Rentrée Première-Schüler / Deutschlehrer im Interview: „Das hat ein wenig das Flair einer Klinik“
Die ersten drei Schultage seit der „Rentrée“ haben die Primaner bereits hinter sich. Lukas Wildanger, Deutschlehrer und Regent einer Première im Lycée Robert Schuman, berichtet uns über seine ersten Eindrücke. Ein Interview.
Tageblatt: Seit drei Tagen gehen die Primaner wieder in die Schule. Sind Sie froh darüber?
Lukas Wildanger: Das ist eine schwierige Frage. Es ist nicht meine Rolle, darüber zu urteilen, ob die Rentrée richtig oder falsch ist. Klar ist auf jeden Fall, dass der Aufwand, der hier betrieben wurde, sehr groß ist. Es gibt viele gute Argumente für eine Rentrée. Wir können nicht ewig im digitalen Homeschooling verweilen. Irgendwann brauchen wir wieder den menschlichen Kontakt. Grad die Schule ohne menschlichen und sozialen Kontakt ist einfach furchtbar. Wir leben ja von der Interaktion. Ich gehöre zu den Lehrern, denen die soziale Interaktion und die Beziehung zu den Schülern sehr wichtig ist. Also ja, ich bin froh, dass die Rentrée nun stattgefunden hat. Auf der anderen Seite hat man auch ein wenig Bauchschmerzen dabei.
Wieso denn Bauchschmerzen?
Es ist schon komisch, in eine Schule hereinzukommen, die fast leer ist. Um ehrlich zu sein, auch die Kurse ergeben nur einen überschaubaren Sinn.
Inwiefern?
Einerseits sind die Schüler froh darüber, wieder in die Schule zu kommen, andererseits fragen sich die Primaner, wieso sie diese Woche eigentlich in die Schule gerufen wurden. Ich kann das selber auch ein wenig nachvollziehen, dass sie das denken. Ich habe eine Première mit 27 Schülern, die nun geteilt wurde. Manche Schüler gelten als gefährdet oder haben Familienmitglieder, die gefährdet sind und können demnach nicht in die Schule kommen. Ich habe also nun zwei Teile mit je rund zehn Schülern da sitzen. Der Unterricht ist weit entfernt vom richtigen Schulhalten. Mit den zehn Schülern machen wir Wiederholungen. Das Examensprogramm wurde reduziert. Es ist ein Minimalprogramm. Diese Woche lernen wir nichts Neues. Das einzige, was stattfindet, ist Kontakt haben und wiederholen. Manche dieser Schüler werden im Examen allerdings nicht im Fach Deutsch geprüft. Sie müssen aber trotzdem da sein. Schließlich gilt die Schulpflicht. Die Sinnhaftigkeit darin erschließt sich weder ihnen noch mir.
Wie ist denn die Stimmung im Lycée?
Das ist unterschiedlich. Einerseits tut es gut, dass ich ein Stück Normalität wiederhabe, indem ich mein Haus verlassen kann und wieder zur Arbeit gehen kann. Ich bin froh, dass ich die Schüler wiedersehe und ich habe den Eindruck, dass auch sie froh sind, uns Lehrer wiederzusehen. Andererseits spürt man diese Ausnahmesituation schon sehr stark. Als ich die Schule am ersten Tag betreten habe, war das schon ein sehr komisches Gefühl. Ich sah Absperrungen, eingezeichnete Korridore, Menschen, die mit Maske herumlaufen, in der Loge, im Sekretariat, dann die Schüler. Mein erster Gedanke war jener an den doofen 90er-Jahre-Film „Outbreak – Das Killervirus“. (lacht) Das ist vielleicht die Ironie oder der Sarkasmus, der meine Person ausmacht. Die Menschen mit Masken und das doch sehr leer anmutende Gebäude haben diesen Gedanken bei mir ausgelöst. Das hat ein wenig das Flair einer Klinik.
