Gesellschaft / Der Staat Luxemburg und die jüdische Gemeinschaft bereinigen Nachkriegsfolgen
Mit der Unterzeichnung eines historischen Abkommens wollen der Staat und die jüdische Gemeinschaft Luxemburgs eine Reihe Probleme und Fragen aufarbeiten, die 76 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges immer noch einer Antwort harren. Gemeinsam wollen sie aber auch mit einer wissenschaftlichen und erzieherischen Arbeit die Zukunft vorbereiten und Lehren aus der Geschichte ziehen.
Für Staats- und Kultusminister Xavier Bettel ist es eine Herzensangelegenheit: Sechs Jahre nachdem er sich im Namen des Staates offiziell bei der jüdischen Gemeinschaft für die im Krieg erlittenen Leiden entschuldigt hat, ging er am Mittwoch einen Schritt weiter und unterzeichnete mit den Vertretern der Jüdischen Gemeinschaft ein Abkommen „über nicht-beantwortete Fragen im Rahmen der Plünderung des jüdischen Besitzes im Zusammenhang mit der Shoah“.
Bereits das Datum hatte Symbolkraft: Das Abkommen wurde am 27. Januar unterschrieben, dem 76. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers von Auschwitz und einem Datum, das heute der internationale Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus ist.
„Es war für mich wichtig, den Worten auch Taten folgen zu lassen“, erklärte der Staatsminister bei der Vorstellung des Dokumentes, das er zusammen mit Finanzminister Pierre Gramegna und dem Vorsitzenden des israelitischen Konsistoriums, Albert Aflalo, unterzeichnete. Mit-Unterzeichner sind der Präsident der „Fondation luxembourgeoise pour la mémoire de la Shoah“ François Moyse und der Vertreter der „World Jewish Restitution Organization“ Dimitri Dombret. Diese 1993 gegründete Organisation mit Sitz in Jerusalem ist weltweit mit der Rückerstattung des Vermögens der Opfer des NZ-Regimes betraut und wird auch die praktische Umsetzung des Abkommens in Luxemburg übernehmen. Die israelische und die amerikanische Botschaft haben ebenfalls am Abkommen mitgearbeitet, schweren Herzens hat US-Botschafter Randy Evans Luxemburg vor der Unterzeichnung verlassen.
Umfassend
Aus Luxemburger Sicht soll das Abkommen eine Reihe Ungerechtigkeiten beheben: So wurden zwei Drittel der fast 5.000 Juden, die beim Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in Luxemburg lebten, nach dem Krieg nicht entschädigt oder unterstützt, weil sie nicht die luxemburgische Staatsangehörigkeit hatten. Ihnen wurde in den Gesetzen von 1950 und 1967 über die Entschädigung der Kriegsopfer nicht geachtet. Besonders hart getroffen waren die deutschen Juden, die nach dem Krieg nicht mehr als Verfolgte betrachtet wurden, sondern den Stempel „Deutsche“ aufgedrückt bekamen. Um diese Verfehlungen wettzumachen, stellt die Regierung den Überlebenden eine Million Euro bereit.
Außerdem bekommt die vor knapp drei Jahren gegründete „Fondation pour la mémoire de la Shoah“ für die nächsten 30 Jahre ein Budget von 120.000 Euro. Damit soll sie einerseits die Arbeiten über die sogenannten „Comptes dormants“ fortsetzen, auf denen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges noch immer Gelder blockiert sind, weil sie nie verlangt wurden oder keine Nachfolger ausfindig gemacht werden konnten. Das Gleiche gilt für Versicherungsgelder. Zwei Arbeitsgruppen sollen sich damit beschäftigen, ein Dritter soll Nachforschungen über die aus Luxemburg verschleppten Kunstwerke anstellen. Hier sollen auch das Nationalmuseum und die Nationalbibliothek mithelfen.
Lange Vorgeschichte
Die Erforschung der Plünderung jüdischen Besitzes in Luxemburg hat eine lange Vorgeschichte: Der LSAP-Abgeordnete Ben Fayot warf im Jahr 2000 die Frage auf, nachdem die europäischen Nachbarländer sie längst thematisiert hatten. Er verwies auf die Ersparnisse, Immobilien, Unternehmen und Kunstwerke hin, die von Juden, die bei Kriegsausbruch in Luxemburg lebten, nach ihrer Flucht am 10. Mai 1940 hinterlassen wurden bzw. die im August 1940 nach der Einführung der Nürnberger Rassegesetze blockiert und beschlagnahmt wurden. Daraufhin wurde unter der Leitung des Historikers Paul Dostert eine Kommission eingesetzt, um diese Fragen zu untersuchen.
