Reportage / Der Tag, an dem die Filmwelt stillstand: So trifft das Virus die Industrie der bewegten Bilder
Nachdem das LuxFilmFest am drittletzten Festivaltag abgebrochen wurde und sich während dieses letzten aller kulturellen Großevents zahlreiche Akteure der hiesigen Filmindustrie mit dem Virus angesteckt hatten, lag auch die Luxemburger Filmlandschaft während Monaten brach. Die gute Nachricht: „Wenn alles klappt, werden wir Ende Juli wieder Filme drehen können“, so Guy Daleiden, Direktor des Film Fund. Wie ein Filmdreh in der Pandemie aussieht, welche Auswirkungen das Virus auf Produktionsfirmen, Schauspieler, Autoren und Requisiteure hat und welche Vergleiche man zur Pornoindustrie ziehen kann, lesen Sie in unserer Reportage.
„Vielleicht ist dies das Ende aller Superheldenfilme. Da Batman, Spiderman und Co. stets maskiert sind, wird man diese Streifen auch im Falle einer zweiten Welle drehen können. Das könnte dann zur totalen Übersättigung führen – es gibt eh schon zu viele Superheldenfilme –, oder unsere Faszination für diese Streifen würde jetzt, wo wir alle zu Maskenträgern geworden sind, abschwellen.“
Regisseur Jacques Molitor empfängt mich in seiner neuen Wohnung an der Route d’Arlon. Zum Zeitpunkt unseres Gesprächs war es noch unklar, ob Schauspieler in naher Zukunft wieder unter normalen Bedingungen drehen können würden – im Rahmen des Pandemiegesetzes wurde aber am Montag entschieden, dass Körperkontakt im Kulturgewerbe für Theater- und Filmschauspieler sowie für Profitänzer – womit wohl der zugedröhnte Hobbytänzer im „Gudde Wëllen“ ausgeschlossen werden soll – wieder erlaubt ist.
Vor einer zweiten Welle ist aber kein Land gefeit – weswegen Jacques Molitor annimmt, dass es in Zukunft verstärkt Animationsfilme, Huis Clos mit wenigen Schauspielern oder Dokumentarfilme, bei denen das Maskentragen natürlicher als in einer Fiktion ist, geben wird. Die Hollywood-Industrie könne zwar mit Special Effects, virtuellen Schauspielern, Face Replacement und all möglichem technischen Schnickschnack die Auswirkungen der Pandemie auf die Filmindustrie verbergen – doch die Kluft zwischen den riesigen Produktionen und dem Indie-Kino könnte so noch größer werden.
Drehbuchautorin und Filmkritikerin Amélie Vrla schätzt die Lage ähnlich ein: „Das Virus wirkt wie ein Zensor. Wie soll man eine Feier-, eine Liebes-, eine Sexszene drehen? In all diesen Situationen ist der Nahkontakt sehr wichtig – zeitgleich ist aber die Distanz die ultimative und letztlich einzige Sicherheitsmaßnahme.“ Denn auch wenn der Körperkontakt für Schauspieler wieder erlaubt ist und der Filmdreh der Zukunft von häufigen Tests getaktet wird – es reicht, dass jemand sich irgendwo außerhalb des Drehsets infiziert, um ein Projekt zu gefährden.
