Karriere / Der Weg vom entschlossenen Mädchen in Luxemburg zur 24-jährigen Gründerin in New York
„Eine Frau, die ihre Arbeits- und Lebensumstände selbst in die Hand nimmt. Jemand, der seinen Wert kennt und sich nicht mit weniger zufriedengibt. Empowernd und inspirierend für ihr Umfeld“, so definiert „Urban Dictionary“ das Wort „Girlboss“. Eine Definition, die zu Liz Breuer passt wie die Faust aufs Auge. Nach ihrem Abschluss ist die damals 19-Jährige alleine nach New York gezogen, hat dort eine der renommiertesten Fashion-Universitäten der Welt besucht, gleichermaßen bereichernde wie erniedrigende Praktika in großen Modefirmen absolviert, um sich heute, mit 24 Jahren – mitten in der Corona-Krise –, selbstständig zu machen.
Die Faszination für Amerika wurde Liz Breuer quasi in die Wiege gelegt. Sie kommt am 31. März 1996 in Luxemburg als Tochter von zwei Luxemburgern zur Welt. Im Alter von zwei Jahren zieht sie mit ihren Eltern in die Nähe von San Francisco, nach Foster City. Damals bekommt ihr Vater, Alain Breuer, die Möglichkeit, dort eine Position der luxemburgischen Frachtluftgesellschaft Cargolux zu übernehmen.
„Diese Zeit hat definitiv irgendetwas in mir geprägt“, sagt Liz Breuer im Skype-Interview gegenüber dem Tageblatt. Während sie in Manhattan gerade in den Tag startet, ist es in Luxemburg bereits später Nachmittag. Die Situation in den USA ist immer noch sehr angespannt, weshalb Liz im Home-Office arbeitet. Um sie herum stehen Kisten. „Ich bin gerade erst umgezogen“, sagt sie.
Besondere Energie
Nicht nur die knappen drei Jahre an der Westküste, sondern auch die zahlreichen Reisen in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten haben ihr die USA und deren Kultur nahe gebracht. „Meine Vorliebe für Amerika hat wohl etwas auf meine Tochter abgefärbt“, sagt ihr Vater Alain Breuer. Er schwärmt davon, wie sehr sich das Licht und die Energie dort von der in Luxemburg unterscheidet. Danach sehne er sich immer wieder – auch jetzt, da er seine Tochter wegen des Virus nicht besuchen kann.
2000 ziehen Mutter, Vater und Tochter zurück nach Luxemburg. Kurze Zeit später kommt Liz’ kleiner Bruder Eric zur Welt. Liz absolviert ihre schulische Laufbahn, vom Kindergarten bis zum Lyzeum, im Großherzogtum. „Ich hatte immer schon das Gefühl, dass ich mehr suche, als Luxemburg mir zu bieten hat – und dass ich weit weg will“, sagt sie. In Amerika gefallen ihr die Menschen, ihre Offenheit, ihre Mentalität und das Multikulturelle. Sie ist erst zehn, als sie davon spricht, irgendwann in den USA leben zu wollen.
Nur zwei Jahre später fasst das zielstrebige Mädchen den zweiten, folgenschweren Entschluss. „Ich wusste, dass ich etwas mit Mode machen will.“ Nachdem sie feststellt, dass Design aufgrund ihres eher bescheidenen künstlerischen Talents keine Option ist, beschließt sie, sich auf das Business hinter der Modeindustrie zu konzentrieren. Ihr Vater bringt ihr von einer seiner Geschäftsreisen einen Flyer des „Fashion Institute of Technology“, kurz FIT, aus New York mit und für Liz, die damals gerade einmal auf 7e ist, steht fest: „Das muss es sein.“ Sie hat ein Ziel und will alles dafür tun, um dieses zu erreichen.
