anstehende Debatte über die Renten werden wird. Selbst in dem Gremium, das die Zusammenarbeit als Mission hat, haben die Sozialpartner es nicht fertiggebracht, einen gemeinsamen Text zur Lage des Systems zu verfassen.
Gleich im zweiten Absatz steht zu lesen: „Diese Stellungnahme entspricht nur dem Standpunkt der Arbeitnehmerseite. Eine gemeinsame Stellungnahme mit dem Arbeitgeberlager war nicht möglich, da grundlegende Unterschiede in der Interpretation der aktuellen (finanziellen) Situation des Rentensystems und vor allem im Hinblick auf den Projektionszeitraum, der für eine Analyse der finanziellen Situation des Systems relevant ist, bestehen. Infolgedessen gingen die Einschätzungen hinsichtlich der Dringlichkeit und darüber hinaus hinsichtlich der Hebel, die zur Sicherung der Nachhaltigkeit des Rentensystems eingesetzt werden müssen, weit auseinander.“ Es folgen die Seiten mit der Sicht der Gewerkschaften. In der Mitte des Avis dann der Schnitt: „Trotz eines ersten gemeinsamen Entwurfs (…) und trotz des eindeutigen Willens der Vertreter der Arbeitgeberverbände, der sich in zahlreichen Versuchen, alternative Vorschläge zu unterbreiten, manifestierte, konnte keine gemeinsame Stellungnahme erarbeitet werden.“
„Unbestreitbar gesund“
Dabei liegen sowohl die Resultate der Analyse der aktuellen Situation wie auch die Erwartungen über zukünftige Aktionen meilenweit auseinander. Die Arbeitnehmerseite unterstreicht, dass die durch die Rücklagen gesicherte finanzielle Basis des Systems ausreichend sei, um den aktuellen Bedürfnissen und den vorhergesagten Herausforderungen begegnen zu können. „Die finanzielle Situation ist unbestreitbar gesund.“
Die jährlichen Überschüsse haben es dem Rentensystem ermöglicht, „gigantische Reserven zu bilden“, die sich derzeit auf über 27 Milliarden Euro belaufen, heben sie hervor. Mit diesen könnten die Rentenausgaben fast vier Jahre lang finanziert werden – ohne auch nur einen Cent an Beiträgen einzunehmen. „Die für 2027 prognostizierten finanziellen Ungleichgewichte können durch diese Reserven zunächst leicht ausgeglichen werden“, meinen sie.
Da die Arbeitnehmervertreter gleichzeitig auch mit großem Misstrauen auf (die Errechnung) der Erwartungen für die nächsten Jahrzehnte blicken, sei es schlichtweg „unvorstellbar, irgendwelche Verschlechterungen des Rentensystems in den Vordergrund zu stellen“. Sie erinnern an finanzielle Verschlechterungen durch die Reform von 2012.
Durchschnittsrente von 2.398 Euro
Die Arbeitnehmerseite hebt weiter hervor, dass die Altersarmut im Lande zunehme. Auch schreibt sie, dass, auch wenn einige Leute auf ein sehr hohes Rentenniveau hinweisen, man feststellen muss, dass Renten von über 7.000 Euro „äußerst selten“ seien. Im Dezember 2022 hätten sie nur 1,1 Prozent aller „pensions de vieillesse (anticipées)“ im Privatsektor ausgemacht. In Wirklichkeit beläuft sich die durchschnittliche Altersrente im Dezember 2022 auf 2.398 Euro (3.601 Euro für nicht-grenzüberschreitende Laufbahnen).
In der Folge fordern die Arbeitnehmervertreter eine Stärkung des öffentlichen Rentensystems und lehnen jeden Schritt in Richtung Privatisierung oder Teilprivatisierung des Systems ab. Sollte mehr Geld benötigt werden, dann sehe man viele mögliche, alternative Zusatzeinkommensquellen, schreiben sie.
„Anstatt sich bei der Finanzierung der Renten ausschließlich auf die Lohnsumme zu verlassen, wäre es sinnvoll, die Finanzierungsgrundlagen zu diversifizieren“, so ihre Überlegung. Beispielsweise könnten Kapitalerträge oder auch Vermögen im Allgemeinen dafür herangezogen werden. Dieser Ansatz würde die Abhängigkeit des Rentensystems vom Beschäftigungswachstum verringern und es so zeitgleich widerstandsfähiger gegenüber zukünftigen Herausforderungen (künstliche Intelligenz, Roboter) machen, heben sie hervor.
Die Möglichkeit einer Erhöhung des Beitragssatzes von Anfang an auszuschließen, finden sie absolut unmöglich. Vor allem auch, da die Arbeitgeberbeiträge in Luxemburg im Vergleich zu den Gesamtarbeitskosten zu den niedrigsten in der EU gehören.