„Produzenten sind zurzeit auf der Suche nach Geschichten mit weniger Figuren, ohne Statisten. Eine Serie mit vielen Figuren wird schwierig, da man nicht weiß, ab wann es wieder möglich sein wird, ein solches Projekt gefahrenlos umzusetzen. Vielleicht ist es deswegen eine gute Zeit, Geld in die Entwicklung zu stecken – man sollte schon jetzt die Autoren unterstützen, die heute die Geschichten schreiben, die morgen erst wieder gedreht werden können.“
Kondome und Masken
„Im Allgemeinen kann ich mir nicht vorstellen, dass es viele Filme mit Covid-Inhalt geben wird“, schätzt Jacques Molitor. „Die Menschen haben sich im Lockdown lange genug mit der Situation auseinandergesetzt – und möchten im Kino (wohl) nicht unbedingt daran erinnert werden. Ich denke, man soll jetzt vielmehr einen Nutzen aus den Sachen ziehen, die möglich sind, als ständig zu verbergen, was nicht mehr möglich ist. Ein bisschen erinnert es mich an die Pornoindustrie in den 80ern. Weil man sich zu Beginn nicht im Klaren war, wie sich HIV überträgt, wurde heftig über Live-Küsse diskutiert. Und so wie wir jetzt vielleicht Masken in die Filmsprache einbauen müssen, so wurden damals eben auch Kondome in die Filmwelt übertragen. Wieso in einem Porno, der im Mittelalter spielt, plötzlich jemand ein Gummi rauskramt, war schwer legitimierbar – und das, obschon Menschen, die sich Pornos ansehen, meist eine größere Toleranz für Ungereimtheiten und Handlungslöcher aufweisen.“
Während des Gesprächs trägt Jacques Molitor eine Maske – und sieht damit weniger wie ein Superheld, sondern vielmehr wie ein stylisher Bankräuber aus. Zum Banditen musste noch niemand in der Filmindustrie werden, die Krise konnte bisher, wie es die meisten unserer Gesprächspartner verdeutlichen, dank der schnellen und flexiblen Reaktion des Kulturministeriums und des Film Fund zumindest auf finanzieller Ebene erstaunlich gut überbrückt werden – was aber auch daran liegen könnte, dass die Entstehung von Filmen und Serien eh einem zähen Prozess unterliegt, bei dem ein Stopp oder eine Verspätung von zwei Monaten nicht außergewöhnlich ist.
„Die Serie ‚Coyotes‘, an der ich gerade arbeite, hatte sich eh etwas verspätet“, so Jacques Molitor. „Während des Lockdowns konnten wir uns so auf die Finalisierung des Drehbuchs konzentrieren. Oft bereitet man vor dem Film- oder Seriendreh zig Sachen gleichzeitig vor, man kümmert sich um Casting, Finanzierung und das Drehbuch. Hier konnten wir uns auf ein einziges Element – das Schreiben – konzentrieren. Mit dem Casting kamen wir allerdings nicht schnell voran, weil wir in einer Erstauswahl nur Videos geschickt bekamen und bis Ende Mai warten mussten, bevor es zu einem physischen Callback in Brüssel kommen konnte. Eine Casting-Verspätung zieht aber auch eine Verspätung in den Finanzierungsanfragen mit sich. Zudem wurde erst Anfang Juni darüber abgestimmt, dass das Projekt trotz der Pandemie durchgezogen wird. Die Wartezeit dazwischen musste ich quasi ohne Einkommen überbrücken.“
Kreativ, aber arm?
