Regionale Kultur / Der „Kulturhuef“ nutzt die Krise kreativ
Den „Kulturhuef“ hat die Krise hart getroffen. Das zeigen die Besucherzahlen des vergangenen Jahres. Dennoch sind die Verantwortlichen offensiv mit der Krise umgegangen. Sie haben das Museumsleben nach der Krise weitergedacht. Drei Projektideen für den „Neistart Lëtzebuerg“ sind dabei herausgekommen.
Im dritten Jahrtausend vor Christus beginnt die Zeitleiste der Geschichte des Buchdrucks im Museum, die auf einer Galerie Druckmaschinen wie die berühmte „Heidelberger“ einrahmt. Da kommt Papyrus in Ägypten auf, der Vorläufer des Papiers. Die Geschichte des „Kulturhuef“ beginnt mit dem leerstehenden Schlachthaus in Grevenmacher, das im Jahr 2000 als Museum neu eröffnet.
Es hat anfangs einen schweren Stand, weil es eher technisch orientiert ist. Zwar finden Fans der historischen Druckmaschinen den Weg nach Grevenmacher, denn der „Kulturhuef“ ist Initiator und Mitglied der „Association of European Printing Museums“ (AEPM). Für Interessierte ist das Netzwerk eine Fundgrube für neue Reiseziele. Das reicht aber nicht. Veränderungen zeichnen sich ab.
So wie Gutenberg im 16. Jahrhundert mit der Erfindung der Druckpresse die handschriftliche Weitergabe von Geschichten revolutioniert, definiert sich die Grevenmacher Kulturstätte 2011 neu. In dem Jahr finden die beiden bislang räumlich voneinander getrennten Ausstellungen, historische Spielkarten und die Druckmaschinen, in neuer Zusammenstellung unter einem Dach zusammen.
Das Museum entwickelt sich weiter
Es war ein logischer Schritt, beides hängt zusammen. Ohne Druckerpressen hätte Jean Dieudonné damals seine Spielkarten nicht herstellen können. Der Franzose lässt sich 1754 in Grevenmacher nieder und baut eine Produktion von Spielkarten auf. Sie hält sich über fünf Generationen in Grevenmacher.
Eines dieser Kartensets kommt aus London nach Grevenmacher zurück. Ein BBC-Journalist verkauft dem Museum sein Spiel, nachdem er auf dem Schild der Karte mit dem Buben dessen Herkunft in Grevenmacher ausgemacht hat. Die Dieudonné-Dynastie exportiert die Erzeugnisse seinerzeit hauptsächlich. 2018 bindet eine Zeitleiste die Druckmaschinen an die Erzeugnisse, in erster Linie ans Buch.
Die in moderne Museumsarchitektur integrierten Fotos und Exponate führen Besucher über die „Hahnenfibel“, dem ersten, nur 16 Seiten umfassenden Schulbuch in Luxemburg von 1626 über Reclam-Ausgaben von Goethes Faust bis zum E-Book im 21. Jahrhundert. Es sind 20 Meter Geschichte des Buchdrucks in moderner Museumsarchitektur.
2020 wäre eigentlich ein Grund zum Feiern gewesen. Der „Kulturhuef“ existiert 20 Jahre als Kultureinrichtung. Die Corona-Krise macht nicht nur das zunichte. Während 2019 knapp 4.000 Besucher ins Museum kommen, sind es 2020 nur noch 1.050. Einen ähnlich großen Einbruch muss das Kino hinnehmen. Es gehört zum „Kulturhuef“ und macht zusammen mit dem Bistro in dieser Kombination das Ensemble in der Großregion einmalig.
Den rund 8.000 Cineasten von 2019 stehen knapp 3.000 im Krisenjahr 2020 gegenüber. „Gerettet“ haben den Kinosaal mit seinen 78 Plätzen neue Autorenfilme, luxemburgische Produktionen und Koproduktionen. Im benachbarten Ausland sind die Kinos geschlossen und Filmstarts gestoppt. „Wir sind über die Runden gekommen“, sagt Koordinatorin Monika Jakobs (52) über das vergangene Jahr.
