Deutscher Buchpreis / Der zweitklassige Jakob: Norbert Gstreins neuer Roman ist einer der schwächeren Shortlist-Kandidaten
„Der zweite Jakob“ des österreichischen Schriftstellers Norbert Gstrein ist einer der sechs verbleibenden Titel, die auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis rangieren. Ganz verdient hat er das nicht.
Die Dinge sehen schlecht aus für Jakob. Denn der Film- und Theaterschauspieler steuert auf seine 60 zu, ein kritisches Alter für jemanden in einer Branche, die ihren Jugendfetisch gerne ungeniert zur Schau stellt. Seine Karriere hat der Österreicher zu einem Großteil hinter sich und vor ihm dehnt sich eine ungewisse Zukunft aus. Wie viel Zeit ihm bleibt, weiß er nicht, aber damit beschäftigt er sich auch nicht so sehr – die Geschichte, die er zu erzählen hat, hat vor allem mit seiner Vergangenheit zu tun.
„Was ist das Schlimmste, das du je getan hast?“, fragt ihn seine Tochter Luzie bei einem vertraulichen Gespräch. Diese Frage ist der Aufhänger für die Erzählung, die Jakob in Gedanken bis an die US-mexikanische Grenze zurückführt. Dort beteiligte er sich vor Jahren an einem zwielichtigen Filmprojekt, das ein Reinfall auf ganzer Linie werden sollte. Jakob bekam die Rolle eines Grenzers, und passend zur geografischen Lage des Filmsets erfuhr er, zunächst unter ferner liefen, mehr von dem Elend und der hemmungslosen Gewalt gegen Frauen im mexikanischen Grenzgebiet. Dann aber wurde er in zwei Angelegenheiten verwickelt, die ihm mit voller Wucht das Leid auf beiden Seiten des Rio Grande offenbarten – und ihn zu einem Mitschuldigen machten.
Ein B-Promi zieht Bilanz
So seriös oder gar niederschmetternd die Handlung klingen mag: Im Stil eines locker-lässigen Krimis geschrieben, ist „Der zweite Jakob“ kein Roman, der sich selbst allzu ernst nimmt. Die Sätze sind meist kurz und bündig, die Sprache klar und doch – weil der Erzähler darauf achtgibt, genug beschreibendes Schmuckwerk einzubauen – nicht farblos, der Erzählton gelöst und unverkrampft. Creative-Writing-Trainer wären begeistert und auch die Leser, die Wert darauf legen, bei der Lektüre unterhalten zu werden, werden wohl nicht enttäuscht werden.
Der Schwerpunkt der Story liegt nicht, wie man es zunächst vermuten könnte, auf der Darstellung der Armut in Mexiko oder des Kummers der geschlagenen und missbrauchten Frauen – nein, erzählt wird vor allem von dem gegenwärtigen Leben des Protagonisten, den überstandenen Auf und Abs in seiner beruflichen Laufbahn, der turbulenten Beziehung seiner Freunde Stephen und Xenia, seiner persönlichen Fehde mit Elmar Pflegerl, einem professionellen Schreiber und Biografen, und von seinem sehr ödipal anmutenden Verhältnis zu seiner Tochter Luzie.
Um es also klar zu sagen: Der Roman hegt nicht den Anspruch, den Rezipienten wachzurütteln und die Missstände in globalen Peripherien in den Blick zu nehmen, sondern liest sich als eine in Ich-Form geschriebene Zwischenbilanz eines alternden Filmstars über die Versäumnisse und Erfolge seines persönlichen Lebens. Das geschieht auf legere Art, der Erzähler meidet feierliches Pathos oder eindringlich-tiefschürfende Schwere, wie sie von vielen Romanciers gewählt wird, die ihren Gegenstand als gewichtig erachten.