Requisiteur Manu Poupard redet von einer willkommenen und fast ungewohnten Freiheitssituation: „Seit 24 Jahren arbeite ich an zwei bis drei Filmen jährlich. Während des Lockdowns durfte ich endlich mal zwei Monate ungestört zu Hause werkeln und mich um meine Familie kümmern. Da die meisten meiner Projekte Mitte Juli oder im August stattfinden werden, war die Pandemie für mich ohnehin eine Zeit der Arbeitslosigkeit. Und weil die ADEM mir via Teilzeitarbeit unter die Arme griff, gab es für mich auch keine finanziellen Konsequenzen. Anderen erging es allerdings weniger gut: Ich weiß von Arbeitskollegen, die ausschließlich für den Film arbeitende Deko-, Requisiten- und Möbelverleihfirmen betreiben, denen man die staatliche Hilfe für unabhängige Unternehmer mit der Begründung, es hätte für sie während des Lockdowns keine Einbußen in den Aufträgen gegeben, abgelehnt hat. Diejenigen, denen es dennoch gelang, eine Hilfe zu bekommen, fanden die Summe unzureichend.“
Autorin und Regisseurin Lucia Valverde war glücklich, sich auf ihr Drehbuch fokussieren zu können und festzustellen, dass sie zwar im Alltag stets in einer (finanziellen) Unsicherheit, dafür aber auch in einer einhergehenden Unabhängigkeit lebt. „Für diejenigen, die im letzten, für den Sektor sehr schwierigen Jahr nicht ausreichend Arbeitsstunden aufzeigen konnten, folglich ohne ‚Intermittence‘ und jetzt wegen der Pandemie auch ohne veritable Zukunftsaussichten dastehen, gestaltet sich die Situation sehr schwierig.“
Finanziell wurde den ‚Intermittents‘ schnell geholfen – man erinnere sich an die Rettungsmaßnahmen des Kulturministeriums. Aber vergleicht man, wie viel ein Schauspieler oder ein Techniker am Set verdient, mit dem, was er bekommt, wenn er nicht arbeiten kann, ergibt sich eine relativ große Kluft. „Wenn ein Schauspieler an einem Drehtag 1.000 oder 1.500 Euro verdient, dann sind es in der ‚Intermittence‘ plötzlich nur mehr 120 Euro täglich. Klar: In den Gagen für einen Drehtag sind die Proben, das vorhergehende Casting ebenso wie die Kostüm- und Maskenproben beinhaltet, sodass in jedem bezahlten Drehtag weitere Arbeitstage inkludiert sind – doch wer die Rechnung macht, sieht, dass ein großer Unterschied entsteht“, erklärt Regisseurin und Produzentin Bady Minck.
Amélie Vrla empfand die Situation anfangs auf allen Ebenen als beklemmend. „Da ich aber viel mit Ko-Autorinnen arbeite, die auch Freundinnen sind, gab es einen regen Austausch, der es uns erlaubt hat, über Distanz zu arbeiten. Die Schreibresidenzen und -Ateliers konnten wir online durchführen und darüber hinaus mit Szenaristen arbeiten. Schön war, dass ich mich ohne Ablenkung und über längere Zeit auf das Schreiben fokussieren konnte – dieses Gleichgewicht ist etwas, was ich sehr gerne in die Zeit nach der Pandemie importieren würde. Der Schwerpunkt soll nicht stets auf Aufträgen liegen, die es erlauben, Geld zu erwirtschaften, sondern auf der Entwicklung von Projekten, deren Anreiz vielleicht mehr auf kreativer als auf finanzieller Ebene liegt. Was natürlich umso schwieriger ist, da der momentane Drehstopp dazu beiträgt, dass es weniger Aufträge wie beispielsweise Übersetzungen, Untertitelung gibt, die es mir erlauben, zu überleben.“
Der Ausnahmezustand als neue Normalität?
In einer Industrie, deren Akteure auch im Normalfall mit Unsicherheiten zu leben gelernt haben, geht man teilweise gelassener mit der Krisensituation um. „Der Kinoindustrie ist es stets gelungen, Krisen zu bewältigen. Die Menschen, die für das Kino arbeiten, tun es fast alle aus Leidenschaft und werden Wege finden, um sich an die neuen Einschränkungen anzupassen. Wir sind es gewohnt, manchmal auf sensiblen Plätzen und mit einem strengen Regelwerk zu drehen – nun wird es wohl für jeden einzelnen Filmdreh kompliziert werden“, meint Manu Poupard, der sich bereits jetzt vorstellt, wie schwierig sich eine Essensszene gestalten wird – hier müssen die Requisiten wohl ständig geputzt und desinfiziert werden.
