Editorial / Der toxische Einfluss von X: Wie Musks Vision die Gesellschaft weiter spaltet
Noch vor wenigen Jahren war ein Twitter-Account ein Must-have für jeden Journalisten. Immerhin kommunizierte fast jeder über die Plattform. Es war das ultimative Kommunikationstool. Stieg plötzlich ein Suchbegriff oder Schlagwort in den Trendzahlen, dann wusste man gleich: Da ist wohl etwas passiert.
So groß das Potenzial der Plattform auch ist, so dunkel sind seine Schattenseiten. Trolle und Hater nutzten Twitter von Anfang an, um andere ins Visier zu nehmen. Nach diskriminierenden Aussagen musste man nicht lange suchen, um welche zu finden. Je nachdem, wen man „abonniert“ hatte, war man in seinen jeweiligen Blasen gefangen und auf maximal 140 (heute 280) Zeichen reduzierte Statements sind sicher nicht so komplett und nuanciert, wie es manche Themen verlangen.
Doch zumindest wurde versucht, gegenzusteuern. Etwa durch die Möglichkeit, andere Nutzer zu blocken und so deren Content nicht mehr im eigenen Feed zu sehen. Oder durch das Sperren der Konten durch die Moderatoren von Twitter selbst, wenn sich Nutzer nicht an die Gemeinschaftsregeln hielten. So wurden Störenfriede, die andere anpöbelten, beleidigten und bedrohten oder Hass befeuerten, vor die Tür gesetzt.
Mit seiner Philosophie der „absoluten Meinungsfreiheit“ hat Musk die Türen des Konferenzraums wieder weit aufgerissen und die Trolle, Extremisten und Verschwörungstheoretiker „X-en“ sich seither wieder die Seele aus dem Leib. Der Algorithmus tut dazu sein Bestes, um den Blutdruck seiner Nutzer hoch zu halten – Kontroversen und Hass befördern bekanntlich die Interaktionszahlen. Der Keil, der in die Gesellschaft getrieben wird, hat mittlerweile einen riesigen Graben verursacht, der Freunde, Familie und Arbeitskollegen scheinbar unwiederbringlich voneinander trennt. Kein Wunder, dass immer mehr Menschen, die ihre eigenen Nerven schonen möchten und über einen gesunden Menschenverstand verfügen, die Plattform verlassen.
Doch sich von diesem und anderen sozialen Medien zu entfernen, ist gar nicht so einfach. Auch weil immer noch viele Personen des öffentlichen Lebens X und andere Plattformen nutzen, um ihre Ansichten zu kommunizieren. Man muss also „dabei sein“, um auf dem Laufenden zu bleiben. Beispielsweise um zu erfahren, dass künftig Christophe Hansen Luxemburg als EU-Kommissar vertreten soll. Das kündigte Premierminister Luc Frieden nämlich zunächst nur über X an. Eine Unsitte, die sich in den letzten Jahren in Luxemburger Regierungskreisen so eingebürgert hat.
Dabei wird von Frieden und seinen Kollegen vergessen, dass sie schon allein dadurch die umstrittenen Unternehmen unterstützen, selbst wenn sie sich von Aussagen und Machenschaften von Musk, Zuckerberg und Co. distanzieren. Denn ihren Erfolg messen die Plattformen immer noch in Nutzerzahlen und Klicks. Die auch durch Tweets der Regierung entstehen. „X powered by your local government“ also.
Ganz problematisch wird das, wenn dann den „Techbros“ an der Spitze der sozialen Unternehmen ihre eigene Macht zu Kopf steigt. Das scheint insbesondere bei Elon Musk derzeit der Fall. Obwohl er „absolute Meinungsfreiheit“ predigt und „Zensur“ schreit, wenn ein Gericht in Brasilien seine Plattform sperrt, weil sich Musk stur weigert, sich an die Regeln zu halten, kommt es immer wieder vor, dass Musk-kritischen Journalisten ohne Begründung die Accounts gesperrt werden.
Inzwischen unterstützt Musk Trump im US-Wahlkampf und beide liebäugeln sogar mit einer Regierungsposition für den Tesla-Unternehmer. Dabei argumentierte dieser in der Vergangenheit, dass X „eine zentristische Plattform ohne politische Tendenzen“ sei. Daraus ist nun ein Sumpf der Desinformation, der Verschwörungstheorien und der Dauerhetze geworden.
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