Editorial / Der Rechtsruck ist da – die Konservativen müssen jetzt zeigen, auf welcher Seite der Geschichte sie stehen wollen
Waren diese EU-Wahlen Europas Trump-Moment, wie das Magazin Politico es ankündigte? Auf jeden Fall kam fast alles so wie von den Umfrageinstituten vorhergesagt: Alles, was rechts ist, hat dazugewonnen. Gerät damit die Zukunft Europas in Gefahr? Nein, zumindest so lange nicht, wie sich die Konservativen dazu entscheiden, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen.
Doch kurz zu den Ergebnissen, soweit sie gestern Abend bekannt waren – und zu weiten Teilen ernüchternd sind. Die Konservativen der Europäischen Volkspartei (EVP) bleiben stärkste Kraft im Europaparlament. Die Rechtsnationalisten und Rechtsextremen aber sind die großen Gewinner. Jeder dritte Wähler in Frankreich wählte das Rassemblement National, auch in Österreich wurde die FPÖ erstmals stärkste politische Kraft bei einer nationalen Wahl, in Deutschland erreichte die AfD ihr bestes Resultat bei einer bundesweiten Wahl, und, und, und.
Die politischen Folgen ließen nicht lange auf sich warten. Erstes Opfer der rechten Schockwelle war die „Assemblée nationale“ in Paris. Nach dem für seine Partei niederschmetternden Ergebnis löste Frankreichs Präsident Emmanuel Macron das Parlament noch am Wahlabend auf. Die Neuwahlen sind bereits angesetzt. Macron könnte den Rechten damit den Wind wieder aus den Segeln nehmen. Aber die Wette ist durchaus riskant.
Auch wie es im Europaparlament weitergeht, bleibt vorerst unklar. Von den Mitte-Fraktionen hat die EVP leicht hinzugewonnen, die Sozialdemokraten von Spitzenkandidat Nicolas Schmit wohl ein paar wenige Sitze verloren. Heftiger erwischte es ersten offiziellen Hochrechnungen zufolge die Liberalen und die Grünen. Klare Gewinner sind, wie erwähnt, die Rechtsnationalisten der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) und die rechtsextreme Identität und Demokratie (ID).
Wie das Machtgefüge im Europaparlament ausfällt, hängt stark von diesen beiden Rechtsaußen-Fraktionen ab und davon, wie sie sich jetzt organisieren werden. Wer wechselt die Fraktion? Welche wird dann wie stark? Oder wird es gar einen ganz neuen Zusammenschluss der Rechten geben? Von einem solchen haben diese immer wieder laut geträumt. Gescheitert ist das Vorhaben aber stets an den ihren Nationalismen zugrundeliegenden Differenzen untereinander.
Wie es im Europaparlament weitergeht, hängt aber insbesondere von einer anderen Fraktion ab: der konservativen. Die EVP trägt einen großen Teil Mitschuld an der Normalisierung der extremen Rechten und deren jetzigem Wahlerfolg. Politische Ideen der extremen Rechten wurden übernommen, die Nähe zu ihr gesucht. Das Ergebnis ist jetzt da, und statt ihren ersten Platz zu feiern, sollten die Konservativen sich schämen. Dafür, dass sie der extremen Rechten dabei geholfen haben, salonfähig zu werden. Und vor allem sollten sie sich besinnen und überlegen, auf welcher Seite der Geschichte sie stehen wollen – auf jener, die Europa voranbringt, oder auf jener, die den Nationalismus und damit das Gegenteil der europäischen Idee propagiert.
Die Lage ist ernst, zu beschönigen gibt es nichts, aber die Konservativen können zusammen mit Sozialdemokraten, Liberalen und auch den Grünen weiterhin eine stabile Mehrheit im Europaparlament bilden. Dafür braucht es jedoch ein Ende des Techtelmechtels mit Rechtsaußen. Die Christdemokraten der EVP müssen jetzt Farbe bekennen. Tun sie das im positiven Sinne, bleibt der extreme Rechtsruck bei dieser Wahl zwar beklagenswert – zu Europas Trump-Moment werden die Europawahlen 2024 dann aber nicht.
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