Die Produktionsfirmen sind derzeit stark angeschlagen – und da sie nicht drehen dürfen, bleiben Schauspieler, Techniker, Regisseure arbeitslos. Das beste Beispiel hierfür gibt die luxemburgische Produktionsfirma „Amour fou“ ab. „Mit ‚Yalda‘ von Massoud Bakhshi hatten wir Sundance gewonnen. Das passiert einem nicht jeden Tag. Der Film sollte im Rahmen der Abschlussfeier des LuxFilmFest hierzulande Premiere feiern. Massoud war im Zug von Paris nach Luxemburg, als angekündigt wurde, dass das Festival gestoppt wird. Da er zwischen der Berlinale (auf der das Tageblatt den Film gesehen und rezensiert hat, Anm. der Red.) und dem LuxFilmFest noch auf ein Filmfestival in Genf sollte, dieses Festival aber schon sehr früh abgesagt wurde, ist Massoud, statt in den Iran weiterzureisen, vorübergehend in Europa geblieben“, so Bady Minck.
Histoire (d’un tournage) provisoire
Immerhin konnte die Premiere eines weiteren „Amour-fou“-Films, der israelischen Koproduktion „Red Fields“, im Laufe des Festivals stattfinden. „Solche Festivals sind natürlich überaus wichtig, weil es den Filmen eine Sichtbarkeit gibt“, erklärt Guy Daleiden, Direktor vom Film Fund. Dadurch, dass ein Film in die Auswahl eines Festivals kommt und eventuell auch noch einen Preis einheimst – man erinnere sich an „Fire Will Come“ (Tarantula), der bei der „Un certain regard“-Auswahl den Prix du Jury bekam –, ist dem Streifen ein Platz in den Kinos und eine größere Sichtbarkeit gesichert.
„Dazu kommt, dass wir auf den verschiedenen Festivalmärkten immer einen Stand haben. In Cannes sind stets einige 100 Luxemburger vor Ort. Festivals wurden jetzt virtuell aufgezogen, und via Zoom kann man auch Versammlungen abhalten. Während des Markts in Galway gab es Versammlungen, im Laufe derer man mir Filme gepitcht hat. Aber wenn du mit jemandem am Tisch sitzt und dein Gegenüber dir Bilder und Skizzen zeigen kann – das ist einfach was ganz anderes. Unser Sektor lebt von menschlichen Beziehungen. Wenn du dein Brot im Cactus kaufst, ist es dir unterm Schnitt gleich, ob die Bedienung freundlich war oder nicht. Aber wenn du drei Jahre lang mit jemandem an einem Filmprojekt arbeitest, ist es wesentlich, dass man miteinander klarkommt. Deswegen sind die menschlichen Begegnungen auf Festivals unersetzlich – und da ist eine Zoom-Sitzung ein etwas schaler Ersatz.“
Für die Festivalpremiere von „Red Fields“ war die Regisseurin nicht vor Ort, weil sie beim Kinostart in Israel war. Der Kameramann konnte noch vor der Grenzschließung ausreisen – neben der Premiere hatte „Amour fou“ ihn auch für den Dreh von „Histoire provisoire“ (von Romed Wyder), der am 23. März starten sollte, nach Luxemburg geholt. „Als am Freitag, dem 13. März das LuxFilmFest abgeblasen wurde, wurde uns plötzlich klar: Dieser Dreh wird nicht stattfinden“, so Alexander Dumreicher-Ivanceanu. Dabei war nicht nur das ganze Team startbereit, sondern auch die Wohnung, in der der Film spielen wird, gemietet und fertig ausgestattet. „Wir waren die erste luxemburgische Produktionsfirma, die vor dem Abbruch eines integral in die Wege geleiteten Filmdrehs stand. Noch am selben Tag redeten wir mit dem Film Fund und unseren Schweizer Partnern – und entschieden uns, den Dreh zu verschieben.“ Une histoire devenue très provisoire, donc.