Neun Jahre lang wurde gearbeitet, nur sehr zögerlich wurden die Schlüsse publik gemacht. Der damalige Regierungschef Jean-Claude Juncker, unter dessen Verantwortung die Kommission stand, hat sich für das Thema nie erwärmen können. Einige Empfehlungen der Kommission, wie die Errichtung eines Mahnmals zur Erinnerung an die Shoah, wurden von der aktuellen Regierung umgesetzt, andere Schlüsse werden heute als unvollständig angesehen.
Gleichzeitig bekommt die Stiftung zusätzliche Aufgaben, darunter die Wahrung der jüdischen Gedenkstätten. Das ist eine besonders große Herausforderung: Der Staat hat nämlich das Kloster von Cinqfontaines bei Ulflingen gekauft, in dem zwischen 1941 und 1943 eine Art Ghetto war. Es ist der einzige materielle Zeitzeuge aus der Besatzungszeit in der Großregion. Jetzt soll hier eine Erziehungs- und Gedenkstätte entstehen.
Aufgestockt werden auch die Mittel für das „Comité pour la mémoire de la Deuxième Guerre mondiale“. Dieses Gremium ist ebenfalls ein „Wunschkind“ des Regierungschefs. Es bringt, zum ersten Mal in der Geschichte der hiesigen Nachkriegswelt, die Vertreter der Zwangsrekrutierten, des Widerstandes und der Opfer der Shoah an einen Tisch. Mit der Aufgabe, aus den Lehren der Geschichte die Zukunft vorzubereiten.
Zwei Millionen Euro gehen an die wissenschaftliche Arbeit: Gefördert werden damit die universitäre Forschungsarbeit, aber auch individuelle Recherchen. Und dann soll damit eine nationale Strategie zum Kampf gegen Antisemitismus erarbeitet werden.
„Dieses Abkommen lindert nicht das erlittene Leid. Es soll jedoch diesen Menschen ihre Würde wiedergeben, so wie es eine offene, tolerante und respektvolle Gesellschaft schuldig ist“, so der Staatsminister.
Fünfbrunnen
Im Rahmen des Abkommens hat die Regierung das 1903 gegründete Herz-Jesu-Kloster Fünfbrunnen bei Ulflingen gekauft. Die „Pafemillen“, wie das Kloster im Volksmund heißt, war während der nationalsozialistischen Besatzung ein Zwischenlager für jüdische Gefangene. Rund 300 vorwiegend alte, kranke und invalide Menschen haben von Juli 1941 bis April 1943 dort gelebt, bevor sie deportiert wurden. Fünfbrunnen war selbstverwaltet, zuständig war das Ehepaar Hugo und Selma Heumann, das 1938 von Mönchengladbach aus nach Luxemburg geflohen war und das im April 1943 im zweitletzten Zug nach Theresienstadt saß. Sein Tagebuch wurde 2007 von Germaine Goetzinger und Marc Schoentgen aufgearbeitet. Mittlerweile sind weitere Aufzeichnungen eines Lagerinsassen aufgetaucht, die der wissenschaftlichen Aufbereitung harren.
Nach dem Krieg erhielt das Kloster seine Bestimmung zurück, wurde ab 1973 ein Meditationszentrum. Nachdem nur noch zwei Ordensbrüder dort lebten, entschied sich der Orden zum Verkauf.
Auf dem Klostergelände steht bereits seit 1969 ein Denkmal des Bildhauers Lucien Wercollier für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus, denen jedes Jahr am ersten Julisonntag dort feierlich gedacht wird.
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Eine offene , tolerante, respektvolle Gesellschaft sollte auch jenen die Würde zugestehen , die im Bürgerkrieg in Spanien gegen den Faschismus gekämpft haben. Auch wenn der zweite Weltkrieg noch nicht offiziell als begonnen von der Zeitgeschichte klassiert, ist die Machtergreifung Francos mit Hilfe Nazi Deutschlands Teil des Zweiten Weltkrieges. „d‘Gelle Fraa ass och Guernica.“
@ Scholer Sie übersehen die Rolle Stalins und Mussolinis in diesem Stellvertreterkrieg. Ich empfehle Ihnen die idiologische Brille einmal abzusetzen und sich eingehender mit der Geschichte des spanischen Bürgerkrieges zu befassen, sie ist mittlerweile historisch sehr gut aufgearbeitet und die Spanier haben da auch eine durchaus differenziertere Betrachtung Ihrer „Helden“.