Impfstrategie / Deutscher EU-Abgeordneter kritisiert Luxemburgs Vorgehen scharf
Der deutsche EU-Abgeordnete Peter Liese hat bei einer öffentlich zugänglichen Online-Konferenz am Donnerstag heftige Kritik an der Entscheidung der Luxemburger Regierung geübt, die Coronamaßnahmen zu lockern. Zuvor hatte Gesundheitsministerin Paulette Lenert dort Details zur aktuellen Pandemiesituation in Luxemburg präsentiert. Doch die Kritik von Liese hörte Lenert nicht mehr – sie musste die Konferenz wegen eines „Notfalls“ verlassen.
Eigentlich sollte es beim vom EU-Parlament organisierten Online-Seminar um das Thema „Impfungen gegen Covid-19: Fakten vs. Mythen“ gehen. Eingeladen für die Diskussionsrunde mit Fokus auf Luxemburg waren die EU-Chefverhändlerin bei der Beschaffung der Corona-Impfstoffe, Sandra Gallina, Luxemburgs Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP), der deutsche EU-Abgeordnete Peter Liese (CDU), seine luxemburgische Kollegin Tilly Metz („déi gréng“) und der Luxemburger Epidemiologe Dr. Michel Pletschette*. Lange war das Fünfergespann aber nicht in der Zoom-Konferenz – ein Gesprächspartner nach dem anderen musste sie vorzeitig verlassen.
Sandra Gallina war beispielsweise nur zu Beginn der Konferenz dabei und verabschiedete sich bereits nach der ersten halben Stunde. Weitere 30 Minuten später wurden die Zuschauer darüber informiert, dass auch Paulette Lenert kurzfristig gehen müsse. „Mir ist ein Notfall dazwischengekommen“, meinte sie. Sie habe nur noch ein paar Minuten Zeit. Der Moderator zog also seine Fragen an die Ministerin vor – und sprach den Widerspruch zwischen dem aktuellen Kurs Luxemburgs und dem Deutschlands an. Bundeskanzlerin Angela Merkel kündigte nämlich am 11. Januar eine Verlängerung der strengen Covid-Regeln an, während Luxemburgs Regierung am selben Tag Lockerungen verkündete. Habe man etwa in der Großregion keine gemeinsame Linie?
Lenert wiegelte ab. Es gebe schon eine effektive Zusammenarbeit und viel Austausch mit den Nachbarregionen, aber man könne sich bei Maßnahmen eben nur schwer aufeinander abstimmen. Außerdem werde bei der Diskussion um die Maßnahmen zu viel „pauschalisiert“. „Unsere Maßnahmen waren teilweise noch strenger als jene in Deutschland“, sagte Lenert. Etwa über die Feiertage hinweg. Und auch heute würde man in Luxemburg noch viel einschränken. Es sei eben schwer vergleichbar.
Von Grenzkontrollen, wie sie Merkel für Länder mit weniger durchgreifenderen Regeln in den Raum gestellt hatte, wollte Lenert nichts wissen, immerhin würden sich die Zahlen in den letzten Wochen gut entwickeln. Auch angesprochen auf die Inzidenzzahlen relativierte sie. Luxemburg brauche sich nicht eine „50er Grenze“ wie in Deutschland zu geben. Vor allem da ja die Infektionszahlen durch die vielen Tests in die Höhe getrieben würden. „Wer viel testet, findet auch viel“, wiederholte Lenert das ewige Mantra der Regierung. Dabei machen die durch das Large Scale Testing gefundenen asymptomatischen Covid-Fälle immer noch nur einen Bruchteil der Infektionszahlen aus. Das geht aus den täglichen Berichten mit der Aufschlüsselungen der Luxemburger Infektionszahlen hervor. Die meisten Corona-Positiven finden sich auch nach Monaten der Pandemie durch Tests, die von einem Arzt verschrieben werden. Für sie seien der „Taux de positivité“ und die Belegung der Krankenhausbetten viel wichtigere Faktoren. Sie würden eine bessere Einschätzung der Situation im Land ermöglichen und müssten auch international mehr Beachtung finden, erklärte Lenert – und verabschiedete sich dann.
„Ich bin ziemlich schockiert“
Wäre sie geblieben, hätte sie sich die Kritik von Peter Liese anhören müssen. „Ich bin ziemlich schockiert“, kommentierte der deutsche EU-Abgeordnete den aktuellen Kurs Luxemburgs. Er kenne „nicht alle Details“, aber auch der CSV-Parteivorsitzende Frank Engel habe ihn um eine Einschätzung gebeten. Er kritisierte Lenerts Abwiegeln des Inzidenzfaktors, während sie die Belegung der Krankenhäuser hervorhob. „Die Zahl der Intensivbetten sagt nur das aus, was vor drei Wochen falsch gemacht worden ist.“ Liegen die Menschen erst mal im Krankenhaus, „ist es zu spät, dann sind sie krank“. Es bräuchte eben eine Messlatte, die es erlaube, früh zu erkennen, wo man dran sei. Seiner Meinung nach sei es noch „viel zu früh für irgendwelche Lockerungen“. Von einer Wiedereröffnung der Gastronomie ganz zu schweigen.