Die letzten zwölf Monate haben sie und Verwaltungsratspräsidentin Liane Felten (54) genutzt, den Museumsbetrieb nach der Krise weiterzudenken. Für den „Neistart Lëtzebuerg“ – in dem Programm des Kulturministeriums sind Gelder für die Aufwertung von Regionalmuseen eingeplant – kommen drei Projektideen aus Grevenmacher. Zusammen mit der Künstlerresidenz sind 110.000 Euro bereits bewilligt.
Der „Kulturhuef“ wird interaktiv
Das konnte Verwaltungsratspräsidentin Felten auf der letzten Generalversammlung verkünden. Mit der Umsetzung der Ideen kann es also losgehen. „Gutenberg und Dieudonné for Kids“ arbeitet verschiedene Stationen des Museums kindgerecht und spielerisch in einem Begleitheft auf. Der „Kulturhuef“ kommt dann in gedruckter Form in die Kinderzimmer und als pädagogisches Material in die Schule.
In einem weiteren Projekt sollen drei neue interaktive Stationen die Ausstellung ergänzen. Wer weiß heute noch, dass ein geübter Schriftsetzer 1.400 Buchstaben pro Stunde von Hand setzen konnte, um eine Buchseite zu drucken? Es war Handarbeit unter hohem Druck, die Ende des 19. Jahrhunderts durch die in den USA entstehende „Linotype“-Maschine ersetzt wird.
Neben dem leibhaftigen Industrieungetüm aus Stahl im Museum soll zukünftig ein Touchscreen ermöglichen, dass Besucher ihre eigenen Texte als Druckvorlage erstellen. Sie setzen sie selbst, so wie es früher der Schriftsetzer gemacht hat: Buchstabe für Buchstabe, aber auf dem Kopf angeordnet und spiegelverkehrt.
Eine andere neue Station führt in die Archive des Museums, wo eine große Sammlung von Druckvorlagen schlummert. Die Werbung aus den 50er Jahren oder Motive zu speziellen Themen werden katalogisiert, um anschließend auf einer der zwei Besucherpressen als gedrucktes Souvenir zum Mitnehmen an den Besuch zu erinnern.
Seit das Museum vor 20 Jahren mit der Schau von Druckmaschinen, die die industrielle Revolution des Sektors zwischen 1850 und 1950 beleuchten, eröffnet hat, ist im „Kulturhuef“ viel passiert. Heute ist es ein lebendiger Ort, der ein Stück Zeitgeschichte erzählt, dabei aber nicht stehen bleiben will.
Der „Kulturhuef“ und seine Sammlungen
Die historischen Druckmaschinen hat der nicht mehr existierende „Cercle graphique luxembourgeois“ gesammelt. Vor allem für die „Heidelberger“ interessieren sich in jüngster Zeit wieder vermehrt professionell arbeitende Grafiker. Die meisten Exponate der Dieudonné-Sammlung sind eine Dauerleihgabe des Nationalmuseums. Sie sind in Grevenmacher, weil der Lokalhistoriker Jean Welter sich dafür starkgemacht hat. Das Budget der Kultureinrichtung beträgt jährlich 400.000 Euro. Es sind Zuwendungen aus dem Kulturministerium und der Gemeinde. Neun Mitarbeiter beschäftigt der „Kulturhuef“, die zusammen fünf Vollzeitstellen abdecken. Es gibt einen Museumsshop und Künstlerresidenzen. Momentan ist es die Foto-Künstlerin Annick Sophie „Néckel“ Scholtus, die für sechs Monate im Museum an neuen Ideen arbeitet. Die Künstlerresidenz, die zum ersten Mal sechs Monate dauert, wird mit 30.000 Euro gefördert. Vier neue Museumsguides machen gerade ihre Ausbildung im „Kulturhuef“.
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