When all hell breaks loose
Danach ging alles sehr schnell. „Am selben ominösen Freitag ging eine unserer Mitarbeiterinnen, die sich fiebrig fühlte, früher nach Hause. Schnell stellte sich heraus, dass sie sich mit dem Virus infiziert hatte“, erklärt Dumreicher-Ivanceanu. „Angesteckt hat sie sich ihrer Meinung nach auf der Premierenfeier des Films ‚Collective‘ – ein von Samsa produzierter, sehr starker Dokumentarfilm, der ironischerweise über die Ausbreitung von Viren in rumänischen Krankenhäusern handelt“, ergänzt Bady Minck. Hier habe sich ein Großteil der Luxemburger Filmszene angesteckt. Das Resultat: Das Team um Samsa und eine Mitarbeiterin von „Amour fou“ hatten sich infiziert, etwas später kamen drei Angestellte des Filmfund hinzu – der Filmsektor begab sich in Selbstisolation. Eine Corona-Party avant l’heure, wenn man so will. Der zweite „Amour fou“-Filmdreh – „Passfälscher“ von Maggie Peren –, der ab April stattfinden sollte, wurde dann ebenfalls abgesagt und auf 2021 verschoben.
„Fortan ging es uns darum, das Team von ‚Histoire provisoire‘ finanziell abzusichern – wir haben Tag und Nacht gearbeitet, mit dem Kulturministerium, der ADEM und dem Film Fund geredet, weil es unklar war, ob ein Teilzeitarbeitsvertrag in der Filmbranche das „Chômage partiel“-Regime nutzen könne. Es war administrative Schwerstarbeit, wir haben kaum geschlafen – und verdanken den Erfolg unserer Behördengänge auch der Flexibilität der Film-Fund-Angestellten, die trotz Corona-Infektionen weiterarbeiteten und sich für uns einsetzten.“ Bady Minck und Alexander Dumreicher-Ivanceanu sind einerseits dankbar, andererseits ist der Frust auch groß: Die beiden haben sich drei Jahre lang auf das Jahr 2020, in dem sie ganze vier Filme drehen sollten, vorbereitet.
„Alles war ganz genau getaktet, bis ins letzte Detail vorbereitet, damit das Timing aufgeht. Und nur ein einziger Drehtermin – von „Himbeeren mit Senf“ (Regie: Ruth Olshan) – ist wie geplant bestehen geblieben. Momentan investieren wir all unsere Energie darauf, dass so schnell wie möglich wieder gedreht werden kann.
Filmdreh mit Virus
Unter welchen Umständen das wieder möglich sein wird – genau das ist der Inhalt eines Corona-Protokolls, den die ULPA („Union luxembourgeoise de la production audiovisuelle“), die ALTA („Association des techniciens de l’audiovisuel“), LARS („Association luxembourgeoise des réalisateurs et scénaristes“) und Actors.lu (der Name ist selbsterklärend) in Zusammenarbeit mit dem Film Fund und dem Gesundheitsministerium ausgearbeitet haben.
Neben den üblichen Maßnahmen wie Sicherheitsabstand, Masken, Händewaschen und regelmäßigem Desinfizieren soll auch ein Corona-Beauftragter vor Ort sein, der dafür sorgt, dass die Regeln eingehalten werden. Der Corona-Beauftragte wird allerdings nicht aus dem Gesundheitswesen rekrutiert – es sei wesentlich, jemanden vor Ort zu haben, der den Ablauf eines Filmdrehs gut kennt. Das Catering wird gestaffelt ablaufen, das Gleiche gilt für den Transport des Teams.
Im Zentrum des Corona-Protokolls, das sich laut Alexander Dumreicher-Ivanceanu teilweise am österreichischen „Comeback-Security-Concept“ orientiert, steht das regelmäßige Testen: Jedes Mitglied des Drehteams wird zweimal pro Woche getestet. „In Österreich wird seit gut zwei Wochen wieder gedreht. Und bisher verläuft dort eigentlich alles sehr gut“, so Dumreicher-Ivanceanu.
