Theater / Der subtile Uncharme des Fremdenhasses – Das Bühnenstück „PatrIdiot“ von Jeff Schinker
Die Inszenierung von Corina Ostafi des Stücks im Kasemattentheater wirft Fragen zum Rassismus in Luxemburg auf und unterhält dabei auch noch gut.
Erleben wir eine Krise der Demokratie? Wenn ja, dann habe diese Krise sehr viel mit Identität zu tun, meint die deutsche Politik- und Sozialwissenschaftlerin Naika Foroutan. Identitäten sind schließlich in ständiger Bewegung. Sie befinden sich in einem dauernden Prozess und richten sich dabei nicht nach einer bestimmten „Leitkultur“ – übrigens ein unsäglicher Begriff, den einmal deutsche CDU-Politiker verbreitet haben.
Dabei geht es um eine individuelle Identität, das Ich, wie auch um eine kollektive Identität, das Wir. Vor allem Letzteres kann in Form der pluralen Demokratie ganz schön anstrengend sein, wie die deutsche Politologin Naika Foroutan einmal sagte: „Diese Anstrengung ist der Weg, der vor uns liegt. (…) Mit immer größer werdendem Bewusstsein treten immer mehr Gruppen auf den Plan, die (…) Gleichheit für sich einfordern.“
Identität „in progress“
Sowohl die individuelle als auch die kollektive Identität erscheinen endlos, als „work in progress“. Die Identitätsbildung ist dauerhaft unfertig, eine nie endende Baustelle. Auf die Theaterbühne bezogen: Das Leben ist eine (endlose) Probe. Eine Gesellschaft der „Vielheit“, wie es der Migrationsforscher Mark Terkessidis nennt, kann nur funktionieren, wenn viele Stimmen gehört werden und dabei unterschiedliche Menschen zusammenarbeiten. Und wiederum Foroutan sagt: „Wenn ich mich nicht benenne, bin ich nicht sichtbar. Dann kann ich auch nicht darauf aufmerksam machen, welche Diskriminierungsformen gerade meiner ethnischen oder religiösen Gruppe, meiner Herkunftsgruppe, widerfahren.“
Probencharakter hat auch die Inszenierung des Theaterstücks „PatrIdiot“ vom Tageblatt-Kulturjournalisten Jeff Schinker. Eine junge luxemburgische Schauspielerin, gespielt von Elena Spautz, erzählt auf ironische Art und Weise einer Musikerin, die auf einer Gitarre spielt, im Laufe der „Proben“ von unterschiedlichen Formen der Diskriminierung, die ihr im Alltag und ihrem bisherigen Leben begegnen. Es sind oft beiläufig ausgesprochene Vorurteile, von denen sie berichtet, diskriminierende Automatismen und rassistische Reflexe – nach Terkessidis‘ Worten eben die „Banalität des Rassismus“.
Die Schauspielerin spürt unterschiedlichen Narrativen nach und erzählt zum Beispiel von einem Onkel, dem Monni Fern, „einem avantgardistischen Rassisten, der Afrikaner und Araber hasste, noch bevor die Luxemburger wussten, was das war“. Dabei war er selbst Ausländer, aber anscheinend hat das keinem etwas ausgemacht – „wéi wann d’Grenz zur däitscher Säit duerch déi vill Miseler Wäindrauwe méi dréif wier“. Das Gegenbild zu Fern, schildert die Schauspielerin, die mit Mühe und auf verschiedene Weise versucht, sich ihr Kostüm überzustreifen, als sei es Teil ihrer Identität, könnte eine Tante sein, die „so tolerant war, dass sie auch Intoleranz tolerierte“. Und sie berichtet von einem Regisseur – hier tritt die #MeToo-Dimension in der Theaterwelt hinzu –, der ihr nur Rollen von Prostituierten oder Migrantinnen gibt – und ihr dabei manchmal zu tief ins Dekolleté schaut.
