Analyse / Der Maestro: Was uns die ersten Informationsbrocken zur Regierung verraten
Luc Frieden hat am Donnerstagmorgen erste inhaltliche Eckpunkte des Koalitionsvertrages vorgestellt. Der Fokus wurde dabei vor allem auf wirtschaftliche Maßnahmen gelegt. Eine Einordnung unter Vorbehalt der Unvollständigkeit.
Luc Frieden hätte sich als ausgewiesener Musikkenner eigentlich auch das Kulturministerium krallen können. „Ich bitte, die Regierungserklärung als Begleitmusik (,Musek ronderëm‘) zu hören, um verschiedene Entscheidungen zu verstehen“, erklärt der zukünftige Dirigent der Luxemburger Regierung. Er hätte mit seiner Rede am Mittwoch erst den Kontext liefern wollen, damit Abgeordnete und Bürger die Details im Regierungsabkommen verstehen könnten, so die paternalistisch anmutende Erklärung des zukünftigen Premierministers. „Die Abgeordneten aber wollten zuerst das Detail und dann den Kontext.“ Oder um bei Friedens Musik-Analogie zu bleiben: Als unumstrittene erste Geige im Ministerorchester will er selbst Ton und Takt der Regierung angeben.
Da kommen Abgeordnete, Presse und Zivilgesellschaft, die wissen wollen, wie es in den nächsten fünf Jahren im Land weitergehen soll, dem Dirigenten so ungelegen wie ein falscher Ton. Und so hat Luc Frieden am Donnerstag zumindest erste Eckpunkte des Vertrages vorgestellt. Der Fokus lag dabei klar auf der wirtschaftlichen Zukunft des Landes. Luxemburgs künftiger Premier hat gleich mit der ersten Ankündigung etwas überrascht. „Die Steuertabelle wird auf den 1. Januar 2024 um vier Indextranchen angepasst“, gibt Luc Frieden eine erste Maßnahme bekannt. Überraschend ist das insofern, da während der Koalitionsverhandlungen bekannt wurde, dass die wirtschaftliche Lage des Landes – und somit indirekt auch die der Staatsfinanzen – eigentlich keine großen Steuergeschenke zulassen würde. Neben der bereits von der Dreierkoalition beschlossenen Anpassung von 2,5 Indextranchen aber will die CSV-DP-Regierung weitere 1,5 Indextranchen erlassen, was laut Formateur Luc Frieden zusätzliche 180 Millionen Euro kosten wird. Eine automatische Anpassung ist nicht geplant. Er wolle eine „vernünftige Finanzpolitik führen, die keine Steuererhöhungen“ beinhalten. Er wolle keine Spar- oder Austeritätspolitik, wie ihm das bisweilen angedichtet werde, so Frieden.
A bene placito
Zur Frage, ob oder inwiefern die künftige Regierung diese Maßnahmen gegenfinanzieren wolle, meint Frieden lediglich: „Die Rahmenbedingungen, die wir schaffen, werden Steuern einbringen.“ Das heißt: Unter anderem durch die Anpassung der Unternehmenssteuer an den OECD-Durchschnitt (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) soll das wirtschaftliche Wachstum in Luxemburg angekurbelt werden. Die kurzfristige Steuersenkung soll langfristig zu mehr Steuereinnahmen führen – eine Strategie, die vom IWF (Internationalen Währungsfonds) und der OECD aufgrund der Besonderheit der Luxemburger Wirtschaft angezweifelt wurde. Das heißt im Gegenzug, dass kurzfristig die Staatsfinanzen durch das Ausfallen vorheriger Steuereinnahmen etwas in Mitleidenschaft gezogen werden könnten. Langfristig sei „die aktuelle Entwicklung der Verschuldung nicht tragbar“, weshalb die „CSV bei der Steigerung der Staatsschulden auf die Bremse treten wird“, hieß es im CSV-Wahlprogramm.
Auf der Pressekonferenz am Donnerstag äußert sich Luc Frieden bereits differenzierter: Es komme auf die Natur der Schuld an und nicht unbedingt auf den Schuldenstand. Die 30-Prozent-Schuldenquote, die für die vorherige Regierung noch als absolute Grenze galt, sehe man in der CSV-DP-Koalition nicht mehr so streng. Was den konkreten Plan, wie Luxemburgs Staatsfinanzen ins Lot gebracht werden können, angeht, müssen wir uns also bis nächsten Mittwoch gedulden.