Luc (Capitani) Schiltz (actors.lu), der im „Amour-fou“-Kinderfilm den Vater geben soll, warnt: „Wenn die Sicherheitsmaßnahmen übertrieben sind, dann läuft es wohl nur darauf hinaus, dass wir haufenweise Überstunden machen – und das wird die Qualität unserer Arbeit beeinträchtigen. Wenn man sich mittlerweile ohne Maske zu 20 zu Hause treffen darf und zu zehnt an einem Tisch – dann wirkt es doch geradezu absurd, einem zu verbieten, zu 40 ohne Maske am Filmset zu arbeiten.“
Testen, desinfizieren, testen, desinfizieren – draufzahlen
„Diese Protokolle mögen durchaus streng wirken – und sie sind es auch“, urteilt hingegen Guy Daleiden. „Aber die Gefahr ist einfach zu groß. Wenn wir nur einen einzigen Fall während eines Drehs haben – dann war’s das. Ich denke da an die momentanen Sicherheitsmaßnahmen bei der Bundesliga. Da siehst du auch Menschen, die sehr weit auseinandersitzen – und trotzdem eine Maske tragen. Das mag lächerlich wirken – aber bedenkt man, wie schlimm die Konsequenzen einer Infizierung sind, finde ich das durchaus legitim.“
All dies sorgt natürlich für Verzögerungen – Catering und Transporte werden mehr Zeit in Anspruch nehmen, am Drehort wird ständig geputzt und desinfiziert, sodass mit Überstunden und/oder mehr Drehtagen zu rechnen sein wird. „Es wird überall Unkosten geben“, so Guy Daleiden. „Wenn pro Schauspieler ein Pinsel zum Schminken benutzt werden muss, da, wo man früher einen Pinsel mehrmals verwenden konnte, sind das vielleicht Unkosten, die anfangs gering wirken. Auf die verschiedenen Bereiche, die Anzahl der Schauspieler und die Drehtage gerechnet häuft sich dies allerdings schnell. Man braucht vor dem Dreh eine Stunde länger für die Vorbereitungen, abends kann man auch mit einer zusätzlichen Stunde rechnen – und wer mehr Drehtage sagt, sagt auch mehr Catering, mehr Stundenlöhne, mehr Nächte in Hotels. Bei einer internationalen Produktion kannst du pro arbeitender Person zwischen 50 und 100 Euro täglich hinzurechnen. Wenn 100 Leute am Set sind, ist die Rechnung schnell gemacht.“
Der Film Fund hat sich entschieden, nicht nur diese künftigen Unkosten, sondern auch die sogenannten „Stranded Costs“ (beispielsweise für bereits gemietete und fertig ausgestattete Drehorte) bei gestoppten Projekten zu übernehmen. Da aber das Budget des Funds (zumindest momentan) nicht erhöht wird, können künftig weniger Projekte finanziert werden – und weniger Menschen in der Branche Arbeit finden. „Die Situation ist unangenehm – zumal zurzeit kaum Filme gezeigt werden. Das ist umso schlimmer, da es ein wahres Interesse an (den) luxemburgischen Produktionen gibt“, schlussfolgert Guy Daleiden.
„Es gibt noch Unsicherheiten“, so Alexander Dumreicher-Ivanceanu. „Im Falle eines erneuten Lockdowns oder einer Infektion am Set ist es wesentlich, dass das ganze Team in Teilzeitarbeit gehen kann – und nicht nur, wie in anderen Branchen, 25 Prozent der Angestellten. Bei uns ist es wie bei der Event-Organisation und im Tourismus: It’s everyone or no one. Dazu gesellt sich das Problem der Versicherungen, die im Fall von Pandemien – das wurde damals beim Ausbruch des SARS-Virus vor 15 Jahren so festgelegt – nicht aufkommen. Wenn alles gut läuft, wenn die Ampeln auf Grün stehen und wir auch für den Fall eines zweiten Lockdowns abgesichert sind, dann wird ‚Histoire provisoire‘ wohl einer der ersten luxemburgischen Filme sein, der in der Pandemie gedreht worden ist – und wir hoffen, dass ihm viele folgen werden.“ Fair wäre es auf jeden Fall – und symbolisch noch dazu: Dem Filmdreh wurde am Freitag, dem 13. März – an dem Tag, ab dem die Filmwelt stillstand – das Handwerk gelegt.
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