Editorial / Des Pudels Wahnsinn inmitten zweier Verfassungen: Wie die Chamber erneut Zeit verliert
Die Dieschbourg-Affäre zieht weiter ihre Kreise und hat nun ein absolutes Kuriosum hervorgebracht: In Luxemburg wird gerade an zwei Verfassungen gleichzeitig herumgeschraubt – dank der Kurzsicht des Luxemburger Parlaments.
Zehn Jahre ist es her, dass sich das Luxemburger Parlament mit einer möglichen Anschuldigung eines Ministers konfrontiert sah. Gegen den damaligen LSAP-Wirtschaftsminister Jeannot Krecké wurde, ebenso wie jetzt im Fall Dieschbourg, ein Dossier an die Chamber weitergereicht. Wie auch jetzt stand die Entscheidung im Raum: Soll die Chamber einen Minister anklagen oder nicht? Eine entsprechende Resolution der ADR-Abgeordneten wurde kurzerhand beiseite gewischt. Wie sagte bereits einer der bekanntesten deutschen Dichter: Sobald du dir vertraust, sobald weißt du zu legiferieren oder regieren. Oder so ähnlich zumindest.
Der schon damals offenkundige prozedurale Mangel aber scheint keine der Parteien dazu animiert zu haben, gesetzgeberisch aktiv zu werden. Allwissend war die Chamber schon 2012 nicht, noch weniger war ihr wohl bewusst, in was für ein Schlamassel ihre Lethargie einmal führen sollte. Im Gegenteil, recht schnell war die Sache dann auch vergeben und vergessen. Zu sehr hat man sich vielleicht auf die neue Verfassung verlassen, die irgendwann fertig ausgearbeitet und stimmreif sein sollte.
Mit dem „Gaardenhaischen“ in Differdingen aber wird das Parlament erneut in eine Rolle gedrängt, die ihm eigentlich nicht zusteht und in einem modernen Rechtsstaat nicht zustehen sollte. Das Ermittlungsdossier der Staatsanwaltschaft findet den Weg in die Chamber, der von der Staatsanwaltschaft und wissenschaftlichen Dienst vorgezeichnete Weg, wie nun verfahren werden soll, scheint allgemeiner Konsens, bis Verfassungsexperte Luc Heuschling anmerkt: „Nun sag, wie hast du’s mit der Verfassung?“ Die Prozeduren sind dank 200 Jahre langer Untätigkeit wohl doch nicht so klar. Aus der grünen Ecke schallte es gleich: „Zwar weiß ich viel, doch möcht’ ich alles wissen.“
Aus der juristischen Affäre ist somit unlängst eine politische geworden. Wollen einige Oppositionsparteien das verfassungsrechtliche Wirrwarr anhand einer Resolution lösen, wollen die Grünen lieber gesetzgeberische Sicherheit und das nötige Ausführungsgesetz endlich auf den Weg bringen. Die Botschaft wird gehört, allein fehlt der Glaube der Opposition ans Vorgehen der Grünen: Ein Zeitspiel, anhand dessen die Verteidigung der Ministerin im Falle einer Anklage auf einen prozeduralen Fehler plädieren könne, argumentieren diese.
Nicht nur erhält die alte Verfassung, die in einigen Monaten schon der Vergangenheit angehören soll, ein nagelneues Ausführungsgesetz, um der Causa Dieschbourg eine dem 21. Jahrhundert entsprechende Prozedur zu verpassen. Dass nun mit der „Lex Gaardenhaischen“ die alte Verfassung ergänzt wird, während die neue schon in den Startlöchern steht, ist wohl auch nicht alltäglich. Die Opposition hat recht: Wieder einmal geht Zeit verloren. Nicht jedoch, um den juristischen Prozess hinauszuzögern – hier wirft der Wahlkampf wohl eher erste Schatten voraus –, sondern vor allem Zeit, um andere Krisen des Landes konzentriert anzugehen. Oder anders ausgedrückt:
Der Worte sind genug gewechselt,
Laßt mich auch endlich Taten sehn;
Indes ihr Komplimente drechselt,
Kann etwas Nützliches geschehn.
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Wie sagte einst ein bekannter Anwalt aus Luxemburg: “ Ab 60 Rindviechern gehört ein Tierarzt dazu.“
Aber nur zu.Politik ist die Kunst eine aussichtslose Situation erträglich zu machen.
Die Chamber hat schon immer Zeit verloren. Doch der neue Zeitverlust ist unübertrefflich.
HTK
Komplett einverstanden