Wie finden Sie es, dass Sie nun jede Unterrichtsstunde zweimal halten müssen?
Es ist machbar und etwas komisch. Dabei sind Unterrichtstunden nie gleich. Es ist schwierig, einen Kurs mit zwei unterschiedlichen Klassen auf die gleiche Art durchzuziehen. Da es hier eigentlich nur ums Wiederholen geht, funktioniert es einigermaßen. Première-Lehrer sind eben nun doppelt im Einsatz. Hier in der Schule ist es so organisiert, dass die Kurse direkt nacheinander stattfinden.
Parallel dazu müssen Sie ja auch noch Ihre anderen Klassen via Homeschooling unterrichten. Wie funktioniert das?
Das ist schon ein Riesenaufwand. Ich fahre zur Schule, um dort zwei Stunden zu unterrichten. Dann fahre ich nach Hause, um dort die anderen Klassen per Fernunterricht zu beschulen. Das sind Videokonferenzen sowie Aufgaben, die ich den Schülern schicke und verbessern muss. Ab nächster Woche wird der Aufwand noch größer. Dann werden die A-Gruppen in der Schule unterrichtet und die B-Gruppen machen Homeschooling.
Wie wird das denn sein, wenn ab Montag das Lycée etwas voller wird?
(Lacht) Ja, etwas voller. Das kann man so sagen. Es wurden nun viele neue Regeln erstellt. Das funktioniert bei den Primanern sehr gut. Das sind Erwachsene. Nächste Woche wird es wesentlich spannender, wenn die kleineren Gruppen dazukommen. Die Kleinsten sind die Schüler der Septième. Ich glaube, dass sie es aber schon verstehen werden. In der Grundschule aber wird die Herausforderung eine ganz andere sein. Ab Montag werden sich insgesamt 500 Menschen im Lycée aufhalten. Ich bin gespannt, ob das mit den Distanzregeln dauerhaft gut klappt. Es ist natürlich auch komisch, wenn man am Anfang jeder Stunde die Schüler erst mal fragen muss: Habt ihr alle eure Hände gewaschen? Geht eure Hände waschen. Nein, du darfst jetzt nicht den Stift von deinem Nachbarn ausleihen. Das ist schon ein komisches Gefühl.
Im Unterricht ist ja keine Maskenpflicht. Wie sieht es in der Praxis aus?
Es gibt keine Maskenpflicht im Klassenraum. Insbesondere für die Lehrer ist das Tragen einer Maske während des Unterrichts sehr schwierig. Vielleicht nicht wirklich machbar. Das Ausziehen der Maske ist aber irgendwie auch komisch. Ich möchte mich schließlich nicht mit dem Virus anstecken. In meinem engen Freundeskreis hatten sich ein paar Leute mit dem Coronavirus infiziert. Obwohl diese Menschen weder gefährdet waren noch zu einer Risikogruppe gehörten, haben sie wochenlang gegen Covid-19 gekämpft. Ich will das Virus nicht bekommen. Ich passe also auf. Im Unterricht habe ich probiert, den Atemschutz so lange wie möglich zu tragen, konnte ihn aber noch nie bis zum Ende der Stunde anbehalten, weil er mich ziemlich eingeschränkt hat. Wir haben einen Beruf, in dem man viel reden muss. Ich glaube, dass die meisten Lehrer die Masken beim Unterricht nicht anhaben werden. Die Schüler haben die Masken im Unterricht größtenteils ausgezogen. Sie sitzen ja zwei Meter auseinander. Da diese Distanz allerdings nicht in allen Klassenzimmern eingehalten werden konnte, mussten wir auf andere Räume wie beispielsweise den Geschichtsraum oder den Informatiksaal zurückgreifen. Ich kann auch gut verstehen, dass Schüler nicht vier oder sechs Stunden lang eine Maske tragen wollen.