Sie wählt im „Lycée de garçons du Luxembourg“ die Sektion B – mit dem Schwerpunkt Mathematik. Eine Entscheidung, die ihre Lehrer nie so richtig nachvollziehen können. Ihrer Auffassung nach hätte Liz mit ihrer schulischen Ausbildung einer „sichereren“ Karriere nachgehen können. Um am FIT, einer der renommiertesten Modeschulen weltweit, aufgenommen zu werden, muss sie als Nicht-Amerikanerin zahlreiche Tests absolvieren. „Ich habe meine Lehrer im LGL verrückt gemacht“, sagt Liz. Sie schreiben eine Empfehlung nach der anderen und sind in den Bewerbungsprozess fast genauso involviert wie die junge Schülerin. Auch ihre Zensuren und Noten muss Liz ins amerikanische System übersetzen lassen. Zur Sicherheit meldet sich die junge Frau an mehreren Modeschulen in Amerika an – und wird an allen angenommen. Ihre Zielstrebigkeit und ihre Sicherheit darüber, genau zu wissen, was sie machen will, führt Liz Breuer auf ihr Umfeld zurück: „Ich habe das große Glück, dass meine Eltern mich in allem unterstützt haben, was ich tun wollte. Genau wie meine Freunde.“
Ein Traum wird wahr
Mit 19 ist es also endlich so weit. Der Moment, auf den sie ihr halbes Leben lang gewartet hat, ist gekommen. „Als ich im Flugzeug saß, war ich weniger ängstlich, als dass ich dachte, dass ich endlich das tue, wovon ich schon seit vielen Jahren träume.“ Laura Carocha, mit der sie seit zehn Jahren befreundet ist, ist damals alles andere als überrascht, als Liz nach Amerika geht. „Ich wusste immer, dass sie das durchziehen wird.“ Die beiden Frauen kennen sich durch die gemeinsamen Jazztanzkurse und verstehen sich auf Anhieb gut. „Ich glaube, das liegt daran, dass wir beide sehr zielstrebig sind“, sagt Laura, die inzwischen als „Teaching Assistant“ in London arbeitet. An Liz bewundert sie besonders, dass sie sich nie mit irgendetwas gerühmt hat und trotz ihres Lebens in New York, der Arbeit bei Luxusmarken und des Studiums an einer renommierten Uni immer auf dem Boden geblieben ist.
In Manhattan zieht Liz mit drei Mädchen, die sie über Instagram kennengelernt hat und an der gleichen Uni studieren, in eine Studenten-WG. „Wir haben uns sofort verstanden, das war großes Glück“, weiß sie. In ihrer ersten Woche in New York bleibt ihr keine Zeit für Heimweh. Liz sagt zu jeder Einladung Ja, spricht mit so vielen Menschen wie möglich und nimmt auch gleich an der „Fashion Week“ teil. „Ich wollte einfach alles in mir aufsaugen.“
Die Stadt reißt dich einfach mit, sie lässt dir keine Zeit, zu Hause rumzusitzen und nachzudenkenGründerin „New Normal Bureau“
Am FIT werden Liz und ihre Mitschüler dazu motiviert, neben dem Studium zu arbeiten. „Die meisten haben ein Praktikum gemacht, zusätzlich an den Wochenenden gearbeitet und daneben noch gelernt“, sagt Liz, die es als sehr inspirierend empfand, solch bestimmte Menschen um sich zu haben. Niemand sei nach der Schule nach Hause gegangen. „Das war eine extrem harte Zeit, aber ich habe das, was ich machte, so geliebt. Und die Stadt reißt dich einfach mit, sie lässt dir keine Zeit, zu Hause rumzusitzen und nachzudenken.“
In den diversen Praktika in sieben verschiedenen New Yorker Modeunternehmen muss Liz alle Arten von Aufgaben übernehmen: „Von Kleidung steamen bis hin zu Entscheidungen in Meetings treffen war alles dabei.“ Alleine um einen Praktikumsplatz würden sich dort tausende junge Menschen bewerben. „Ich wurde teilweise zu drei Vorstellungsgesprächen eingeladen, nur um ein Praktikum zu bekommen.“ Eines der Unternehmen sei auch verklagt worden, weil es Praktikanten so schlecht behandelt hat. „Das ist in dem Business leider keine Ausnahme. Der Film „Der Teufel trägt Prada“ ist eine ziemlich gute Darstellung der Realität. Manche der Szenen habe ich genau so erlebt“, sagt sie.
Heute ist sie dankbar für jede Erfahrung, die sie machen durfte. Neben den harten Momenten wurden ihr Einblicke hinter die Kulissen von Luxusmarken wie „Olivia Palermo“, „The Coveteur“, „Tod’s“ oder „The Row“, dem Klamottenlabel der Olsen-Twins, ermöglicht. Ihr Vater erinnert sich, dass seine Tochter ein großer Fan der Olsen-Twins war: „Als sie klein war, liebte sie die amerikanische Fernsehserie ,Full House’, in der die Zwillinge mitspielen. Später hat sie dann für sie gearbeitet.“
Zehn Stunden Entfernung
Für Alain Breuer war die Distanz nie ein großes Thema. „Ich habe nie in Kilometern gedacht, sondern in Stunden“, sagt er. Wenn wirklich etwas Ernstes passieren würde, wäre ein Flugzeug in zehn bis zwölf Stunden in den USA – oder Liz wieder in Luxemburg. Diesen Ernstfall hat die Familie tatsächlich vor kurzem erlebt, als die Corona-Pandemie ausgebrochen ist. „Als das Ministerium Luxemburgern im Ausland im März dazu geraten hat, zurückzukommen und die Zahlen in New York in die Höhe geschossen sind, ist Liz nach Hause gekommen“, so Alain Breuer.