Als warnendes Beispiel führte der Politiker Portugal ins Spiel. Das Land sei „vor wenigen Wochen noch der Meinung (gewesen), es habe das gut im Griff“. Dann hätten Mutationen aus Großbritannien und aus Brasilien das Land erreicht und die dritte Welle noch erschwert. Besonders die brasilianische Variante bereite Liese Sorgen. Laut dem Mediziner würden bei dieser Mutation „keine Impfstoffe mehr wirken – und Leute haben sich schon zweimal damit angesteckt“. Dann verabschiedete auch er sich. Er müsse eine gemeinsame Sitzung zu ebendiesem Thema leiten.
Die Mutationen waren während des eineinhalbstündigen Seminars mehrfach Thema. Sowohl Liese als auch Tilly Metz und Michel Pletschette* warnten vor der Bedrohung, die neue Virusvarianten mit sich bringen. Metz forderte deswegen mehrfach, dass man den Patentschutz aufheben solle und so den Impfstoff auch anderen, ärmeren Ländern zur Verfügung stellen könne. „Aktuell sichern sich die zehn reichsten Länder 95 Prozent der Impfstoffproduktion“, sagte Metz. Pletschette* warnte zudem: Je öfter das Virus mutiere, desto höher sei die Chance, dass die Impfstoffe dann nicht mehr wirken. Man müsse also schnellstens so viele Menschen wie möglich impfen.
Ein Impfzentrum für Europa
Sandra Gallina hatte bereits zu Beginn der Veranstaltung über die Impfbeschaffung der EU referiert – für die sie zuständig ist: Die energische Italienerin leitete für die Kommission die Verhandlungen mit den Impfstoffproduzenten. Sie betonte, dass man vor zehn Monaten nicht absehen konnte, wann ein Impfstoff verfügbar sein würde, wie effektiv dieser sein würde und welcher als erster auf den Markt kommen würde. „Es war ein Risiko, gleich auf mehrere Impfstoffe zu setzen, die alle noch in der Entwicklung waren“, sagte Gallina. „Wir haben über etwas verhandelt, das überhaupt noch nicht existierte.“ Nur dadurch, dass man als Kollektiv verhandelt habe, habe man es wagen können, gleich auf mehrere Impfstoffe zu setzen.
Wie schon vor zwei Tagen vor dem EU-Parlament wies Gallina auch die Kritik zurück, die gerade in Deutschland und Frankreich am Handeln der Kommission geäußert wird. Hätte jedes Land für sich verhandelt, dann hätte man sich nicht nur gegenseitig Probleme bereitet, man hätte auch das Risiko nicht eingehen können. Ein Umstand, den auch Paulette Lenert in der ersten halben Stunde der Konferenz erwähnte. Luxemburg alleine hätte es sich nicht erlauben können, gleich sechs oder sieben verschiedene Impfstoffe zu bestellen, ohne eine Garantie dafür zu haben, dass diese am Ende auch geliefert werden. „Das hätte ich nicht verantworten können“, sagte Lenert. Man sei deswegen sehr froh über die Bemühungen der EU-Kommission. Gallina wehrte sich auch gegen die Kritik, dass sie nicht genug Geld für die Beschaffung der Impfstoffe ausgegeben habe: „Zuerst sagten mir alle, ich solle nicht zu viel ausgeben. Jetzt fragen sie mich, wieso es nur so wenig ist. Es geht hier um öffentliche Gelder.“
Neben der Frage der Wirksamkeit des Impfstoffs sei in die Abwägungen der EU-Verhandler auch eingeflossen, welche Unternehmen am Ende die nötigen Kapazitäten für eine große Produktion hatten. „Bei einer kleinen Firma, die nur ein paar tausend Dosen liefern kann, machte es keinen Sinn, zu bestellen“, sagte Gallina. Die Verhandlungen mit den Herstellern hätten so lange gedauert, weil die EU auf strenge Haftungsregeln bestanden habe. „Wer einen Impfstoff produziert, muss auch dafür geradestehen, wenn es damit Probleme gibt“, so Gallina. „Und zwar vor der Justiz.“
Dass Europa ein Impfstoff-Forschungszentrum erhält, findet Gallina längst überfällig. „Jetzt haben wir ja die Pandemie.“ Sie kündigte in dem Online-Seminar auch an, dass eine solche europäische Agentur mit dem Namen „Era“ entstehen wird. Diese soll unter anderem das „Horizon Scanning“ übernehmen, um vor anderen Pathogenen, die eine Pandemie auslösen konnten, zu warnen. Auch soll sie die Zusammenarbeit zwischen Impfstoffherstellern und der Forschung zu verbessern. Zudem brauche es einen Fonds, auf den man im Fall einer Pandemie zurückgreifen könne. Bei dieser habe man sich „zum Glück“ zu Beginn aus einem Topf bedienen können, der eigentlich für Hilfen bei Überschwemmung und Großbränden vorgesehen ist. Mehr Details gab sie aber nicht preis, ehe auch sie wegen eines internen Meetings das Seminar verlassen musste.
