Forschungsbericht / Der neue „Observatoire social“ legt in Esch den Finger in die Wunde
Eine knappe Woche vor den Wahlen hat die Stadt Esch ihren neuen „Observatoire social“ vorgestellt. Sozialschöffe Christian Weis (CSV), der den Bericht wieder aufleben ließ, hob am Freitag hervor, dass es der erste ist, der einen Vergleich zwischen den Jahren 2019, 2020 sowie 2022 erlaubt. Wie hat sich Esch also entwickelt?
Zuerst einmal: Esch ist kleiner geworden, ein bisschen zumindest. Heute leben 92 Menschen weniger in der Stadt als vor zwei Jahren. Es gibt kaum andere Gemeinden in Luxemburg, denen es die vergangenen Jahre ähnlich erging. Die Liser-Forscher Joe Birsens, Antoine Decoville und Valérie Feltgen weisen in ihrem Bericht aber daraufhin, dass sich die Bevölkerung trotz des leichten Rückgangs verändert hat. Entweder durch Ab- und Zuzüge oder durch Umzüge innerhalb der Stadt. Es seien einfach keine großen Wohnbauprojekte fertiggestellt worden, lautet ein Erklärungsansatz für den leichten Rückgang bei der Einwohnerzahl.
Im 205-seitigen Bericht des Forschungsinstituts werden knapp 50 Indikatoren behandelt. Es geht von Bevölkerungsdichte bis zur Altersstruktur, von den Nationalitäten bis zum Kulturjahr. Aber insbesondere um die soziale Struktur der Stadt und damit darum, wie die 36.157 Menschen in Esch leben. Oder überleben. Im Folgenden heben wir einige Ergebnisse aus dem „Observatoire social“ heraus. Der ganze Bericht ist über die Internetseite der Stadt Esch abrufbar und wird auch in gedruckter Version erscheinen. Auch die Pressekonferenz lässt sich online nachhören.
Entwicklung der Wohnpreise
Die Preise für das Wohnen in Esch sind in den vergangenen beiden Jahren förmlich explodiert. Den Anstieg der Verkaufspreise für bestehende Wohnungen um 47 Prozent nennen die Forscher „extrem“. Kein Stadtteil sei von der Entwicklung ausgenommen. Der Anstieg war demnach sogar noch stärker als im Landesdurchschnitt (+43%). Auch für den Mietmarkt läuten die Forscher die Alarmglocken. Wiederum gibt es in Esch eine Entwicklung, die vom Rest des Landes abweicht. Die Situation für Mieter sei „besorgniserregend“. In Esch war das relative Wachstum der Mieten pro Quadratmeter für Wohnungen eines der stärksten im Land, mit einem Plus von knapp 40 Prozent zwischen 2019 und 2022. Damit, schreiben die Forscher, sind die Mieten pro Quadratmeter in Esch fast genauso hoch wie in Luxemburg-Stadt (34,1 Euro gegenüber 36,8 Euro in Luxemburg-Stadt).
Angesichts der allgemeinen sozialen Lage in Esch, mit einer Bevölkerung, die im Durchschnitt weniger gut bezahlt ist als im gesamten Land, erscheinen die Mietpreise als „unverhältnismäßig hoch“, heißt es im „Observatoire social“. Da sich dies nur auf neu abgeschlossene Mietverträge bezieht, sei es ein Zeichen dafür, dass in Esch „derzeit ein Gentrifizierungsprozess im Gange ist, der sich auf alle Stadtteile auswirkt“. Diese Situation unterstreiche, „wie wichtig es ist, das Angebot an Sozialwohnungen weiter zu erhöhen, um Menschen aus allen sozialen Schichten zu ermöglichen, nach Esch zu ziehen und es den Eschern zu ermöglichen, weiterhin in ihrer Stadt zu leben“.
