Hintergrund / Der Unternehmer Prigoschin und seine Wagner-Gruppe
Sie sind berüchtigt für ihre Skrupellosigkeit – nicht nur gegenüber dem Feind, sondern auch gegenüber der Zivilbevölkerung und sogar den eigenen Leuten: die Söldner des russischen Militärunternehmens Wagner. In der Ukraine kämpften sie bislang Seite an Seite mit der russischen Armee – hohe Verluste wurden in Kauf genommen. Wie viele Söldner im Einsatz sind, ist nicht genau bekannt. Die US-Regierung schätzt ihre Zahl auf 50.000 und hat Sanktionen gegen die als „bedeutende transnationale kriminelle Organisation“ eingestufte Gruppe verhängt.
Die russische Regierung, die lange öffentlich Distanz zur Wagner-Gruppe wahrte, warf den USA bislang vor, sie grundlos zu verteufeln. Ihr Gründer und Chef, der Unternehmer Jewgeni Prigoschin, räumte erst im September erstmals öffentlich ein, mit der Wagner-Gruppe überhaupt etwas zu tun zu haben. Nach seinen Angaben gründete er sie 2014. Sie sei weit mehr als eine Söldner-Truppe, hat er erklärt. Schon vor der jüngsten Entwicklung mehrten sich Anzeichen, dass die Regierung ihren Einfluss eindämmen wollte.
Prigoschin ist ein reicher russischer Geschäftsmann, dem Nähe zu Präsident Wladimir Putin nachgesagt wurde. „Putins Koch“ wird er oft genannt, weil er einst ein Restaurant in St. Petersburg betrieb, in dem Putin zu speisen pflegte. Ihn darauf zu reduzieren, hieße, ihn zu unterschätzen. Mancher Kommentator hielt Prigoschin bislang gar für den künftigen Verteidigungsminister. Dabei war immer fraglich, ob Putin wirklich seinen langjährigen Minister Sergej Schoigu verstoßen hätte – zumal erst Mitte Januar mit Generalstabschef Waleri Gerassimow ein enger Schoigu-Vertrauter Oberbefehlshaber des Ukraine-Einsatzes wurde.
Es blieb immer unklar, wie viel Einfluss Prigoschin tatsächlich in Putins Entourage hatte. Aber er scheute in der Vergangenheit nicht davor zurück, sich mit dem Militär und dem Verteidigungsministerium anzulegen. Mitte Januar verkündete er, seine Männer hätten Soledar eingenommen – jene Kleinstadt in der Nähe von Bachmut im Osten der Ukraine, die für ihre riesigen Salz-Vorkommen bekannt ist. Zwar lobte das Präsidialamt die „heldenhaften selbstlosen Taten“ der Kämpfer in Soledar, doch das Verteidigungsministerium schrieb den Sieg den eigenen Truppen zu. Prigoschin beschwerte sich wütend, russische Angestellte zollten seinen Einheiten nicht genügend Respekt. Nur Stunden später reagierte das Ministerium mit einer „klärenden Stellungnahme“, in der es anerkannte, dass Wagner-Kämpfer mit ihren „mutigen Taten“ Soledar erobert hätten. Prompt verlieh Prigoschin seinen Kämpfern Medaillen zum Gedenken an die „Eroberung von Soledar“.
Regierung beschneidet Prigoschins Einfluss
Dafür erntete Prigoschin auch Spott. Igor Girkin, ein Nationalist und ehemaliger Geheimdienst-Mitarbeiter, der bei der Entfesselung des Krieges im Donbass 2014 mitwirkte, warf Prigoschin vor, leichtfertig mit dem Leben seiner Männer umzugehen. Girkin machte sich darüber lustig, dass Prigoschin Medaillen für die Eroberung eines „großen Dorfes“ verleihe. Zudem sei Gerassimow eine Bedrohung für Prigoschin, denn er werde jeden Widerstand gegen Schoigu unterbinden. Falls Putin nicht zu seinen Gunsten interveniere, werde „Prigoschin sowohl aus der politischen als auch der militärischen Arena geworfen“.