Wie sieht Ihre Bilanz zum Homeschooling der letzten Wochen aus?
Erstaunlicherweise war ich mit dem Homeschooling sehr zufrieden. Aus meiner Sicht hat es gut geklappt. Ich weiß nicht, ob die Schüler das auch so sehen. Ich habe die Mehrheit meiner Kurse einfach weitergeführt, indem ich eine Videokonferenz gemacht habe, an der die Schüler teilgenommen haben. Das hat zu meiner Freude gut geklappt. Die Schüler waren stets alle dabei. Dabei gab es auch Interaktionen. Allerdings muss ich sagen, dass das auf höheren Klassen eine gute Alternative ist. Je niedriger die Klassenstufen werden, desto schwieriger wird der Fernunterricht. Unser Lycée ist da recht gut aufgestellt, weil wir mehrere iPad-Klassen haben. Die Schüler dieser Klassen haben also über das Schuljahr technisches Wissen erlernt, das ihnen beim Homeschooling in die Karten gespielt hat. Das hat auch mir das Leben erleichtert. Bei den Septième-Klassen habe ich den klassischen Weg gewählt. Ich habe ihnen Aufgaben zugeschickt und diese dann nach der Rücksendung verbessert.
Homeschooling haben auch die Primaner gemacht. Lange herrschte Unklarheit, was die Schüler genau für das Examen lernen sollen, und ob es überhaupt stattfindet. Sind Schüler dadurch ins Hintertreffen geraten, was die Vorbereitungen angeht?
Mit den Primanern hatte ich jeden Tag Kontakt. Selbst wenn wir keinen Unterricht hatten. Ich habe einfach nachgefragt, wie es ihnen geht oder habe nach Feedback gefragt. Ich finde es wichtig, dass man den sozialen Kontakt beibehält, auch wenn er digital ist. Ich glaube, dass es eine Charaktersache ist. Viele von ihnen haben einfach weitergelernt und sehen es als Chance, dass das Programm angepasst wurde. Wenn wir ehrlich sind, dann müssen wir schon zugeben, dass das Programm reduziert ist gegenüber dem normalen Pensum. Das ist ein Vorteil für sie. Trotzdem darf nicht unterschätzt werden, dass das Ganze für sie, psychisch gesehen, sehr anstrengend ist. Für verschiedene Schüler ist diese Situation, wo man ständig die Maske anziehen muss, auf dem Schulweg, auf dem Gang zur Toilette, schon eine psychische Belastung. Und dann kommt noch der Examensdruck dazu. Tatsächlich war auch lange nicht hundertprozentig klar, wann, wie und ob das Examen stattfinden wird. Ständig kamen neue Informationen von offizieller Stelle. Das ist nicht einfach.
Haben die Schüler Ihrer Meinung nach mehr Angst vor dem Coronavirus oder vor dem Examen?
(Lacht) Die Frage ist gut. Das ist von Schüler zu Schüler unterschiedlich. Das ist wie im normalen Leben. Ich glaube, manche Schüler sehen das ganz gelassen, andere machen sich ganz konkrete Sorgen und haben Angst, sich anzustecken. Das Gleiche trifft sicherlich auch auf das Examen zu. Ich denke aber, dass wahrscheinlich die Angst vor dem Examen ein wenig größer ist. Ich hoffe, dass wir durch die ganzen Sicherheitsmaßnahmen, die eingeführt wurden, den Primanern die Sorge vor dem Virus etwas nehmen konnten. Es wäre ein Riesendebakel, wenn Schüler das Examen aussetzen müssten, weil sie sich infiziert haben.
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„Es ist nicht meine Rolle, darüber zu urteilen, ob die Rentrée richtig oder falsch ist.“
Wenn ich ein paar Monate mit vollem Gehalt zu hause war und noch schnell genug das Internet sabotiert hatte, (kein Fernunterricht) dann wär ich auch nicht gerade begeistert.