Al rigore di tempo
Grundlegende Änderungen werden auch in der Gesundheitspolitik bevorstehen. Nicht nur, weil das Ministerium erstmals seit 20 Jahren nicht mehr in LSAP-Hand liegt, sondern auch, weil sowohl die CSV als auch die DP in irgendeiner Form eine Liberalisierung im Wahlkampf gefordert hatten. Demnach wird das Gesetz der ambulanten Wende noch einmal überarbeitet, um Ärzten außerhalb der Krankenhäuser mehr „Flexibilität“ zu gewährleisten. Ein weiterer Fokus für die kommenden fünf Jahre soll dann auch die Digitalisierung im Gesundheitssektor sein. Interessant wird sein, wie die neue Gesundheitsministerin Martine Deprez (CSV) unter anderem mit den Forderungen der AMMD umgehen wird und welche Rolle der noch jungen Agentur eSanté zugesprochen wird.
Ein „Paradigmenwechsel“ dürfte auch in der Umweltpolitik bevorstehen. Zwar werden einige Maßnahmen der vorherigen Regierung weiter gefördert – Stichwort: Standardisierung von Fotovoltaikanlagen auf Dächern – während Luc Frieden aber eine gewisse „Verhältnismäßigkeit und Effizienz“ gewahrt wissen will. „Extremen Auslegungen“ von Umweltgesetzen will er einen Riegel vorschieben, Wirtschaft und Fortschritt den Vortritt vor Naturschutz lassen. Besonders im (Wohnungs-)Bausektor scheint bei der künftigen Regierung das Motto „Bau vor Baum“ Konjunktur zu haben. „Schöne Grünzonen“ können auch innerhalb des Bauperimeters entstehen.
Misurato
Die Koalitionspartner hatten verschiedene Sozialverbände nach Senningen eingeladen. Aus diesen Unterredungen will die neue Regierung eine „transversale Politik“ im Kampf gegen die Armut entwickelt haben. „Arbeit muss sich lohnen“ liest sich jedoch eher als Kampf gegen eine bei den sozial Schwächeren vorausgesetzte Faulheit. Sozialleistung will die Regierung jedoch nicht kürzen, sondern den Revis stärken – aber so, dass ein Arbeiter mit Mindestlohn noch immer mehr von seinem Gehalt hat als ein reiner Sozialhilfeempfänger. Letzterem wolle man mit gezielten Maßnahmen helfen, wieder Arbeit zu bekommen. Vor dem Hintergrund des von Patronatsverbänden monierten Fachkräftemangels lassen sich diese Aussagen durchaus eher als Wirtschafts- denn als Sozialmaßnahme interpretieren.
Der vielleicht größte Bruch mit der „Bettel II“-Regierung könnte jedoch in der transversalen Herangehensweise der Regierung liegen. Während Bettel immer wieder betonte, dass die ein oder andere Frage nicht in seinen Kompetenzbereich als Premierminister falle, war sich Luc Frieden nicht zu schade, zwei Fragen, die eigentlich an Xavier Bettel gerichtet waren, „für seinen Kollegen“ zu beantworten. Insgesamt verspricht sich Frieden eine transversalere Herangehensweise dadurch, dass einige Kompetenzbereiche auf mehrere CSV/DP-Ministerien aufgeteilt werden. Das Ressort Immigration liegt beispielsweise bei Max Hahn und Léon Gloden, während sich Martine Hansen mit Elisabeth Margue um den Konsumentenschutz kümmern soll – wobei die genaue Aufteilung laut Tageblatt-Informationen selbst bei den Verantwortlichen noch nicht ganz geklärt sein soll. Das stellt einen Bruch mit der bisherigen Regierungsweise dar – und es obliegt am Dirigenten, aus den bisherigen Solisten und Musikkritikern ein Orchester zu formen, um Luxemburg gemäß dem Koalitionsvertrag „für die Zukunft zu stärken“.
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