„Eise Rassismus ass cibléiert“
Es gibt nicht nur unterschiedliche Formen von Rassismus, „eng ganz räichhalteg Panoplie u Xenophobie“, sondern auch verschiedene Opfergruppen in Luxemburg, wo man nicht mehr oder weniger rassistisch ist als in anderen Ländern, vielleicht etwas subtiler: „Sie hassen Ausländer je nach Herkunft unterschiedlich“, seien es die Deutschen und Franzosen als Grenzgänger, Einwanderer wie Italiener und Portugiesen – oder die „anderen“ Ausländer. Dass sich der Rechtspopulismus hierzulande bisher eher versteckt zeigte und meistens nur in den sozialen Netzwerken aufschäumte, gehört mittlerweile der Vergangenheit an. Präsent war er schon immer, nur eben im Form eines strukturellen Rassismus, zum Beispiel im Schulsystem oder bei der Wohnungssuche, was sich angesichts der steigenden Armutsgefährdung größer werdender Teile der Gesellschaft inzwischen auch als „Klassismus“ zeigt. „Eise Rassismus ass cibléiert, informéiert, präzis“, heißt es, „hei gëss de fir dat gehaasst, wat s de bass. Oder wat mer ebe mengen, dass de wiers.“
In der Typologie der Ausländer kommen die Deutschen vor, mit dem die Luxemburger die Bundesliga und „versoffe Volleksfester“ verbinden, die Einwanderer wie Italiener und Portugiesen, die den Luxemburgern angeblich die Frauen und die Arbeit wegnehmen, schließlich die Grenzgänger, was dazu führe, „dass ee beim Bäcker seng Mëtsch an enger Friemsprooch muss bestellen“ – und schließlich die anderen aus Bosnien, Syrien, Ruanda, Nigeria und dem Kongo. Die Integration hierzulande verläuft demnach wie bei der Springprozession: „zwei Schritte nach vorn, drei zurück“.
Nun genießt das Stück verstärkt Aktualität, weil im Zuge des Rechtsrucks bei den jüngsten Wahlen die ADR gestärkt in die nächste Legislaturperiode geht und sich auch sonst noch rechte Spießgesellen im Wahlkampf tummelten. Es spielt im Jahr 2028, also nach den nächsten Parlamentswahlen, in deren Folge sich eine Koalition aus CSV und ADR bildet, die das Land regiert und die Ausweisung von Migranten bevorsteht. Um die Indoktrinierung der Massen voranzutreiben, wie es im Programmheft heißt, wird aus dem Theater ein Ort des „ideologischen Diskurses“. Und obwohl politischer Ungehorsam und Widerstand hart bestraft werden, hat sich eine Gruppe mutiger Bühnenkünstler zusammengetan.
Schinkers „PatrIdiot“ geht zurück auf das Stück „Bouneschlupp“ mit dem Untertitel „Zéng Figuren op der Sich no engem Heemechtsbegrëff“ – als Anspielung auf Pirandello liefert es eine ganze Typologie des Luxemburger Fremdenhasses. Ursprünglich war das Stück als Monolog konzipiert, bevor zu der bravourös aufspielenden Elena Spautz und der nicht minder überzeugenden Nora Zrika noch die Musikerin Priscilla Da Costa hinzukam, die ihr gelungenes Schauspieldebüt gibt. In der Inszenierung geht es weniger um die genaue Entwicklung einer Charakterfigur, sondern um ein Porträt der luxemburgischen Gesellschaft und auch um Kritik am Kulturbetrieb. Das Stück wirkt wie eine Probe nach dem Motto „Komm, versuchen wir es einmal“ oder „Probieren wir es morgen“. Die Figuren folgen einer unsichtbaren Regie ohne genaue Versuchsanordnung, spielen mit den Requisiten, wechseln zwischen den Sprachen, zwischen Luxemburgisch und Französisch, zwischen Satire und Ernst, das Ganze spielerisch arrangiert von der Regisseurin Corina Ostafi und der Bühnenbildnerin Veronika Bleffert. „Een Aarbechtstitel“ heißt der Untertitel und ist dabei Programm. Es gilt das Unvollendete, das Unfertige. Eine Arbeit, die man gerne verfolgt.
Im Kasemattentheater am 14., 19., 20. und 21. Oktober jeweils um 20 Uhr
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Ab 1933 hat die der damaligen rechtsextremistischen Bistumspartei „Rietspartei“ nahestehende päpstliche Zeitung „Luxemburger Wort“ die „Banalität des rassenhygienischen Rassismus“ nicht nur in Luxemburg popularisiert und radikalisiert.
MfG
Robert Hottua