Paarkonflikte, ganz Hollywood-mäßig
„Der zweite Jakob“ kann man zur Last legen, dass er etwas zu sehr ins Triviale abgleitet. So bedient sich der Roman bei der Figurendarstellung zahlreichen Klischees. Zum einen gibt es da das ewig streitende Pärchen Stephen und Xenia, die eine Beziehung führen, welche das Adjektiv „toxisch“ zweifelsohne verdient hätte. Tränenreiches Gekeife, grobe Beleidigungen, überstürztes Flüchten und handfeste Gewalt einerseits und obszöne Flirterei in der Öffentlichkeit andererseits machen den giftigen Punsch aus, an dem sich die beiden immer wieder berauschen.
Da die zwei Liebestollen aber nicht in einer Plattenbauwohnung in einem heruntergekommenen Berliner Stadtviertel, sondern auf einer Luxus-Ranch inmitten einer atemberaubenden Landschaft leben – und sich als Darsteller eine goldene Nase verdienen – wird ihr Verhalten nicht als asozial taxiert, sondern so erzählt, wie es ein verkitschter Hollywoodstreifen nicht viel anders gemacht hätte. Der Schwerpunkt liegt auf dem Drama, umweht mit einem Hauch Glamour, die Psychologie tritt dabei in den Hintergrund. Die Figuren verflachen, doch der Leser kann ungestört seinem Voyeurismus frönen, wenn er Zeuge wird, wie sich die beiden wieder und wieder die übelsten Sprüche an den Kopf werfen oder Xenia tränenüberströmt und betrunken (aber dafür in schöner Aufmachung) ins Auto steigt und durch die Wüste kurvt.
Ob Gstrein das bewusst macht, um Inhalt und Form zusammenzuführen, und so, mit einem Augenzwinkern, die Filmindustrie – oder auch sein eigenes Schreiben – auf die Schippe zu nehmen, ist eine Frage, die manchmal nicht so weit hergeholt erscheint. Da der Text jedoch auf deutlichere Ironiesignale verzichtet, kann sie letztlich nicht mit einem „Ja“ beantwortet werden.
Etwas zu viele Nonsens-Stereotypen
Stephen und Xenia (letztere ein schillerndes Mischwesen aus Amazone, Diva und Furie) sind leider nicht die einzigen Figuren, deren Holzschnittartigkeit einem möglicherweise doch die Freude am Lesen trübt. Da gibt es zum Beispiel noch Friederike, die androgyne Intellektuelle im Männeranzug, mit der Jakob eine langjährige Freundschaft pflegt und mit der er – wie kann es auch anders sein – auch einmal im Bett gelandet ist, und das zerbrechlich-engelhafte Töchterlein Luzie, das wohl, auch wenn es nie so gesagt wird, an einer Autismus-Spektrum-Störung leidet.
So kommen besonders die Frauen, die sich alle irgendwo zwischen den Polen „Hure oder Heilige“ verorten, im Roman nicht gut weg – wobei auch die beiden im Vordergrund stehenden Männer, Stephen und Jakob, durch ihren schulterklopfenden Paternalismus, ihre altväterliche und teils aggressive Macho-Denke sowie ihr Reichen-Rumgeprolle nicht sehr schmeichelhaft gezeichnet werden.
Dass Gstrein teilweise auf Effekthascherei setzt, sich Luzie (Achtung, Spoiler!) irgendwann die Pulsadern aufschneidet und der – wie man später erfährt – todkranke Jakob sich eine Liebhaberin zulegt, die dreißig Jahre jünger ist, passt dabei ins Bild. Daran etwas ändern kann dann auch nicht mehr die Tatsache, dass sich der Ich-Erzähler manchmal mit einer Spur Süffisanz über seine Privilegien und seine Rückständigkeit mokiert, ganz so als ob der Autor versuchen würde, durch die schludrig-coole Selbstreflexion seiner Hauptfigur möglichen Kritiken vorzugreifen, um sie so zu neutralisieren.
Alles in allem sei „Der zweite Jakob“ jenen ans Herz gelegt, die auf der Suche sind nach einer amüsanten und leichten Lektüre. Dennoch muss es etwas verblüffen, dass es gerade dieses Buch auf die Shortlist für den Deutschen Buchpreis geschafft hat.
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