Die Politiker wollten Prigoschin nicht in die Politik lassen, sagte dazu Sergej Markow, ein früherer Berater der Regierung, der dieser noch immer nahesteht. „Sie haben ein bisschen Angst vor ihm und halten ihn für unbequem.“ Prigoschins Sturz stehe zwar nicht unmittelbar bevor, schrieb damals die Russland-Kennerin Tatiana Stanowaja in einem Artikel für Carnegie Endowment for International Peace. Seine Verbindungen zum Präsidialamt hätten jedoch begonnen zu bröckeln. Den Politikern behage Prigoschins Drohung, eine eigene Partei zu gründen, gar nicht.
Markow zufolge lenkte Prigoschin ein – auf entsprechenden Druck. „Die Botschaft lautet: Wir werden dir militärische Mittel zur Verfügung stellen, aber mische dich vorerst nicht in die Politik ein“, sagte Markow. Prigoschin selbst versicherte damals in einem Interview, er kritisiere niemanden und hege keinerlei politische Ambitionen. Wenige Tage vor dem Jahrestag des Kriegsbeginns aber ging er erneut auf Konfrontationskurs: Er warf Schoigu und Gerassimow vor, seinen Kämpfern Munition entzogen zu haben. Sie hätte versucht, Wagner zu zerstören. „Das kommt Hochverrat gleich.“
Spekuliert worden war, dass Prigoschin der Zugriff auf den lukrativen Salzbergbau in Soledar und den Gipsabbau bei Bachmut locken könnte – sofern die Gebiete unter russischer Kontrolle stehen. Nach russischen Angaben hat die Wagner-Gruppe bereits Militär- und Bergbauverträge in Afrika – da würde Soledar passen. Prigoschin besitzt zudem ein riesiges Catering-Unternehmen, das staatliche Einrichtungen versorgt, außerdem Medienunternehmen und sogenannte „Trollfabriken“ zur Beeinflussung sozialer Medien. „Im Wesentlichen ist er ein privater Geschäftsmann, der stark davon abhängig ist, wie seine Beziehungen zu den Behörden strukturiert sind“, sagte Stanowaja, Gründerin des Analyseunternehmens R.Politik. Sie schätzte seine Position damals als „sehr verletzlich“ ein.
Rekrutierung in Gefängnissen
Putin hatte wiederholt erklärt, die Wagner-Gruppe vertrete nicht den Staat. Sie verstoße aber nicht gegen russische Gesetze und habe das Recht, überall auf der Welt zu arbeiten und ihre Geschäftsinteressen zu fördern. Das tat die Wagner-Gruppe bereits in Syrien, Mali, Libyen und der Zentralafrikanischen Republik, wo die Söldner bei der Niederschlagung von Aufständen eingesetzt werden.
Ursprünglich bestand die Wagner-Truppe aus Veteranen der russischen Streitkräfte. Die Regierung hatte Prigoschin erlaubt, Strafgefangene zu rekrutieren und sie in Panzern, Flugzeugen und Raketenabwehrsystemen einzusetzen – Straffreiheit gegen Kriegsdienst. Später nahm das Verteidigungsministerium einer Gefangenenrechtsorganisation zufolge die Rekrutierung aber selbst vor. Nach US-Schätzungen folgten der Werbung rund 40.000 Männer, die teils wegen Schwerverbrechen verurteilt waren. Anfang Januar wurden die ersten nach ihrem sechsmonatigen Einsatz auf freien Fuß gesetzt. „Trinkt nicht zu viel, nehmt keine Drogen und vergewaltigt keine Frauen“, gab Prigoschin ihnen mit auf den Weg.
Wie viele der rekrutierten Sträflinge den Krieg überlebt haben, weiß niemand. Ukrainischen Beobachtern zufolge sind sie oft schlecht ausgebildet und werden rasch an die Front geschickt – als Kanonenfutter. Dass die Wagner-Truppe rücksichtslos gegenüber den eigenen Leuten ist, könnte ein 2022 veröffentlichtes Video zeigen. Darin ist mutmaßlich zu sehen, wie ein abtrünniger Söldner mit einem Vorschlaghammer getötet wird.
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