Das „Executive Summary“
Bei der Seite der Arbeitgeber sieht man fast alles anders. Das geht aus dem ersten Kapitel des Arbeitgeberbeitrags, dem „Executive Summary“, hervor, das auf das letzte Kapitel „Conclusion et revendications“ der Arbeitnehmerseite folgt.
Man habe „volles Vertrauen“ in die Projektionen, die von der IGSS erstellt wurden, so die Arbeitgeber. Die Berechnungen würden auf „vernünftigen“ Annahmen basieren. Auch die Renten-Experten internationaler Organisationen, wie die Europäische Kommission, der IWF oder die OECD, würden Luxemburg immer wieder bescheinigen, ein finanziell nicht tragfähiges System zu haben.
Da das allgemeine luxemburgische Rentenversicherungssystem für den Privatsektor ein Umlageverfahren ist, finanzieren die Versicherten (etwa 500.000 Personen) die Rentner (etwa 210.000), erläutern die Arbeitgeber. „Solange es also deutlich mehr neue Versicherte als neue Rentner gibt, kann das System funktionieren.“ Nichts tun zu wollen, würde jedoch bedeuten, dass es morgen 1.200.000 Beitragszahler geben muss, um die Renten der 500.000 Erwerbstätigen von heute zu finanzieren. Das bezeichnet man als „ausgesprochen utopisch“.
Frage der Gerechtigkeit
Die Arbeitgeberseite gibt sich handelsbereit: Man sei der Meinung, dass das aktuelle System „rasch und ehrgeizig angepasst“ werden soll. Es sei wichtig für den sozialen Zusammenhalt, das System nachhaltig aufzustellen und den Grundsatz der Generationengerechtigkeit zu respektieren.
Luxemburg sei heute das einzige Land in der Europäischen Union, in dem die Einwohner im Ruhestand ein höheres Einkommen haben als die Einwohner, die arbeiten, heben sie hervor. Diese Besonderheit beeinträchtige den sozialen Zusammenhalt, vor allem auch wegen des hohen Anstiegs der Wohnungspreise.
„Luxemburg bietet das großzügigste Rentensystem aller OECD-Länder“, unterstreichen sie weiter. Für einen Mann mit dem doppelten Durchschnittsgehalt biete das allgemeine luxemburgische Rentenversicherungssystem einen Satz von 69 Prozent, während er im OECD-Durchschnitt nur 42 Prozent betrage. Hinzu komme, dass das effektive Renteneintrittsalter in Luxemburg (2022) das niedrigste aller OECD-Länder war. Die luxemburgischen Männer gehen (mit 60,5 Jahren) im Durchschnitt vier Jahre früher in Rente als der Durchschnitt aller OECD-Länder.
Renteneintrittsalter
In der Folge wünschen sich die Arbeitgeber, dass die Beiträge nicht erhöht werden, und das Ziel einer starken Wirtschaft verfolgt wird. Immerhin seien es die Beiträge von der Arbeit (8 Prozent Mitarbeiter; 8 Prozent Arbeitgeber; 8 Prozent Staat), die das System finanzieren.
Zudem hätte man gerne eine Vertiefung der Reform von 2012, die den Arbeitgebern zufolge in die richtige Richtung geht. Neutralisiert werden müsse derweil der Anstieg der Lebenserwartung und des Verhältnisses zwischen Erwerbstätigen und Rentnern. „Die Lebenserwartung ist in den letzten Jahren stark gestiegen und dürfte im Laufe der Zeit noch weiter steigen, während das (tatsächliche) Renteneintrittsalter nicht demselben Trend folgte“, sagen sie. Das sei nicht tragbar. Es müsse ein Bewusstsein für den längeren Verbleib im Erwerbsleben geschärft werden, um so das tatsächliche Renteneintrittsalter zu erhöhen. Das offizielle Renteneintrittsalter (65 Jahre) wolle man nicht erhöhen.
Auch ein anderer sektorieller Unterschied wird aufgeworfen: Man erinnert daran, dass bei den Staatsangestellten 30 Prozent der „pensions publiques“ bei über 8.000 Euro pro Monat liegen, und diese mit Steuergeldern bezahlt werden.
In dem betreffenden Gutachten des CES, das auf der Webseite der Institution zu lesen ist, stehen noch viel mehr Zahlen, Daten und Fakten zum Luxemburger Rentensystem. Eine gute Lektüre für den, der mehr über das Thema wissen will.
Das könnte Sie auch interessieren:
2023 war wieder ein gutes Jahr für die Luxemburger Rentenreserve
2023 wurden erstmals mehr Renten im Ausland als im Inland ausbezahlt
- Elektroautos haben ihren Marktanteil in Luxemburg weiter ausgebaut - 10. Januar 2025.
- Die Zahl der Firmenpleiten ist 2024 deutlich gestiegen - 9. Januar 2025.
- Die Inflationsrate ist im Jahr 2024 deutlich zurückgegangen - 9. Januar 2025.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos