Editorial / Der Kampf um eine Trinkflasche und was dahintersteckt
Weihnachtszeit ist Wintersportzeit. Die einen nutzen den Urlaub, um selbst sportlich aktiv zu werden, die anderen schauen sich die Sportler lieber im Fernsehen an. Dabei ist dem einen oder anderen vielleicht aufgefallen, dass immer mehr Skifahrer mit einer Trinkflasche oder einer Dose eines Sponsors vor die Kamera treten, vor dem Interview noch einen kräftigen Schluck trinken und ihren Sponsor somit gekonnt in Szene setzen. Kurz vor Weihnachten wurde es dem deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu bunt. ARD und ZDF haben entschieden, gegen die Schleichwerbung vorzugehen und keine Trinkflaschen oder Dosen mehr vor der Kamera zu dulden. Bei den Sportlern kam das weniger gut an.
Der Österreicher Vincent Kriechmayr boykottierte nach seinem Sieg im Super-G in Gröden das ZDF, indem er das Siegerinterview verweigerte. Sein deutscher Kollege Thomas Dreßen war etwas einfallsreicher und tauschte die Trinkflasche gegen einen Schal seines Sponsors aus. Das Trinkflaschen-Verbot entwickelte sich schnell zu einer Posse, in der sich keiner der Beteiligten mit Ruhm bekleckerte.
Tiefgründigeres Problem
Da wäre zum einen die Doppelmoral von ARD und ZDF. Die beiden Sender lassen sich ihre Sportübertragungen seit Jahren durch Sponsoren finanzieren. Kein Fußball-Länderspiel beginnt ohne Werbespot für Bitburger. Den Athleten wollen sie durch das Trinkflaschen-Verbot untersagen, sich durch private Sponsoren zu finanzieren. Dabei sind Skifahrer nicht unbedingt die Top-Verdiener unter den Sportlern. Sie sind auf ihre Sponsoren angewiesen und haben nur knappe sechs Monate, in denen sie im Rampenlicht stehen und ihre Sponsoren präsentieren können. Kein Wunder also, dass sie mit allen Mitteln versuchen, ihre Geldgeber in Szene zu setzen. Doch genau aus dem Grund ist ein Boykott alles andere als eine gute Idee. Immerhin schadet ein Kriechmayr so auch seinem Helm-Sponsor und seinem Skiausrüster.
Das eigentliche Problem sind aber nicht die Werbeflaschen und -dosen, sondern das System. Wie so viele Individual-Sportarten hat auch Ski alpin ein grundlegendes Problem: Es springt zu wenig für die Athleten heraus. Aus dem Grund sind sie auf private Sponsoren angewiesen. Ihnen diese Einnahmequelle nun durch Verbote zu nehmen – der Schuss könnte nach hinten losgehen.
Selbstbewusste Sportler
Denn wenn die letzten Monate und Jahre etwas gezeigt haben, dann dass Sportler sich nicht mehr alles gefallen lassen. Sie haben gelernt, sich zusammenzuschließen und sich für ihre Belange einzusetzen. Das ist die positive Seite der Trinkflaschen-Episode. Verbände täten gut daran, den Sportlern entgegenzukommen, um das langfristige Überleben einer Sportart zu sichern. Denn durch das neugewonnene Selbstbewusstsein der Athleten wird sich der Sport im neuen Jahrzehnt noch stärker verändern. Eine Sportart, die sich diesen Veränderungen verschließt, riskiert, den Anschluss zu verlieren – und dann geht es um weit mehr als bedruckte Trinkflaschen.
- Wie der Ochse vorm Weinberg: Die Tageblatt-Redaktion versucht sich als Winzer - 20. November 2024.
- Auf der Suche nach besseren Zeiten - 9. November 2024.
- Wie die Lokaljournalisten Kayla und Micah gegen die Polarisierung ankämpfen - 3. November 2024.
Dick und Doof oder Sponsoring ist nicht gleich Sponsoring.
„Es springt zu wenig für die Athleten heraus.“
Hand auf’s Herz, wieviele Spitzensportler verweigern denn Sponsoring weil sie der Meinung sind, dass für sie bereits genug herausspringt?