Suchen nach Wohnraum
Allein der Escher „Service logement“ zählte im Juli 2022 356 Anträge. Im Jahr 2020 waren es 291 Anträge. Das Problem der Suche nach einer Sozialwohnung habe sich damit verschärft. Auch wenn die Zahl der Sozialmietwohnungen seit 2020 leicht gestiegen sei, schreiben die Forscher, reichten sie bei weitem nicht aus. Die Haushalte, aus denen diese Anträge stammten, setzten sich zusammen aus 513 Erwachsenen und 448 Kindern. Diese rund 1.000 Personen sind fast doppelt so viele, wie derzeit in den von der Stadt verwalteten Wohnungen untergebracht sind. Zum Zeitpunkt Juli 2022 standen die Haushalte im Durchschnitt seit 20 Monaten auf der Warteliste. Ein knappes Drittel der Antragsteller haben eine portugiesische Staatsangehörigkeit, 25 Prozent eine nicht-europäische Staatsangehörigkeit und jeder Fünfte eine luxemburgische Staatsangehörigkeit. Fast die Hälfte der Anträge (46%) kommt von Personen, die derzeit in den Stadtteilen Brill und „Al Esch“ leben.
Leere Geschäfte
Die Geschäftslage in Esch ist die gleiche wie in vielen mittelgroßen Städten in Westeuropa, das heißt sehr schwierig, schreiben die Liser-Forscher zu den Leerständen vor allem im Zentrum von Esch. Manchmal reiche es aus, dass einige Einzelhändler aus den zentralen städtischen Gebieten abwanderten, damit die gesamte Geschäftsstruktur an Attraktivität verliere. Dies führe zu einem „Teufelskreis, der das Image der Innenstadt als Ganzes verschlechtert“. Bei der im September 2022 durchgeführten Zählung zählte das Liser-Team demnach insgesamt 179 leere Geschäftsräume. Allein in der Alzette-Straße gab es 22, von denen einige derzeit renoviert werden. Die anderen Teile der Stadt, in denen sich der Leerstand von Geschäften konzentriert, sind dem Bericht nach die Brill-Straße (ein Dutzend leere Geschäfte), das Marco-Polo-Zentrum (fast vollständig leer), das Mercure-Zentrum und das Einkaufszentrum Belval Plaza.
Was die Escher (nicht) verdienen
Die 22.474 Personen mit einem Einkommen in Esch verdienen 15 Prozent mehr als am 1. Januar 2019. Auch gibt es einen leichten Rückgang bei den Empfängern von Arbeitslosengeld. Die Forscher weisen darauf hin, dass ein Teil dieses Lohnanstiegs auf die beiden seitdem ausbezahlten Indextranchen zurückzuführen sind.
Der Bericht zeigt auch deutlich, wie unterschiedlich die Einkommen je nach Nationalität sind. Während die Luxemburger das höchste Einkommen (4.031 Euro Medianeinkommen) haben, beziehen die Deutschen die höchsten Durchschnittseinkommen, gefolgt von den Franzosen. Am anderen Ende des Einkommensspektrums haben Personen mit portugiesischer Staatsangehörigkeit die niedrigsten Einkommen, mit einem Medianeinkommen von 2.778 Euro. Während die durchschnittlichen und mittleren Einkommen in allen Stadtteilen gestiegen sind, haben sich die Einkommensunterschiede zwischen den Stadtteilen nicht verringert. So ist das durchschnittliche Einkommen im Stadtteil Wobrécken um 42 Prozent höher als im Stadtteil Brill.
Viel zu viele Kinder am unteren Ende
Ein ganzes Kapitel widmen die Forscher den Empfängern des Einkommens zur sozialen Eingliederung, des Revis. Die Zahl der Menschen, die in Hausgemeinschaften leben, die Revis erhalten, ist demnach zwischen Januar 2019 und Januar 2022 deutlich von 2.387 auf 2.695 Personen gestiegen – ein Plus um 308 Personen beziehungsweise um 12,9 Prozent. Über ganz Luxemburg gesehen, stieg die Zahl der Revis-Empfänger im selben Zeitraum um 7,9 Prozent an und damit deutlich schwächer.
Die Forscher betonen die Unterschiede zwischen den Nationalitäten als „extrem ausgeprägt“. Während französische oder luxemburgische Revis-Bezieher verhältnismäßig wenige sind (4,3% bzw. 5,3%), sind es bei Personen mit einer Staatsangehörigkeit außerhalb der Europäischen Union 15,8 Prozent, die davon profitieren. Besonders besorgniserregend erscheint, dass Kinder unter 14 Jahren am stärksten vertreten sind: 13,6 Prozent von ihnen leben in Hausgemeinschaften, die vom Revis abhängig sind. Jugendliche zwischen 14 und 19 Jahren stehen an zweiter Stelle mit 10,3 Prozent.
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