*Anmerkung der Redaktion: In der ersten Version war der Autorin ein Schreibfehler unterlaufen. Der Name wurde korrigiert.
- „Nach all dem was passiert ist, ist man verunsichert“ - 15. November 2024.
- Bei den Wahlen in den USA ist das Chaos vorprogrammiert - 2. November 2024.
- Rechte für Menschen mit einer Behinderung: Es reicht mit den leeren Versprechungen - 14. Oktober 2024.
Déi dooten EU-Bonzen hunn nach all Ursaach Madame Lehnert
ze kritiséieren, Metz,Liese & Co hun esou wiesou guer neischt
opzeweisen,ausser déck Gehälter ze kasséieren an séch ëm
hirt privat Gedeessems ze këmmeren.Alles lamentabel an
armsélég,inklusiv deen ganze Komissiounsklub.
„Zum Kotzen“ op deitsch.
„Zuerst sagten mir alle , ich solle nichtzu viel ausgeben…“ ,so Gallina zum Thema qualitativer Impfstoff. Dieser kleine Satz sagt viel aus über unsere Politik , was der Bürger der Politik wert. Weitere Diskussionen erübrigen sich , EU und Politik haben versagt, das Vertrauen dahin.
Mme, schreiwt de Leit hiren Numm mol richteg: Dr Pletschette Michel
Danke für den Hinweis. Der Name wurde berichtigt. Ich entschuldige mich für den Fehler.
Letzebuerger hunn och vill un de preisen ze kritiséiren, ganz vill…
Korrekt: Dr Pletschette. Nom de famille et village luxo
Vielen Dank für Ihren Hinweis. Mir war tatsächlich ein Schreibfehler unterlaufen. Der Name wurde berichtigt. Ich bitte um Entschuldigung.
@veteran: Mat Grond, déi treppelen awer och emmer „ in das Fettnäpfchen…“
Ich denke dass es nicht viele Politiker weltweit gibt welche von Anfang an so nahe, täglich, mit der Wissenschaft zusammen um die spezifische Situation in Luxemburg bescheid wissen. Ratschläge sind wohl immer wichtig. Jedoch sollte die gesamte Mannschaft um die Ministerin sich nicht durch überhebliches Gerede von ihrer Linie abbringen lassen!
Lieber Fränz,
Luxemburg hat es noch nicht einmal geschafft die Generalisten zu impfen, die tagtäglich die Bewohner von Altenheimen in unserem Ländchen behandeln. Das ist beschämend und ein Skandal, der von der Regierung vertuscht wird. Soviel zur Nähe zur Medizin.
Bezüglich Überheblichkeit ist zu sagen, dass Deutschland, wenigstens schon seine Allgemein- und Hausärzte zweimal geimpft hat. Lux ist noch weit weg davon.
Schauen Sie sich einmal die Statistiken in der der ZEIT online an!
Ass elo dem JA sein Boomerang rem komm !
Wann een d’Nooper kritisei’ert, kann muss een och kennen kritisei’ert ginn !
@Peter Müller/
Lieber Peter,
Gut gebrüllt Löwe.
Grüsse.
@Peter Müller: die Deutschen sollen mal vor der eigenen Haustür kehren. Wer kommt denn denn haufenweise nach Luxemburg zum Frisör? Weder die Belgier noch die Franzosen. Deshalb, brüllen Sie und der Grenzgänger nicht zu laut, sonst laufen Sie Gefahr, dass Ihre Landsleute die Grenze erneut dicht machen.
@Peter Müller: Welcher Schelm der Böses denkt. Wie kann es sein Deutschland mehr impfen kann, Luxemburg bisher wenig Impfstoff erhalten hat? Ob da wohl unsere europäische Schwester aus Berlin zusätzlichen Impfstoff an den europäischen Freunden heimlich vorbeigeschmuggelt hat.
