Polen / Der Zweikampf zwischen Regierungs- und Kaczynski-Partei geht bei der Europawahl weiter
Der Europawahlkampf in Polen war in etwa eine Fortsetzung des Wahlkampfs zu den Nationalwahlen im vorigen Herbst. Favoriten beim anstehenden Urnengang sind die Regierungspartei Bürgerkoalition (KO) sowie die Kaczynski-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS).
Der bisher spannendste Moment des polnischen Europawahlkampfs war die Vorstellung der Kandidaten der im Herbst abgewählten Kaczynski-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS). Jaroslaw Kaczynski präsentierte 13 Spitzenkandidaten wie gewohnt in der polnischen Provinz, und da fehlte Daniel Obajtek, der zuvor jahrelang hochgejubelte CEO des staatlichen Mineralölkonzerns „Orlen“. Obajtek, dem nach dem Regierungswechsel Strafverfahren wegen des Verschwindens von Hunderten von Millionen Zloty, mit denen mutmaßlich Schwarze Kassen der PiS alimentiert wurden, vorgeworfen werden, sollte die Liste in der PiS-Hochburg Podkarpackie anführen. Unter allen PiS-Größen braucht der Spitzenmanager die Brüsseler Immunität am dringendsten.
Die Konsternation war sowohl bei Regierungs- wie Oppositionsanhängern groß, doch bald stellte sich heraus, dass sich Obajtek sicherheitshalber schon ins Ausland abgesetzt hatte. Von dort aus führt er nun einen leisen Wahlkampf, denn seine Wahl mit der Listennummer eins ist ohnehin gesichert.
Der Europawahlkampf in Polen ist kaum vom nationalen Wahlkampf zu den Parlamentswahlen von Mitte Oktober 2023 zu unterscheiden. Der Bruderkampf der beiden aus der anti-kommunistischen „Solidarnosc“-Bewegung hervorgegangenen Parteien PiS und der liberalen Bürgerkoalition (KO) geht dabei einzig in eine neue Runde. PiS sieht erneut die Souveränität Polens durch Brüssel gefährdet. Die Partei spielt wie gewohnt die „deutsche Karte“ und stellt die EU als deutsches Projekt dar, das es Berlin erlauben würde, Polen nach Hitlers Niederlage von 1945 nun doch noch zu unterjochen. Tusks KO will nach acht Jahren Kaczynski-Herrschaft wieder ganz in den Schoss der EU zurückkehren und bricht eine Lanze für eine vorsichtige, aber dennoch vertiefte Integration. Der Euro ist für PiS des Teufels, für KO ist es zu früh für dessen Einführung. Kaczynskis Europawahl-Mannschaft wettert dazu auf ihren Wählermeetings viel gegen den „Green Deal“, denn PiS hat sich innenpolitisch mit den protestierenden Bauern verbündet. In deren teils gewalttätigen Protestmärschen sieht Kaczynski eine Möglichkeit, das Land zu destabilisieren und die Gesellschaft weiter zu spalten. Einig ist man sich einzig über die Unterstützung für Kiew.
Mehrere kleine PolExit-Parteien
Im Europawahlkampf nur noch eine untergeordnete Rolle spielen Tusks zentralistischer Koalitionspartner Dritter Weg (bestehend aus Parlamentspräsident Szymon Holownias Bewegung „Polen 2050“ und der konservativen Bauernpartei PSL) sowie die „Vereinigte Linke“. Beide pendeln in den jüngsten Umfragen bei etwa acht Prozent. PiS und KO liefern sich derweil ein Kopf-an-Kopf-Rennen bei je rund 30 Prozent Stimmenanteil.
Jeder zehnte Pole wusste um Pfingsten noch nicht, für wen er stimmen will. Und erneut wird wie bereits bei den Regionalwahlen vor Monatsfrist mit einer niedrigen Wahlbeteiligung gerechnet. Dies hilft PiS und weiteren populistischen Rechtsparteien.
Ins Europaparlament schaffen wird es auch diesmal die rechtsextreme „Konföderation“, die in Umfragen ebenfalls bei rund acht Prozent liegt. Rechts dieser möglichen Koalitionspartner der PiS haben sich auf die Europawahl hin drei klar gegen die EU gerichtete Kleinparteien gebildet. Alle drei rufen zum PolExit auf, dem Austritt Polens aus der EU. Da gibt es die von dem lange von PiS umweibelten Rechtsextremen Robert Bakiewicz gegründete Partei „Polexit Unabhängigkeit“ und die Partei „Polexit? Es ist höchste Zeit!“ des aus der „Konföderation“ ausgetretenen 82-jährigen Janusz Korwin-Mikke, ein Enfant Terrible der polnischen Politik, das bereits 2014-18 im Europaparlament saß. Auch das rechtsextreme EP-Mitglied Stanislaw Zoltek (2014-19) hat mit dem „Polexit-Wahlkomitee“ eine Kleinpartei gegründet, die Polen nach 20 Jahren wieder aus der EU herausführen will. Sie wollen davon profitieren, dass die Zustimmung der Polen zur EU-Mitgliedschaft im Zuge der Bauernproteste erst mal unter 80 Prozent gesunken ist – auf europaweit immer noch hohe 77 Prozent.
Sichere Listenplätze als Belohnung
Auch PiS grast diese mittlerweile etwas EU-skeptischere Stimmung ab. Die Kaczynski-Anhänger wollen jedoch nur Brüssels Einfluss auf die nationale Gesetzgebung beschneiden und propagieren ein Europa der Nationen. Im Europa-Wahlkampf spielen sie mit dem Schreckgespenst des Brexits, dessen Negativfolgen wegen der vielen Gastarbeiter in Großbritannien in Polen durchaus bekannt sind.
Neben Obajtek will PiS übrigens auch ihre beiden kurzzeitigen „politischen Gefangenen“ des angeblich nicht völlig rechtmäßigen „Tusk-Regimes“, die ehemaligen Innenminister Mariusz Kaminski und Maciej Wasik, in die Brüsseler Sicherheit vor Strafverfolgung schicken. Die Mitte-links-Regierung wirft den beiden besonders loyalen Kaczynski-Anhängern die Bespitzelung der Opposition mit „Pegasus“ vor. Doch auch Regierungschef Donald Tusk weiß seine loyalsten Minister der letzten sechs Monate mit sicheren und lukrativen KO-Listenplätzen zu belohnen: Mitte Mai nahm er eigens eine erste Regierungsumbildung vor, um die vier „Macher“ Bartlomiej Sienkiewicz (Kultur), Maciej Kierwinski (Inneres), Borys Budka (Staatsschatz) und Krzysztof Hetmann (Technologie) im Europawahlkampf als Zugpferde zu positionieren. Sie hatten zum Jahresanfang das Staatsfernsehen TVP aus den Klauen der PiS befreit.
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