Als sie im Juni nach Manhattan zurückkehrt, findet sie eine veränderte Stadt vor. Während die Welt in Luxemburg langsam wieder in Ordnung scheint, sind die Spannungen in Amerika unmöglich zu ignorieren. „Neben der Gesundheits- und Wirtschaftskrise, die hier viel schlimmer ist, weil Unternehmen keine Hilfe vom Staat bekommen und das Gesundheitssystem katastrophal ist, ist ,Black Lives Matter’ noch immer überall. Die Klimakrise ist präsenter denn je und in knapp zwei Monaten sind Präsidentschaftswahlen“, fasst Liz zusammen.
Zahlreiche Läden mussten schließen. Straßen, in denen früher viele Menschen unterwegs waren, sind leergefegt. Durch Budgetkürzungen sind weniger Putzkolonnen unterwegs. Da komme es schon mal vor, dass einem eine Plastiktüte in der Straße entgegenweht, erzählt die 24-Jährige. „Die Menschen hier geben nicht auf, weil das nicht in ihrer Natur liegt. Die Gemeinschaft geht hier immer vor.“ Trotzdem habe sie in den letzten Monaten Dinge in New York gesehen, die sie in fünf Jahren noch nie erlebt hat. Sie habe sich zum Beispiel nie unsicher gefühlt, wenn sie zwischen 20.00 Uhr und Mitternacht von der Arbeit nach Hause gegangen ist. In der Stadt, die nie schläft, haben stets Lichter gebrannt und es waren Menschen um einen herum. Jetzt ist das anders. Diejenigen, die abends noch unterwegs sind, sind häufig auch die, die Job, Wohnung und damit ihre Gesundheitsversorgung verloren haben. „Bekannte von mir, die in New York aufgewachsen sind, sind überzeugt: Mit 9/11 hat die Stadt bereits so viel mitgemacht, dass sie auch aus dieser Krise gestärkt hervorgehen wird. Alle hoffen auf die Präsidentschaftswahlen und dass diese eine Veränderung mit sich bringen“, sagt Liz.
Ich habe in den letzten Monaten Dinge in New York gesehen, die ich in fünf Jahren noch nie erlebt habeGründerin „New Normal Bureau“
Der Klimawandel ist mit den wachsenden Waldfeuern in Kalifornien und zerstörerischen Hurrikans in Amerika präsenter denn je. Darin sieht die junge Unternehmerin ihre Chance. Dass sie in einem pescetarischen Haushalt aufgewachsen ist, ihre beiden Eltern Greenpeace unterstützen und stets auf die Herkunft erworbener Produkte achten, prägt ihren Sinn für Nachhaltigkeit schon früh. An der Uni ist die Auswirkung der Modeindustrie auf die Umwelt ein allgegenwärtiges Thema, mit dem sich die 24-Jährige, die seit fünf Jahren vegan lebt, auch in ihrem Blog „Liztening.com“ eingehend beschäftigt.
Nachhaltigkeit als neue Normalität
2019 erhält Liz Breuer ihren Abschluss in internationalem Handel und Marketing mit den Nebenfächern Mathematik, Wirtschaft und Nachhaltigkeit. Eines ihrer Praktika in einer Marketingagentur geht nach Abschluss ihres Studiums in einen Vollzeitjob über. „Letztendlich habe ich mich seit April – in der Coronazeit – mit einer früheren Mitarbeiterin aus dieser Agentur selbstständig gemacht“, sagt Liz. Die beiden Frauen haben ihre eigene Marketingagentur, das „New Normal Bureau“ gegründet. Ihr Ziel ist es, Marken, die wirklich nachhaltig sind, dabei zu helfen, für den Kunden attraktiver zu sein. „Häufig kommen die Firmen entweder zu elitär rüber oder sie erinnern an Bio-Müsli“, findet Liz. Das „New Normal Bureau“ soll Unternehmen zeigen, dass die richtige Kommunikation Menschen dazu bringen kann, die nachhaltigere Wahl zu treffen.
Den Sprung in die Selbstständigkeit haben die Freundinnen bereits länger geplant. „Die Krise hat unsere Entscheidung vorangetrieben“, sagt Liz, die immer schon wusste, dass sie eines Tages ihr eigenes Business führen würde. „In den letzten beiden Jahren habe ich ständig Menschen getroffen, die sich selbstständig gemacht haben. Alle waren Gründer von irgendetwas.“ Das motiviere natürlich auch. Eben, weil jetzt eine Zeit der Veränderungen und der neuen Normalität ist. Dass Nachhaltigkeit dabei eine wichtige Rolle spielt, davon ist die Luxemburgerin überzeugt.
- Erste Einblicke ins Escher „Bâtiment IV“, wo Cueva an seinem bisher größten Projekt mit 106 Künstlern arbeitet - 24. Oktober 2020.
- Esch will Vorreiter in Sachen Sport werden - 24. Oktober 2020.
- Nach Transition zurück auf der Bühne: Luxemburger überzeugt zum zweiten Mal bei „The Voice of Germany“ - 21. Oktober 2020.
Toller Artikel, sehr inspirierend und total trendy