Was soll diese reißerische Überschrift? „Heftig kritisiert“ , darf jetzt niemand mehr irgendetwas anzweifeln was einer eurer „Minister“ entscheidet, aber alles was Deutschland entscheidet muss am besten auf europäischer Ebene und dann mit Prokura aus Luxemburg passieren. Hahahaha, dass ich nicht lache.
Und wieso kommentieren hier immerwieder Leute uns als Praisen. Und das Tageblatt stellt dann solche Kommentare online. Ich bin überzeugter Europäer. Ich finde es gut, wie wir zusammenhalten z.B. die Zusammenarbeit in Corona Zeiten mi Italien, Frankreich und jüngst in Portugal. Ich kenne viele nette Belgier, aber euch Luxemburger, euch arrogante, überhebliche Leute braucht echt keiner! Und wir Deutschen schon dreimal nicht. Die Frisöre zu denen meine Landsleute gehen, sind eh alles Deutsche, die von eurem Steuersystem profitieren. Der einzige Grund, warum sie alle nach Lux kommen. Wegen der Herzlichkeit der Leute ganz sicher nicht
Die Deutschen Politiker tun doch nichts für ihre Landsleute,ausser Kritik an Luxemburg ausüben,aber über die Grenzen kommen zum Einkaufen.
Wir sollen uns nicht um Europablabla scheren. Europa taugt nur zum Blabla. Lasst uns die Grenzen zu Deutschland dicht machen, dann hören diese Reden auf.
@ Hatfield: Wer hat eigentlich an Ihren Käfiggittern gerüttelt? Sie ziehen sich den Schuh an, der Ihnen scheinbar passt. Wo geht hier die Rede von “ Preissen “ ?
Schéifermisch,
Ween schafft dann bei den „Frisören“
lauter Grenzgänger,ouni déi alleguer geet guer neischt zou
Luxusburg.
@ luc jung
Nur zu, schliessen sie die Grenzen. Falls sie das überhaupt mit entscheiden können. Wir in Deutschland haben dann genauso wenig Probleme wie vorher. Aber ihr seid auf wenigen tausend Quadratkilometern gefangen und könntet euch nicht mal selbst ernähren.
Also lieber mal ein bisschen Demut zeigen, das wäre angebrachter.
@Hoerharry. Eine Binsenweisheit, das weiss jeder, dass unser ganzes System ohne die Grenzgänger zusammenbrechen würde. Habe nicht das Gegenteil behauptet und bin weder Nationalist noch ausländerfeindlich. Aber Peter Lieser ist schlecht plaziert um unsere Gesundheitsministerin zu kritisieren oder ihr gar Vorschriften zu machen.
@ Hatfield. Genau diesen Ton mögen wir so sehr an unseren deutschen Nachbarn. Gott sei Dank denken viele Ihrer Landsleute anders als Sie. Die Luxemburger brauchen sich ihrer Vergangenheit nicht zu schämen.
@ Scheifermisch
Sie alle, also die meisten Luxusbürger wissen, jetzt durch Corina verstärkt, wie abhängig sie sind und schon immer waren. Trotzdem benehmen sich viele von Ihnen, wie Lehnsherren gegenüber der ausländischen Bevölkerung. Von solchen Leute lasse ich mich in keine Ecke schieben. Auch nicht wenn sie wieder mal und so ist es immer mit euch, wenn gar nichts anderes mehr einfällt, mit der Deutschen NS Geschichte anfangen, so wie sie wieder in ihrem Kommentar. Ich bin nicht stolz auf meine Vorfahren, aus der NS Zeit, aber ich bin in sehr vielen anderen Aspekten stolz auf mein Land und meine Mitmenschen. Ihr könnt auch nicht auf jeden Moment eurer Geschichte stolz sein, wenn ich richtig informiert bin.
@ Hatfield. „Ich bin überzeugter Europäer.“ Glaube ich nicht. Lieber Herr oder Dame, Sie müssen ja sehr schlechte Erfahrungen mit uns Latzebuergern gemacht haben? Persönlich möchte ich Ihnen sagen, habe einige Freunde in Deutschland (Saarland, Hamburg, Pfalz) die ich besonders schätze. Habe während 19 Jahren für eine Deutsche Firma gearbeitet, kenne die Mentalität der richtigen Europäer auch jenseits der Mosel. Kenne nur einen auf den der Name Lehnherr zutreffen könnte. Ich werde mir erlauben weiterhin die Kriegsgeneration als Preisen zu „beschimpfen“, da meine Familie nicht besonders sanft von jener Generation behandelt wurde. Meine derzeitigen deutschen Freunde sind übrigens sehr herzlich in Luxemburg aufgenommen worden, sind sehr überzeugte Europäer.